Werbung

Perus Präsidentin Boluarte: Steinmeiers Ignoranz

Bundespräsident empfängt Perus Präsidentin Boluarte, die laut Amnesty für Massaker verantwortlich ist

Der Offene Brief an Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier trägt das Datum 9. Oktober. Eine Antwort darauf gab es bis zum 12. Oktober nicht. Der Brief wurde von Peruaner*innen unterzeichnet, die in Deutschland und im Ausland leben, arbeiten und studieren. »Wir sind sehr verärgert und bestürzt«, bringt Daniela Zambrano, eine in Berlin lebende Künstlerin, die Empfindung der peruanischen Gemeinschaft gegenüber »nd« zum Ausdruck.

Boluarte, die nach der am 7. Dezember 2022 erfolgten Inhaftierung des von der Bevölkerung gewählten Präsidenten Pedro Castillo als Vizepräsidentin das Amt übernahm, ist am 12. Oktober Ehrengast bei einem Galadinner auf dem Lateinamerika-Tag des Lateinamerika-Vereins unter Schirmherrschaft des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (Grüne).

Dass der 12. Oktober den Tag der Eroberung Amerikas durch die Ankunft Kolumbus’ 1492 markiert, dürfte entweder nicht bekannt sein oder ignoriert oder gar als Tag der Entdeckung gefeiert werden. Auch Stuttgarts Oberbürgermeister Frank Nopper (CDU) wird Boluarte empfangen. Am folgenden Tag ist die Präsidentin in Berlin zu Gast bei Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD). Danach geht es weiter nach Rom, wo sie eine Audienz bei Papst Franziskus erhalten hat – ob um Vergebung für Menschenrechtsverletzungen zu erflehen, ist nicht bekannt.

Es sind nicht zuletzt Anhänger*innen der linken Partei Nuevo Perú (Neues Peru), die es nicht nachvollziehen können, dass ein Bundespräsident, der nahezu unablässig Menschenrechtsverletzungen in aller Welt anprangert, sich bei Peru blind zeigt. Der Sachverhalt ist keineswegs durch die linke Sicht der Anhänger*innen von Nuevo Perú getrübt, sondern bestens dokumentiert, worauf im Offenen Brief hingewiesen wird: »Anerkannte internationale Medien und Menschenrechtsorganisationen, sowohl staatliche als auch nichtstaatliche, wie das Hochkommissariat der Vereinten Nationen für Menschenrechte, Amnesty International, Human Rights Watch, die Organisation Amerikanischer Staaten, ›The Guardian‹, Reuters, ›The New York Times‹ und andere, haben systematische Verstöße gegen die Menschenrechte und die Rechtsstaatlichkeit in Peru dokumentiert und ihre tiefe Besorgnis über die vom Regime von Frau Dina Boluarte begangenen Vergehen während der Proteste in unserem Land, insbesondere zwischen dem 7. Dezember 2022 und März dieses Jahres, zum Ausdruck gebracht.« Diese illustre Reihe kann dem Bundespräsidialamt nicht wirklich entgangen sein, ignorieren geht freilich immer.

Bei den Vorwürfen handelt es sich nicht um Kleinigkeiten. Insbesondere der Bericht von Amnesty International mit dem Titel »Tödlicher Rassismus: Außergerichtliche Tötungen und ungesetzlicher Einsatz von Gewalt durch Perus Sicherheitskräfte« kommt zu dem Schluss, dass die peruanischen Behörden weitverbreitete Angriffe gegen Demonstranten durchgeführt haben, mit einem nachweisbar rassistischen Motiv gegen die indigenen Menschen Perus. Unbestritten ist demnach, dass 49 der Opfer – darunter auch Minderjährige – durch Schusswaffen des peruanischen Militärs und der Polizei getötet wurden. Diese Vorfälle werden von führenden Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty als außergerichtliche Hinrichtungen klassifiziert. Die politische Verantwortung dafür trägt Dina Boluarte.

»Der Bundespräsident muss beim Empfang Boluartes auf die Achtung der Rechtsstaatlichkeit und Wiederherstellung der Demokratie in Peru drängen«, erklärte Sevim Dağdelen, Obfrau der Linksfraktion im Auswärtigen Ausschuss. Auch Dağdelen beruft sich in ihrer Pressemitteilung auf den Fakt, dass die Interamerikanische Menschenrechtskommission klar festgestellt hat, dass es unverhältnismäßige, willkürliche und tödliche Gewalt der peruanischen Sicherheitskräfte gegen die Demonstranten in Peru gab.

»Angesichts der genannten Fakten sind wir der Meinung, dass der Empfang und die militärischen Ehrenbekundungen für Frau Dina Boluarte seitens der Bundesrepublik Deutschland und des Bundespräsidialamts, das Sie repräsentieren, schaden.« Der Offene Brief schließt mit dem Wunsch: »Es wäre uns eine Ehre, Ihnen unsere Anliegen persönlich vortragen zu dürfen.« Bis Redaktionsschluss sah es nicht so aus, dass das direkt klappt, indirekt schon: Am 13. Oktober um 13 Uhr schlägt für Steinmeier die Stunde: Die peruanische Gemeinschaft hat zur Demonstration am Spreeweg vor dem Schloss Bellevue aufgerufen.

- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.