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Israel, Hamas und der Gazastreifen: Die Grenzen der Solidarität
Bei Gaza-Demos in Nordrhein-Westfalen heizten linke Gruppen die Stimmung an
»Macht die Scheißmusik aus!«, ruft ein junger Mann am Samstagnachmittag auf dem Oberbilker Markt in Düsseldorf. Er ist Teil einer Palästina-Solidaritätsdemonstration, die an diesem Nachmittag stattfindet. Die »Scheißmusik« sind arabische Lieder, die den Kampf Palästinas gegen Israel preisen. Die Menge tanzt und jubelt zur Musik. Dem jungen Mann und einigen anderen gefällt das nicht: Man könne nicht so eine Party machen, während in Gaza Menschen fliehen müssen und sterben.
Vor der improvisierten Bühne gibt es deswegen ein bisschen Geschrei. Leon Wystrychowski erklärt der sicher 700 Menschen umfassenden Menge daraufhin, warum es rund um die Musik Stress gab. Er erklärt, dass die Musik nun ausgeschaltet bleibt. Nutzt die Gelegenheit aber auch, um zu erklären, warum er die Musik eigentlich gut findet. Es gehe darum, den »palästinensischen Widerstand« und seine Erfolge zu »feiern«.
Teller und Rand ist der nd.Podcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.
Leon Wystrychowski ist voll auf Sendung. Bei der Kundgebung in Düsseldorf spricht er immer wieder. Er bestreitet, dass es einen Krieg zwischen der Hamas und Israel gibt; was dort passiert, nennt Wystrychowski einen »Aufstand« der Palästinenser*innen. Es sei eine »großartige Leistung«, dass viele Waffen nach Gaza geschmuggelt und »effizient« eingesetzt wurden. Die Demonstrant*innen antworten auf den Redebeitrag mit »Allahu akbar!«-Rufen.
Wie eine Demonstration für Frieden zwischen Israel und Palästina wirkt nicht, was auf dem Oberbilker Markt passiert. Angefeuert von Linken wie Wystrychowski, der in Bochum Islamwissenschaften studiert und schon bei den viel beachteten Aktionen in Duisburg dabei war, findet eine Demo statt, bei der die Attacken auf Israel bejubelt werden. Die Polizei hält sich in Düsseldorf und anderen Städten in Nordrhein-Westfalen an diesem Wochenende zurück. Begleitet die Demonstrationen, hat Dolmetscher*innen dabei und will Rufe und Redebeiträge auf strafrechtlich relevante Inhalte überprüfen.
In Düsseldorf kommt es nur zu einer kurzzeitigen Ingewahrsamnahme, nachdem ein Demonstrant einen einzelnen Mann mit proisraelischem Schild belästigt hatte. Umstehenden gegenüber deeskalieren die Polizist*innen mit Worten.
Auch die Auftaktkundgebung früher am Tag war nicht eskaliert, als sich eine kleine Gruppe linker Gegendemonstrant*innen mit einer israelischen Fahne und einem Transparent »Das Problem heißt: Antisemitismus« am Rand aufgestellt hatte. Die Polizei bildete Ketten um die Israel-Freund*innen, und die Ordnungskräfte der Palästina-Demo beruhigten ihre Teilnehmer*innen. Verbal mussten die israelsolidarischen Demonstrant*innen allerdings die in diesem Kontext üblichen Beleidigungen einstecken.
Einen Tag später in Wuppertal. Auf dem großen Berliner Platz wirken die beiden Gruppen etwas verloren. 25 Personen sind es etwa. Auf der einen Seite ein Transparent »Widerstand bleibt legitim«, dazu eine palästinensische Fahne. Auf der anderen kleine Israel-Fähnchen. Auf beiden Seiten: Linke. Die propalästinensischen sprechen vor allem über Repression und Verbote von Demonstrationen. Israel wird als »Apartheidstaat« bezeichnet, außerdem geht es viel um Imperialismus.
Die Gruppe nennt sich Internationale Jugend, es ist eine von vielen Klein- und Jugendgruppen, die sich einem autoritär-kommunistischen Spektrum zuordnen lassen. Eine andere Gruppe aus diesem Spektrum ist die Palästina-Solidarität Duisburg, die auch in Düsseldorf tonangebend war. Auch auf Instagram postet die Gruppe viel. Tel Aviv wird dort als »Siedlung« bezeichnet und Raketen auf die Stadt als »Widerstand«. Ein anderes Bildchen zeigt das gesamte israelisch-palästinensische Gebiet unter Palästina-Fahne. Standpunkte, die jahrzehntelang von propalästinensischen Linken vertreten wurden, wie die Forderung, den UN-Teilungsplan von 1947 umzusetzen, anderweitig eine Zwei-Staaten-Lösung zu finden, kommen nicht vor. Stattdessen wird dem »Widerstand« gehuldigt.
Die mangelnde klare und glaubwürdige Distanzierung vom Terror der Hamas, von den angerichteten Massakern treibt viele Linke um, die sicher nicht dem Spektrum zuzuordnen sind, das klassischerweise als »antideutsch« bezeichnet wird. In Wuppertal wird das auch in Redebeiträgen und den Gesprächen der Menschen deutlich. Viele fragen sich, warum Gruppen sich nicht klar vom Terror distanzieren. Viel geht es um den Charakter der Hamas, man fragt sich, warum es Linke gibt, die nicht begreifen wollen, wofür islamistische Bewegungen verantwortlich sind. Was der IS angerichtet hat und was der Iran täglich macht.
Antworten kommen von der Gegenseite in Wuppertal nicht, es wird folkloristische Musik aus Palästina gespielt und getanzt. Als die Gegner von Terror und Antisemitismus ihre Kundgebung beenden, rufen Teilnehmer*innen der anderen Kundgebung: »Jugend, Zukunft, Sozialismus!«
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