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Arte-Serie »Clashing Differences«: Alle gegen alle, aber divers
Die Arte-Serie »Clashing Differences« erklärt in fünf kurzen Web-Folgen queeren Feminismus
Um das zerfurchte Feld weiblicher Diskriminierungen urbar zu machen, gibt es zahllose Wörter mit -ismus am Ende. Sie reichen vom Rassismus über Neologismen wie Ageismus, Lookismus, Ableismus bis hin zum alten Sexismus und sind zwar praktisch unbeschränkt kombinierbar. Am Ende aber kulminiert das Unterdrückungsvokabular im Begriff, den eine Protagonistin der verstörend guten Webserie »Clashing Differences« eher unfreiwillig liefert: Nie-genug-ismus.
Sie spricht ihn zwar nicht aus. Aber als die Schwarze Sus (Rabea Lüthi) mit ihrer weißen Freundin Paula (Lisa Hrdina) eine Konferenz von und für Frauen vorbereitet, deutet sie ihn an. »In den letzten Monaten hab’ ich ständig an mir gezweifelt«, klagt Sus und beschreibt auch, warum: »Ich war nicht aktivistisch genug, ich war nicht erfolgreich genug, ich war nie genug.«. Klingt nach einem der vielen Konflikte, die den Fünfteiler von der ersten bis zur 70. Minute prägen, bringt das fiktionale Konzept aber fast dokumentarisch auf den Punkt.
Die Abschlussarbeit der Filmhochschülerin Merle Grimm wagt sich auf glattes, wenn nicht gar vermintes Terrain. Im Video-Meeting ihrer feministischen NGO »House of Womxn« mahnt Vorständin Elisabeth (Inka Friedrich), das Tagungspanel sei »zu weiß«. Es bedürfe daher Frauen anderer Hautfarbe und Herkunft. Mitstreiterin Martha (Anna Stieblich) wendet zwar ein, »unseren Gästinnen jetzt nicht absagen zu können, das sind alles Frauen von uns«, aber der Entschluss steht fest.
Die Womxn Sus und Paula laden also fünf höchst diverse Teilnehmerinnen ins brandenburgische Vereinsheim, um die Vielfalt der geplanten Konferenz zu erhöhen. Dumm nur, dass sich die glamouröse Influencerin Kisha (Thelma Buabeng), die zähe Rechtsanwältin Simone (Minh-Khai Phan-Thi), die radikale Kämpferin Çena (Şafak Şengül) und die sanfte Podcasterin Flora (Jane Chirwa) nicht nur im Wurzelwerk unterscheiden. Sie reiten von dort aus auch noch mit offenem Visier in einen Streit darum, wer diskriminierungsanfälliger ist. Klassischer Fall von Nie-genug-ism halt.
Afrikanische, asiatische, ostdeutsche Eltern? Lesbische, nonbinäre, genderfluide Sexualität? Dicke, dünne, gewöhnliche Formen? Junge, alte, greise Körper? Oder von allem etwas, um im Kampf sexistischer, ageistischer, lookistischer, ableistischer, rassistischer Diffamierungen mehr Solidarität zu verdienen? Es ist ein heißer Kampf um offene Flanken, dem Grimm – als Schwarzer Neuling einer Branche männlicher Platzhirsche dreifach marginalisiert – mit allerlei Affären und Eifersucht zusätzlich Feuer unterm diversen Hintern macht.
Wer dem ebenso fabelhaft besetzten wie spielenden Cast beim Streiten beiwohnt, fragt sich umso mehr, warum die Showrunnerin trotz eigener Diskriminierungserfahrung so leidenschaftlich nach unten statt nach oben tritt? Warum sie emanzipierte Opfer anstelle der patriarchalen Täter diffamiert? Warum die einzigen Männer am Set zudem ein verdruckster Haufen Nazis ohne Handlungsspielraum sind, während weibliche Sprechrollen gern raumgreifend keifen? Vielleicht bietet die sperrige Dramaturgie Antwortoptionen.
In ihr nämlich richten sich alle Hauptfiguren durch das, was filmwissenschaftlich »die vierte Wand« genannt wird, direkt ans Publikum und erklären ihm (also uns) den Geschlechterkampf aus feministischer Perspektive. Das könnte didaktisch wirken, bevormundend, von unten herab gewissermaßen. Tut es aber schon deshalb nicht, weil die Regie ihre Proklamationen durch ulkige Tricks wie das Erstarren der Umgebung entschärft und nebenbei erklärt, worum es der Serie eigentlich geht.
Um alle nämlich, ganz einfach. Diversität, so lernen wir in einem Crashkurs von tiefgründiger Leichtigkeit, heißt nämlich, Unterschiede zu akzeptieren, ohne sie gegeneinander zu gewichten, aber auch, Privilegien zu reflektieren, ohne sie zu verniedlichen. Vor allem aber heißt es, den moralisch Aufrechten zwar Fehler zuzugestehen, aber gegebenenfalls vorzuhalten – etwa, wenn die alte weiße Alice-Schwarzer-Gefährtin Hannah (Christine Wilhelmi) neokolonialistische Selbstbeweihräucherung pflegt, für die es auch ein schickes neues Wort mit -ismus am Ende gibt: Whitesaviorism.
Manchmal sind halt auch die Guten scheiße zu ihresgleichen, werden darum aber nicht gleich zu den Schlechten, sondern ausbaufähig. Das ist die Botschaft dieser bemerkenswerten Serie im weiblichen Ringen mit männlicher Gewalt. Gegen die, doziert Flora im Kreis eingefrorener Genossinnen, gäbe es drei Strategien: Angriff, Flucht oder Stillhalten. Akzeptiert sei allerdings nur die letzte – versinnbildlicht in der eindrucksvollen Szene einer subtil humorvollen, clever absurden, manchmal aufdringlichen, theatralisch wahrhaftigen Webserie.
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