Probleme mit Clara Zetkin

Tübingen will in nach der Kommunistin benannter Straße auf »umstrittene« Namensgeberin hinweisen

  • Interview: Alieren Renkliöz
  • Lesedauer: 4 Min.
Plakat bei einer Demonstration gegen die Stigmatisierung Zetkins in Tübingen.
Plakat bei einer Demonstration gegen die Stigmatisierung Zetkins in Tübingen.

In Tübingen sollen die Straßenschilder der dortigen Clara-Zetkin-Straße mit einem »Knoten« und der Aufschrift »Dieser Straßenname steht in der Kritik« markiert werden. Seit dem Frühjahr kämpft Ihre Initiative dagegen. Warum?

Im Gegensatz zu rechten Demokratiefeinden, nach denen in Tübingen immer noch Straßen benannt sind und die eine solche Markierung erhalten, hat die Sozialistin und Kommunistin Clara Zetkin sich für Freiheit, Gleichheit und Solidarität eingesetzt. Wegen ihres emanzipatorischen Engagements geriet sie schon früh ins Visier rechter Terrororganisationen. Ausgerechnet sie in einem Atemzug mit Faschisten zu nennen, verbietet sich. Die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten hat sich zurecht empört, dass jede Gleichsetzung von Antifaschistinnen und Antifaschisten mit den Verbrechern und Profiteuren des Naziregimes eine »untragbare und überaus gefährliche Form des Geschichtsrevisionismus« sei. Tatsächlich ist es ein Skandal, dass Clara Zetkin auf die gleiche Weise »markiert« werden soll wie Faschisten, Kriegs- und Kolonialverbrecher.

Wie begann die Auseinandersetzung um den »Knoten« und was hat es mit dieser Markierung auf sich?

Ursprünglich hatte der Gemeinderat eine siebenköpfige Expertenkommission unter Leitung des Historikers Johannes Großmann beauftragt, die Biografien von elf Namensgebern von Tübinger Straßen, die mit Faschismus, Kolonialismus und Kriegsverbrechen in Verbindung stehen, zu untersuchen. Die Kommission sollte eine Empfehlung abgeben, ob eine Umbenennung dieser Straßen angebracht wäre. Plastiken aus dem 3D-Drucker in Form von »Knoten« machten im Stadtbild sichtbar, dass zu den Straßen gerade geforscht wird. Nach eigenen Angaben hat die Kommission ihren Auftrag dann »selbst erweitert«: Im Januar führte sie in ihrem Abschlussbericht sogar 18 kritikwürdige Namensgeberinnen und Namensgeber an – darunter eben auch Clara Zetkin. Die Kommission empfiehlt aber nicht, alle diese Straßen umzubenennen. Bei einigen solle der Name beibehalten, aber die eigentlich nur temporär vorgesehene Markierung dauerhaft angebracht werden.

Wie argumentiert die Kommission im Fall von Zetkin?

Zetkin wird von der Kommission »Mitwirkung an Justizverbrechen« und »Demokratiefeindlichkeit« vorgeworfen. Sie soll bei einem Prozess in Moskau 1922, an dem sie im Auftrag der Kommunistischen Internationale teilnahm, für Todesurteile gegen sogenannte Sozialrevolutionäre plädiert haben. Einen Nachweis dafür blieb die Kommission schuldig – kein Wunder, denn Zetkin hat sich nie für Todesstrafen ausgesprochen. Tatsächlich hat sie sich damals sogar erfolgreich gegen die Vollstreckung von Todesurteilen eingesetzt. In ihrem Abschlussbericht bezeichnet die Kommission die »Argumentation« Zetkins als »totalitär«. Die Totalitarismus-Theorie ist jedoch grundsätzlich wissenschaftlich fragwürdig.

Aber muss eine Kommunistin, die die Reichen entmachten will, nicht zwangsläufig antidemokratisch sein?

Nein. Zetkin kritisierte an der bürgerlichen Demokratie, dass politische Gleichberechtigung lediglich eine äußerliche Sache bleibt, solange sie nicht die wirtschaftliche Gleichheit als Grundlage hat. Sie wollte aber nicht weniger, sondern mehr Demokratie – das unterscheidet sie grundlegend von den rechten Demokratiefeinden. Und natürlich war die bürgerliche Demokratie für sie ein Fortschritt gegenüber der Feudalherrschaft. Sie war die erste Frau, die überhaupt in einem deutschen Parlament eine Rede hielt. Und sie hat die Weimarer Republik gegen die faschistische Bedrohung verteidigt.

Wie ist der Stand der Auseinandersetzung?

Unser Aktionsbündnis wird inzwischen von über 25 linken, feministischen, antifaschistischen und antimilitaristischen Organisationen unterstützt. Die Behauptungen der Kommission über Zetkin halten unserer wissenschaftlichen Gegenprüfung nicht stand. Unsere Rechercheergebnisse sind auf unserer Website einsehbar. Aber die Tübinger Stadtverwaltung, vor allem das Kulturamt, das die Kommission beauftragt hat, gesteht keine Fehler ein. Stattdessen diskreditieren die Verantwortlichen im Amt den Protest, indem sie behaupten, sie seien Opfer von Diffamierung. Sie erfanden sogar eine angebliche »Flut« beleidigender Einsendungen. Wir haben aber immer sachlich und unter Verweis auf historische Quellen argumentiert.

Was passiert als nächstes?

Am 26. Oktober wird der Gemeinderat darüber abstimmen, ob die Clara-Zetkin-Straße einen »Knoten« bekommt oder nicht. Wir werden Präsenz zeigen und laden zu einer Kundgebung vor dem Rathaus ab 16 Uhr ein. Ab 17 Uhr findet die öffentliche Ratssitzung statt, von der es auch einen Livestream geben wird.

Mehr Informationen auf der Bündnis-Webseite: keinknoten.wordpress.com

Interview


Sophie Voigtmann ist Sprecherin des Aktionsbündnisses »Kein Knoten für Zetkin«. Seit dem Frühjahr engagiert es sich gegen die von der Tübinger Stadtverwaltung geplante Stigmatisierung der bedeutenden sozialistisch-kommunistischen Politikerin, Friedensaktivistin und Vorkämpferin für die Frauenrechte, Clara Zetkin.

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