Dürre im Amazonas-Regenwald

Hitze und Trockenphasen im Amazonas werden immer häufiger. Selbst der Monsun könnte an einen Kipppunkt geraten

  • Niklas Franzen
  • Lesedauer: 9 Min.

Die Nachricht ging schnell um die Welt: Mehr als 100 tote Flussdelfine wurden Anfang Oktober im brasilianischen Regenwald an die Ufer geschwemmt. Die seltenen Tiere waren im Lago do Tefé, einem Nebenarm des Amazonas, geborgen worden. Videos des Mamirauá-Instituts, einer Forschungseinrichtung des Wissenschaftsministeriums, zeigten Geier, die sich über die Kadaver hermachten. Expert*innen vermuten: Die Delfine sowie Tausende Fische sind den Wassertemperaturen bis zu 40 Grad Celsius zum Opfer gefallen.

Die Flussdelfine, in Brasilien »botos« genannt, werden nicht nur in der indigenen Mythologie verehrt. Sie gelten auch als Indikator für die Gesundheit der Region. Derzeit erlebt Amazonien eine massive Trockenphase. Es regnet kaum, die Temperaturen sind überdurchschnittlich hoch, Flüsse trocknen aus. »Das gesamte Ökosystem ist durch die Dürre aus dem Gleichgewicht geraten«, sagt der Geologie-Professor der Universität von São Paulo (USP), Pedro Luiz Côrtes, dem »nd«.

Extremwetter häufen sich

Brasilien erlebt die Auswirkungen eines El Niño. Bei diesem Klimaphänomen, das im Fachjargon El Niño Southern Oscillation (ENSO) gennant wird, ändern sich die Meeresströme und das Klima. Teile des östlichen Pazifiks werden wärmer, westliche Teile kühler. Das führt in manchen Regionen zu Starkregen, in anderen zu Dürren. So auch in Brasilien.

Im Süden des Landes kam es in den vergangenen Wochen zu heftigen Regenfällen. In einigen Regionen regnete es an einem Tag so viel wie normalerweise in einem Monat. Etliche Menschen starben bei Überschwemmungen und Erdrutschen.

Gleichzeitig regnete es im Norden und Nordosten des Landes viel weniger. »Die Folgen solcher Wetterphänomene werden immer extremer. Wenn es regnet, dann sehr stark. Wenn es trocken ist, ist es sehr trocken«, sagt Côrtes, der seit vielen Jahren zu Umweltthemen forscht und den Masterstudiengang Umweltstudien koordiniert. Für ihn hängt das mit dem Klimawandel zusammen: »Bei normalen Temperaturen verdunstet Wasser allmählich, die Wolken haben länger Zeit, um sich auszubreiten. Der Treibhauseffekt führt zu mehr Energie und höheren Temperaturen. Dadurch geschieht die Verdunstung viel schneller, es bilden sich schneller Wolken.« So komme es zu einem Ungleichgewicht, die Extremwetterereignisse häuften sich. Forscher*innen sorgen sich, weil die Trockenphase in Amazonien gerade erst begonnen hat. Die Temperaturen dürften in den nächsten Wochen noch weiter ansteigen.

Amazonien ist ein Lebensraum der Superlative. Hier wächst der weltweit größte tropische Regenwald mit einer riesigen Artenvielfalt an Tieren und Pflanzen, von denen viele noch nicht einmal entdeckt sind. Über neun Länder erstreckt sich der gigantische Wald, wobei der größte Teil zu Brasilien gehört. Und dort fließt der längste und wasserreichste Fluss der Welt: der Amazonas. Das komplexe Ökosystem hat Auswirkungen auf den ganzen Planeten. Die meisten Forscher*innen sind sich sicher: Veränderungen in der Region könnten dramatische Konsequenzen für das weltweite Klima haben.

Durch die derzeitige Dürre ist der Pegel des Amazonas in den vergangenen Wochen täglich um fast 30 Zentimeter gesunken. Nebenflüsse haben sich in kleine Bäche verwandelt. Der fehlende Regen bedroht auch den stark von Wasser abhängigen tropischen Feuchtwald. Wenn es nicht genug regnet, könnte das ganze Ökosystem aus den Fugen geraten. Etliche Tierarten drohen zu verenden und auch die Flora ist in Gefahr. Je trockener die Bäume sind, desto anfälliger sind sie für die Waldbrände, die jedes Jahr große Teile des Regenwaldes zerstören.

Forscher*innen konnten beobachten, dass die Zeitabstände zwischen extremen Dürren immer kürzer werden. So kam es 2005 und 2010 zu Trockenphasen, die jeweils als »Jahrhundertdürre« eingestuft wurden. In den Jahren 2015 und 2016 folgten aber noch extremere Dürren. Laut wissenschaftlichen Berechnungen könnten überdurchschnittlich trockene Jahre ab 2025 bereits alle zwei Jahre vorkommen – und ab 2050 die neue Normalität werden. Laut Wissenschaftler*innen des Potsdam Institut für Klimafolgenforschung (PIK) würde dies schwerwiegende Folgen haben: Weite Teile des Regenwaldes drohen sich in eine Savanne zu verwandeln. Das hätte verheerende Folgen für die Biodiversität und letztlich auch das globale Klima.

Ohne Flüsse keine Transportwege

Zwar sind weite Teile des Dschungels unzugänglich, doch alleine im brasilianischen Teil Amazoniens wohnen mehr als 20 Millionen Menschen. An den Flussufern, tief im Urwald, aber auch in pulsierenden Millionenstädten wie Manaus und Belém. Auch sie trifft die derzeitige Dürre mit voller Härte. Da es in weiten Teilen Amazoniens keine Straßen gibt, sind die Menschen auf die Flüsse angewiesen, um Lebensmittel zu transportieren, zum Arzt zu gehen oder die Schule zu besuchen. Etliche Dörfer sind derzeit von der Außenwelt abgeschnitten, da die Flüsse aufgrund der Trockenheit nicht tief genug sind, um mit Schiffen darauf zu fahren. Darunter leidet auch die Produktion, gerade in der Millionenstadt Manaus. Viele Rohstoffe können nicht angeliefert, hergestellte Produkte nicht weitertransportiert werden.

Die Landesregierungen der betroffenen Bundesstaaten riefen den Notstand für einige Gebiete aus. Vizepräsident Geraldo Alckmin reiste in die Region und Umweltministerin Marina Silva ließ Hilfslieferungen in die abgeschnittenen Regionen anordnen. Im Januar hatte die Regierung unter dem Sozialdemokraten Luiz Inácio Lula da Silva ihr Amt angetreten und eine radikale Wende in der Umweltpolitik versprochen. Laut dem Geologen Pedro Luiz Côrtes gehe die Lula-Regierung viel koordinierter als die vorherige Administration des Rechtsextremen Jair Bolsonaro vor. »Doch leider reagiert die Politik meist nur auf solche Extremwetterereignisse, anstatt sich darauf vorzubereiten«, kritisiert er. Sowohl Kommunal- und Landes- als auch Bundesebene hätten es versäumt, präventive Maßnahmen zu ergreifen. Die Prognose eines El Niño habe es schon lange gegeben und die letzten Wetterphänomene dieser Art zeigten: Die Auswirkungen fallen immer extremer aus.

Was vielen zudem Sorgen bereitet: Laut Berechnungen könnte das El-Niño-Klimamuster in diesem Winter seinen Höhepunkt erreichen. Wissenschafler*innen der US-Ozeanografie- und Meteorologiebehörde (NOAA) glauben, dass sich bis Dezember einer der intensivsten El Niños entwickeln könnte, der jemals gemessen wurde: ein Super-El-Niño. Andere Forscher*innen riefen dazu auf, nicht in Panik zu verfallen – die Schwankungen zwischen El-Niño-Ereignissen machten es schwierig, Aussagen über die Intensität solcher Phänomene vorherzusagen.

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Dennoch war die Hitze im südamerikanischen Frühjahr nicht in erster Linie auf El Niño zurückzuführen, wie eine soeben veröffentlichte Attributionsstudie zeigt. »Obwohl ENSO die großräumigen Wettermuster beeinflusst hat, ist der direkte Beitrag zur extremen Hitze im Vergleich zum Signal des Klimawandels gering«, heißt es in der Zusammenfassung bei World Weather Attribution. Ohne die menschengemachte Klimaerwärmung wären die Frühjahrstemperaturen um 1,4 bis 4,3 Grad Celsius niedriger ausgefallen als die tatsächlich gemessenen. Die Wahrscheinlichkeit der frühen Hitzewelle sei mit dem Klimawandel mindestens um das Hundertfache gestiegen. Unter derzeitigen Klimabedingungen würde eine derartige Hitzewelle statistisch einmal in 30 Jahren auftreten. Mit einer weiteren Erwärmung könnten diese Wellen jedoch noch häufiger werden und die Temperaturen dabei noch höher ausfallen.

Gefahr für den Monsun

Vor einigen Tagen machte eine weitere Hiobsbotschaft für den Regenwald die Runde. Im Fachjournal »Science Advances« wurde das Ergebnis einer Studie veröffentlicht: Forscher*innen des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung und der norwegischen Universität Tromsø (UiT) fanden heraus, dass die globale Erderwärmung, die Entwaldung und die intensivierte Landnutzung zu einer kritischen Destabilisierung des südamerikanischen Monsuns führen könnten. Sollte ein Kipppunkt überschritten werden, ist mit erheblich weniger Niederschlag zu rechnen. Zwar ließe sich kein genauer Zeitraum für solch eine Destabilisierung bestimmen, dennoch warnen die Wissenschaftler*innen eindringlich. »Waldverluste durch direkte Abholzung, Dürren und Brände können das Klima in Südamerika demnach erheblich verändern und dazu führen, dass die komplexen Kopplungsmechanismen zwischen Amazonas-Regenwald und südamerikanischer Monsunzirkulation einen kritischen Punkt der Destabilisierung überschreiten«, erklärte der Klimawissenschaftler und Erstautor der Studie Nils Bochow auf der Seite des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung. »Die hier vorgestellten Ergebnisse deuten auf eine bevorstehende Verschiebung im Amazonas-Ökosystem hin, wenn die Abholzung und die globale Erwärmung nicht gestoppt werden.«

Für das Klima und die Erhaltung des Amazonas-Regenwaldes ist ein Feuchtigkeitsaustausch über Niederschlag und Verdunstung fundamental. Teile des Regens in Amazonien stammen aus Verdunstungen der Bäume. Abholzungen könnten diesen Austausch nachhaltig schädigen, den der Regenwald zum Überleben braucht. »Ein Zusammenbruch des gekoppelten Regenwald-Monsun-Systems würde in weiten Teilen Südamerikas zu einem erheblichen Rückgang der Niederschläge führen«, schrieb der PIK-Forscher und Koautor Niklas Boers. Die herrschende Dürre gibt einen Vorgeschmack darauf, was das für die Region bedeuten könnte.

Abholzung hat sich verlagert

Seit dem Amtsantritt der Lula-Regierung ist die Abholzung in Amazonien deutlich zurückgegangen. »Wir machen unsere Hausaufgaben«, hatte Umweltministerin Silva verkündet. Laut Studien ist sie jedoch in anderen Regionen Brasiliens, wie der zentral gelegenen Cerrado-Savanne, angestiegen. Die Abholzung bleibt ein großes Geschäft und der maßgeblich für die Zerstörung verantwortliche Landwirtschaftssektor hat trotz der Abwahl Bolsonaros weiterhin viel Einfluss im Land: 300 der 513 Abgeordneten werden einer überfraktionellen Interessenvereinigung des Agrobusiness zugeordnet. Immer noch rollen Bagger durch den Regenwald, immer noch führen Viehwirte Brandrodungen durch, immer noch dringen Goldgräber in indigene Territorien ein.

Beim Amazonas-Gipfel in der brasilianischen Großstadt Belém stellten die Staatschefs der Amazonas-Staaten Anfang August einen Plan vor, um die Zerstörung des Regenwaldes aufzuhalten. Es soll ein Expertenpanel geschaffen werden, inspiriert vom IPCC der Vereinten Nationen sowie eine regionale Beobachtungsstelle für den besseren Informationsaustausch. Außerdem soll eine Polizeivermittlungsstelle in der brasilianischen Amazonas-Stadt Manaus entstehen, um Umweltvergehen auch über Grenzen hin effektiver verfolgen zu können. Dennoch kritisierten viele die Abschlusserklärung, da sie kaum klare und konkrete Verpflichtungen enthielt.

Brasiliens Präsident Lula pocht darauf, dass die Industrienationen jährlich 100 Milliarden US-Dollar zum Schutz des Regenwaldes zur Verfügung zu stellen. Das wurde bereits 2009 auf der Weltklimakonferenz versprochen. Diese Forderung dürften die südamerikanischen Staaten auf der Weltklimakonferenz Cop 28 vertreten, die Ende November in Dubai startet.

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