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Brandanschlag auf Synagoge in Berlin: Die Schläge rücken näher
Politiker verurteilen Brandanschlag auf jüdisches Gemeindezentrum
Die Befürchtung, dass es im Zuge der derzeitigen Eskalation des Nahost-Konflikts auch zu Angriffen auf jüdische Einrichtungen kommen könnte, scheint sich bewahrheitet zu haben: In Mitte warfen Unbekannte in der Nacht auf Mittwoch Molotowcocktails in die Richtung eines jüdischen Gemeindezentrums. Die Brandsätze verfehlten das Ziel allerdings und entzündeten sich auf dem Gehweg vor dem Gebäude. Die Täter flohen daraufhin unerkannt. Verletzt wurde niemand.
In dem Gemeindezentrum in der Brunnenstraße ist neben einer Thoraschule und einer Kita auch die Synagoge der orthodoxen Gemeinde Kahal Adass Jisroel untergebracht. Die 2013 gegründete Gemeinde ist nicht mit der Rechtsnachfolgerin der historischen Gemeinde Adass Jisroel, die ihren Sitz in der Tucholskystraße hat, zu verwechseln. Die kleine Gemeinde besteht aus mehreren Dutzend Familien, ein Teil der Mitglieder wohnt in der Nähe der Synagoge. Kurz nach dem Brandanschlag kam es zu einem weiteren Vorfall: Ein Mann lief am Mittwochmorgen auf das Gemeindezentrum zu und brüllte antisemitische Parolen. Die Polizei nahm ihn nach eigenen Angaben fest.
Die antisemitische Gewalttat sorgt für Entsetzen. »Es gibt keine Rechtfertigung, den Hass nach Berlin zu tragen«, sagte Innensenatorin Iris Spranger (SPD) am Mittwoch vor Journalisten. »Es gibt keine Rechtfertigung, andere zu beleidigen, zu bedrohen, zu attackieren.« Dies werde mit den Mitteln des Rechtsstaats verfolgt. Spranger lobte den Objektschutz, der verhindert habe, dass die Täter näher an das Gebäude hätten herankommen können. »Genau deshalb haben wir ja die Schutzmaßnahmen erhöht«, sagte Spranger. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sowie Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) verurteilten die Tat.
Gideon Joffe, der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Berlin, sprach von einer »neuen Dimension« der Gewalt gegen Juden. »85 Jahre nach der Reichspogromnacht sollen in Deutschlands Hauptstadt Synagogen wieder brennen«, so Joffe. Jüdinnen und Juden fühlten sich in der Stadt nicht mehr sicher.
»Es macht uns fassungslos, dass Jüdinnen und Juden in Berlin immer mehr Hass und Gewalt ausgesetzt sind«, erklärte der Linke-Landesvorsitzende Maximilian Schirmer laut einer Pressemitteilung. »Das dürfen wir nie wieder zulassen und müssen uns dem wachsenden Antisemitismus aktiv entgegenstellen.« Linke-Ko-Landesvorsitzende Franziska Brychcy forderte, dass Politik und Gesellschaft für ein friedliches Zusammenleben in der Stadt eintreten müssten.
Es liegt nahe, dass der Anschlag in Zusammenhang mit einer Explosion in einem Krankenhaus in Gaza steht. Dort sollen mehrere hundert Personen gestorben sein. Israel und Palästinenserbehörden werfen sich gegenseitig vor, für die Explosion verantwortlich zu sein. Nach Bekanntwerden der Tragödie versammelten sich am späten Abend zunächst 350 Personen am Brandenburger Tor und gedachten der Toten in Stille und mit Kerzen. Über die Zeit drangen jedoch immer mehr Menschen nach Mitte und die Stimmung heizte sich zunehmend auf. Die Polizei löste die Demonstration gegen 22 Uhr auf, behelmte Polizisten schützten das nahegelegene Holocaust-Mahnmal.
Zugleich kam es rund um die Sonnenallee in Neukölln zu Ausschreitungen. Die belebte Straße ist seit dem Massaker von Hamas-Militanten an israelischen Zivilisten fast täglich Schauplatz von Schlagabtauschen zwischen Polizei und propalästinensischen Demonstranten. Vor allem in den Abendstunden bilden sich hier häufig Trauben von Jugendlichen, die teilweise auch aggressiv gegenüber Polizisten werden. Erst am Montag war ein Paar, das sich auf Hebräisch unterhalten hatte, mit Feuerwerkskörpern angegriffen worden. Vertreter von Palästinenserorganisationen werfen der Polizei wiederum vor, an der Sonnenallee Racial Profiling vorzunehmen und Anwohner willkürlich zu kontrollieren. Dies sei antimuslimischer Rassismus, heißt es in einer Pressemitteilung des Vereins ›Palästina spricht‹.
Auch am Dienstag war es schon vor Bekanntwerden der Explosion in Gaza zu kleineren Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Demonstranten gekommen. Jugendliche bewarfen Polizisten mit Flaschen und Feuerwerkskörpern, bevor sich die Lage zeitweise wieder beruhigte. Als die Nachricht von dem Angriff auf das Krankenhaus die Runde machte, eskalierten die Proteste allerdings weitgehend. An mehreren Stellen errichteten Vermummte brennende Barrikaden aus Mülltonnen und E-Rollern. Auch ein Fahrzeug brannte. Feuerwehrleute sollen angegriffen worden sein, die Polizei setzte Wasserwerfer ein. Augenzeugen berichten zudem von Pfeffersprayeinsätzen. Die Polizeigewerkschaft sprach im Anschluss von 20 verletzten Beamten.
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