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Die Suche nach dem Superapfel
Der Klimawandel macht Obstbauern zu schaffen. Neue, robuste Züchtungen sind daher gefragt
Das Jahr 2017 werden Apfelbauern nicht vergessen. Damals kam es in der zweiten Aprilhälfte zu so heftigen Nachtfrösten, dass in Europa zahllose Obstbaumblüten erfroren. Für die Landwirtin Margit Holland vom Bio-Obstgut Bonhausen am Bodensee war es eine »Nullernte«, wie sie sagt. Damit sich so etwas nicht wiederholt, investierte der Betrieb hohe Summen in eine Frostberegnung, die die Blüten vor dem Erfrieren bewahrt. Solche Schäden an Obstbäumen sind – auch wenn es auf den ersten Blick erstaunt – Folgen des Klimawandels. »Wir hatten in den letzten Jahren oft richtig warme Phasen im Februar und März«, berichtet Holland. »Danach wurde es nochmal sehr kalt. Das gab es früher so nicht.«
Milde Winter und ein warmer Vorfrühling lassen Apfelbäume früh erblühen. Was bei unbedarften Städtern Freude auslöst, ist für Obstbetriebe bedrohlich. In dieser Phase sind die Bäume nämlich besonders empfindlich für Minusgrade. »Bis zu den Eisheiligen, also Mitte Mai, können Spätfröste auftreten«, sagt Alexander Zimmermann von der Bayerischen Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau (LWG). Infolge der Klimaerwärmung beginnt die Apfelblüte in manchen Regionen heute im Schnitt zwei Wochen früher als vor 50 Jahren. Setzt sich der Klimawandel fort, dürfte gerade im Norden und Süden Deutschlands das Risiko für Frostschäden weiter steigen, wie Klimaphysiker der Humboldt-Universität zu Berlin errechneten. Eine kontinuierliche Beregnung schützt die Plantagen: Gefriert das Wasser auf den Pflanzen, entsteht sogenannte Kristallisationswärme, die Blüten und Blätter schützt. Entsprechende Anlagen sind allerdings nicht nur teuer, sondern verbrauchen enorm viel Wasser. Und gerade das wird derzeit vielerorts knapp. »In Norddeutschland ist das weniger ein Problem, im Süden aber sehr wohl«, sagt Zimmermann. »In Franken zum Beispiel herrscht große Wasserknappheit.«
Frostschutz mit Windrädern
Daher testen Forscher an der LWG gerade Alternativen. Manche Betriebe in Franken arbeiten zum Beispiel mit Windrädern, die Luftschichten so verwirbeln, dass der Boden erwärmt wird. »Das ist allerdings sehr laut und daher nicht überall machbar«, erklärt der Gartenbauingenieur. Ein anderes Verfahren, das derzeit erprobt wird, setzt Nebel ein. Er soll verhindern, dass sich Bodenwärme verflüchtigt. Auch durch Frostkerzen und Gasheizgeräte lassen sich die Bäume schützen – doch beide Methoden sind teuer und zum Teil wenig effizient.
Die Familie Holland hat hier Glück: Wasser haben sie auf ihrem Obstgut reichlich, da sich auf dem Betriebsgelände zwei Teiche und ein Brunnen befinden. Dieser Reichtum dürfte immer wertvoller werden. »Trockenheit im Sommer wird weiter zunehmen«, sagt Professor Henryk Flachowsky, der das Institut für Züchtungsforschung an Obst am Julius-Kühn-Institut leitet. Angesichts knapper Wasserspeicher wird die Dürre Obstbauern vor immer größere Probleme stellen. »In Spanien und Italien werden Kernobstflächen mancherorts bereits gerodet.« Die wichtigsten Kernobstarten sind Äpfel und Birnen.
Gleichzeitig werden Extremwetterereignisse wie Starkregen, Sturm und Hagel immer häufiger. Wie die meisten Obstbauern am Bodensee schützen die Hollands ihre Plantagen daher mit Hagelnetzen. Auch das ist eine neue Entwicklung. »Als ich ein Kind war, lag alles noch frei«, erzählt Margit Holland.
Es sind aber nicht nur solche direkten Auswirkungen des Klimawandels, die Obstbaubetriebe wie ihrer zu spüren bekommen. Auch indirekt, nämlich über neue Schädlingsplagen, macht sich die Veränderung bemerkbar: »Es gibt jetzt eine Wanzenart, die Riesenschäden anrichtet und auch an Äpfel geht. Dagegen hilft nichts, was im biologischen Anbau verwendet werden darf.« Die Rede ist von der marmorierten Baumwanze, die aus Asien eingeschleppt wurde, sich immer weiter in Süddeutschland breit macht und an Früchten saugt. Das befallene Obst ist nicht mehr verkäuflich. Zimmermann erklärt: »Bisher helfen keine Insektizide. Es gibt noch großen Forschungsbedarf.« In Südeuropa werden zum Beispiel Samurai-Wespen eingesetzt, um Wanzen zu töten.
Mehr Generationen von Schädlingen
Auch altbekannte Schädlinge wie der Apfelwickler bedrohen in größerem Ausmaß die Ernte. »Er kann jetzt wenigstens eine Generation mehr pro Jahr ausbilden, sodass der Infektionsdruck wächst«, erklärt Flachowsky. In immer mehr Äpfeln kann also der Wurm drin sein. Bekämpfen lässt sich das Insekt zum Beispiel durch Sexuallockstoffe, die die Männchen so sehr verwirren, dass die Fortpflanzung scheitert. Zudem gibt es ein Granulat mit Viren, die dem Schädling den Garaus machen. Allerdings gilt für dieses wie für viele andere Probleme im Obstbau: Es muss rechtzeitig erkannt werden. Dazu lassen sich heute diverse digitale Frühwarnsysteme nutzen, die oft auch als App erhältlich sind und laufend verfeinert werden. »Es gibt inzwischen für einige Krankheiten, wie den bakteriellen Feuerbrand, sehr gute Prognosemodelle«, sagt Flachowsky. So lässt sich zum Beispiel sehr genau vorhersagen, wie groß das Risiko für diese Infektionskrankheit jeweils ist.
Gleichzeitig kämpfen Obstbauern gegen altbekannte Krankheiten wie Apfelschorf und Mehltau. Da in der EU immer weniger chemische Pflanzenschutzmittel eingesetzt werden sollen, befürchtet der Agrarwissenschaftler eine Zunahme dieser Pilzkrankheiten. Das ist ein weiterer Grund, warum Forscher mit Hochdruck an der Züchtung resistenter Sorten arbeiten. Schon jetzt gibt es einige, die sich als robust erwiesen haben, etwa Freya, Rubinola, Florina, Rustica, Ariane und Ladina. Als neue Züchtung des Julius-Kühn-Instituts wird bald »Pia 41« erhältlich sein: Die grün-gelbe Sorte, die sich als resistent gegen Apfelschorf erwiesen hat, darf seit kurzem in der EU angebaut werden.
»Die Supersorte, die gegen jede Herausforderung gewappnet ist, gibt es nicht«, sagt Flachowsky. Hinzu kommt, dass bis zur Marktreife Jahrzehnte vergehen. Kann man also nicht einfach auf alte Apfelsorten zurückgreifen? »Ich würde nicht pauschal sagen, dass alte Sorten robuster sind«, so Flachowsky. Auch Zimmermann sagt: »Wir sehen riesige Unterschiede von Sorte zu Sorte.« Als widerstandsfähig hätten sich unter anderem der traditionsreiche Rheinische Winterrambur sowie der Brettacher erwiesen, ein säuerlicher Riesenapfel aus Süddeutschland.
Hitzeverträglich und haltbar
Der Apfel der Zukunft soll aber nicht nur wenig anfällig, sondern hitzeverträglich und lange haltbar sein. Lassen sich die Früchte nämlich auch bei höheren Temperaturen lagern, kann Energie gespart werden. Ideal wären überdies gerade für nord- und süddeutsche Bauern Sorten, die erst spät blühen. Tatsächlich kann etwa der Spätblühende Taffetapfel diesen Anspruch bereits erfüllen. »Der schmeckt aber nicht so toll«, räumt Zimmermann ein. Da Verbraucherinnen und Verbraucher in Deutschland anspruchsvoll sind, arbeiten Züchter gerade an einer Geschmacksverbesserung.
Einen Apfel, der sogar spanische Sommer erträgt, gibt es bereits: Im Frühjahr stellten neuseeländische Wissenschaftler auf der Messe Fruit Logistica ihre Kreation mit dem Markennamen »Tutti« vor. Die Sorte, die speziell für katalanische Anbauverhältnisse gezüchtet wurde, soll so robust sein, dass ihr selbst extreme Temperaturen nichts anhaben können. Sie ist knallrot, wie es sich für einen Apfel gehört und schmeckt bestens – behaupten zumindest die Züchter.
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