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Bevor sich der Eiserne Vorhang senkte

Wilfried Loth schaut zurück, wie die Alliierten 1945 Frieden in Europa schaffen wollten

  • Siegfried Prokop
  • Lesedauer: 5 Min.
Die »Großen Drei«, Churchill, Roosevelt und Stalin, auf der Konferenz von Jalta, Februar 1945
Die »Großen Drei«, Churchill, Roosevelt und Stalin, auf der Konferenz von Jalta, Februar 1945

Der emeritierte Professor der Universität Duisburg-Essen Wilfried Loth ist ein ausgewiesener Spezialist für die Geschichte des Kalten Krieges. Das unterstreicht er ein weiteres Mal mit seinem neuen Buch.

Die »Großen Drei«, die sich 1941 zur Anti-Hitler-Koalition verabredeten, wollten den Krieg gewinnen, aber den Frieden nicht verlieren. Winston Leonard Spencer Churchill, Josef Wissarionowitsch Stalin und Franklin Delano Roosevelt hofften auf einen dauerhaften Frieden nach der von ihnen geforderten bedingungslosen Kapitulation Nazideutschlands. Ihr Frieden sollte sich vom Friedenssystem von Versailles nach dem Ende des Ersten Weltkrieges dadurch unterscheiden, dass er nachhaltig sein würde. Ein erneutes Aufkommen von Revanchismus und aggressivem Nationalismus sollte auf Dauer verhindert, vor allem der deutsche Militarismus mit Stumpf und Siel ausgerottet werden.

Die drei Repräsentanten der Hauptsiegermächte des Zweiten Weltkrieges gingen – in unterschiedlicher Weise – davon aus, dass das Deutsche Reich aufgeteilt werden müsse. In einem Memorandum vom 10. Januar 1945 warnte Maxim M. Litwinow, sowjetischer Botschafter in den USA, vor »Missverständnissen und Spannungen«, die aus den »Unterschieden im Zugang zur Errichtung von Ordnungs- und Regierungssystemen in einigen Ländern Europas resultieren konnten«.

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Die Gefahr, dass die Westmächte wieder Abstand vom gemeinsamen Ziel nehmen würden, ließ ihn selbst allerdings umso entschiedener für die Aufteilung Deutschlands eintreten. So plädierte er für eine Sieben-Staaten-Variante: Preußen unter Abtretung von Ostpreußen, Oberschlesien und Schleswig; ein zweiter »Nordstaat« aus Hessen-Nassau, Hannover, Oldenburg und Bremen; ein neu gebildeter Rheinisch-Westfälischer Staat; dazu dann Sachsen, Württemberg, Baden und Bayern als eigenständige Staaten im Süden.

Eine Vereinigung der vier Südstaaten als erster Schritt zu einer Wiedervereinigung ganz Deutschlands wurde abgelehnt. Am 24. März 1945 jedoch sprach der sowjetische Außenminister Wjatscheslaw Molotow in einem Telegramm an seinen Botschafter in London, Fjodor T. Gusew, davon, dass die Frage der Aufteilung Deutschlands die Westmächte als Erste gestellt hätten. Nun jedoch würden sie versuchen, die Verantwortung für die Aufteilung auf die UdSSR zu schieben. Spätestens Anfang Mai 1945, meint Loth, wurde aus der Entscheidung der Sowjetführung, nicht mehr auf die Aufteilung Deutschlands zu drängen, ein offenes Bekenntnis, für die Wahrung der Einheit der bei Deutschland verbleibenden Gebiete einzutreten.

Ein führender westlicher Vertreter der Zerstückelung Deutschlands war der US-Finanzminister Henry Morgenthau, der gar einen Plan für die Umwandlung Deutschlands zu einem Agrarland vorgelegt hatte. Er verlor jedoch an Einfluss, nachdem nach Roosevelts Tod im April 1945 dessen Vizepräsident Harry S. Truman Chef im Weißen Haus in Washington geworden war. Und als er dann nicht in die US-Delegation zur Potsdamer Konferenz im Juli/August 1945 aufgenommen wurde, unterbreitete er sein Rücktrittsangebot.

Mit der Ausschaltung von Morgenthau gewann allerdings die Sorge vor einem wirtschaftlichen Zusammenbruch Europas an Gewicht, ebenso die Befürchtung vor einem Vormarsch der Kommunisten in ganz Europa. Truman beharrte nun darauf, dass einer raschen Wiederankurbelung der Kohleproduktion in Deutschland unbedingte Priorität eingeräumt werden müsse. Die sowjetische Regierung wiederum beharrte auf dem Vorrang von Reparationsleistungen. Streit entbrannte zwischen den Alliierten auch über die »Kriegsbeute«. Die sowjetische Seite wollte auch die Demontage ganzer Industrieanlagen einbezogen wissen.

Im März 1945 unterbreitete der britische Premier Winston S. Churchill den Vorschlag, den »Handschlag mit den russischen Armeen möglichst weit im Osten« zu vollziehen. In einem Telegramm an Truman vom 12. Mai sprach er vom »eisernen Vorhang«, den »die Russen« entlang ihrer Front von Lübeck bis Triest und Korfu gezogen hätten. In einem Gespräch mit Sowjetbotschafter Gusew verwandte er den Begriff »eiserner Sichtschutz«, hinter dem laut Churchill Moskau bereits »Marionettenregierungen« errichtet habe.

Loth unterstreicht, dass der Zusammenbruch des faschistischen Deutschen Reiches in einem Moment nervöser Spannungen unter den Alliierten erfolgt sei. Stalin bestand auf Zusicherungen hinsichtlich der sowjetischen Einflusssphäre in Osteuropa, die er beim Treffen der Alliierten in Jalta im Februar 1945 erhalten hatte – ohne Rücksicht auf die innenpolitischen Begründungszwänge, vor denen der britische Premier und mehr noch der US-amerikanische Präsident standen.

Wie auch immer, es kam zur Bildung des Alliierten Kontrollrats und der Kommandanturen für die Verwaltung der in Sektoren aufgeteilten deutschen Hauptstadt Berlin. Die Konferenz in Schloss Cecilienhof im Juli/August 1945 erbrachte dann mit dem Potsdamer Abkommen das wohl bedeutendste, Weichen stellende Nachkriegsdokument.

Frankreich war von den großen Entscheidungen der Kriegskonferenzen in Teheran, Jalta und Potsdam ausgeschlossen geblieben. Erst am 26. Juli 1945 wurde ein trilaterales Abkommen über die Bildung der französischen Zone unterzeichnet. Und im Nordwesten Berlins kam es zur Bildung eines französischen Sektors.

Hernach nutzte die Regierung unter Charles de Gaulle ihre Vetomacht im Alliierten Kontrollrat dafür, Gebietsabtretungen im Westen Deutschlands sowie eine Dezentralisierung durchzusetzen. Mit der Blockierung des Beschlusses zur Einrichtung von deutschen Zentralverwaltungen sorgte Paris dafür, dass jede Besatzungsmacht in der praktischen Umsetzung der gesellschaftlichen Umgestaltungen in ihrer Besatzungszone zunächst einmal nach eigenem Gusto agierte.

Sehr gründlich geht Loth auf das Entstehen des Atommonopols der USA im Juli 1945 und die Rolle der atomaren Diplomatie für das Aufkommen des Kalten Krieges ein. Ausführlich werden die Europa-Pläne der nationalen Widerstandsbewegungen behandelt. Nicht problematisiert wird, dass die Ostdeutschen die größte Last an Reparationszahlungen zu leisten hatten.

Abschließend geht Loth auf den Krieg gegen die Ukraine ein, den die Russische Föderation seit 2014 verdeckt und seit dem 24. Februar 2022 auch offen führt. Die Frage, warum es nach dem Ende des Kalten Krieges nicht zu einer europäischen Sicherheitsordnung unter Einbeziehung Russlands kam, wird vom Autor leider nicht erörtert.

Wilfried Loth: Frieden schaffen. Die Alliierten und die Neuordnung Europas. Campus,
352 S., geb., 34 €.

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