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Die letzte Farbe des Chamäleons
Vom Kommunismus zum Faschismus in die Depression: Gabriel Heim hat das Leben seines Vaters Felix Gasbarra erforscht
Felix Gasbarra war Kommunist, wechselte die Seiten und zog von Berlin nach Rom. Nach dem Krieg blieb er in Italien, unbehelligt. Jetzt ist ein Buch über ihn erschienen. Geschrieben hat es sein Sohn, der Fernsehjournalist Gabriel Heim. Sein Vater hat viele enttäuscht, immer wieder: die KP-Genossen, als er fortging, bereits mit dem faschistischen Parteibuch in der Tasche; seine Frau Doris Homann, Malerin und Epigonin von Käthe Kollwitz, die ihm wider besseres Wissen nach Rom folgte; den Regisseur Erwin Piscator, mit dem er gegen Ende der Weimarer Republik Theaterruhm erlangt hatte. Nicht enttäuscht hat er seinen Sohn, denn Gabriel Heim wusste die längste Zeit nicht einmal, dass Gasbarra sein Vater war.
Entsprechend schwierig fiel die Suche aus. Heim begab sich nach Brasilien, wohin Doris Homann nach der Trennung von Gasbarra mit ihren beiden Töchtern Livia und Claudia, seinen Halbschwestern, gezogen war. Bei Claudia, der jüngeren, noch lebenden, fand er eine Schiffskiste mit vielen Fotos, mit Briefen Gasbarras – und mit einem unveröffentlichten Manuskript. Darin gibt Homann Auskunft über die Zeit mit Gasbarra in Berlin und Rom, später in Frascati und auf der Burg Kampenn oberhalb Bozens. Die Trennung erfolgte 1948.
Zwei Jahre später kam Heim zur Welt. Er wuchs bei der Mutter in Zürich auf. Ilse Winter, eine jüdische Berliner Schauspielerin, war vor den Nationalsozialisten erst nach Paris, dann in die Schweiz geflohen. Mit Gasbarra hatte sie über Jahre eine Affäre gepflegt, mit Homanns stiller Duldung. Geheiratet haben beide nie. Später ehelichte Winter einen Zürcher Fabrikanten, Albert Heim, dessen Namen Gabriel jetzt trägt.
Wie geht man mit einem Vater um, der nie Kontakt zu einem gesucht hat? Ein einziges Mal hatte Heim in Bozen Gasbarra besuchen dürfen, als kleines Kind noch, ohne dass dieser sich ihm offenbarte. In einem Reinwaschungsversuch an die Mutter bringt Gasbarra es nicht einmal fertig, den Namen seines Sohnes auszuschreiben. Im Brief heißt er schlicht »G«.
Heim hält sich nicht lange mit Ressentiments auf. Stattdessen versucht er mit den wenigen Informationen, die er hat – Gasbarra ist ein Meister darin gewesen, seine Spuren zu verwischen und alles Schriftliche über ihn verschwinden zu lassen – das Leben seines Erzeugers zu rekonstruieren. Der Versuch ist geglückt. Im Zusammenspiel mit Homanns autobiografischem Roman und Gasbarras Briefen gelingt es Heim, die unheimliche Karriere eines politischen Chamäleons vor Augen zu führen; niemals wertend, stets mit der gebotenen Distanz und mit klarem Blick. Am Ende bleibt ein gehäuteter Gasbarra übrig: desillusioniert; vereinsamt, zynisch; dennoch kein Unsympath, eher jemand, bei dem man sich fragt, wie es zu einer solchen Entwicklung kommen konnte und ob sie wirklich so ungewöhnlich war.
Gasbarra, 1895 in Rom geboren, teilweise in Berlin aufgewachsen, schloss sich mit 25 Jahren der Kommunistischen Partei an. Die bürgerliche Herkunft hatte er bereits zuvor hinter sich gelassen, mit Abschluss seiner Tischlerlehre. Parallel zur Arbeit begann er zu schreiben: Pamphlete, Theaterentwürfe, Texte jeder Art, nur politisch mussten sie sein. Zusammen mit dem radikalen Pazifisten Ernst Friedrich machte Gasbarra erstmals auf sich aufmerksam: Ihre berühmte Dauerausstellung »Krieg dem Kriege« zeigte öffentlich verstümmelte Veteranen, die den Ersten Weltkrieg überlebt hatten, aber weggesperrt wurden, weil man ihren Anblick niemandem zumuten wollte.
Später lernte Gasbarra den Begründer des politischen Theaters kennen, Erwin Piscator. Gemeinsam konzipierten sie Stücke: Gasbarra als Dramaturg, Piscator als Regisseur. Das erfolgreiche Duo brachte Ernst Toller, Bertolt Brecht und Walter Mehring auf die Berliner Bühne und sich selber zu Weltruhm. Noch vor dem Ende der Weimarer Republik, aber schon mit Blick auf die sich abzeichnende Übernahme des Staates durch die Nationalsozialisten, verabschiedete sich Gasbarra. Doch wählte er ein anderes Exil als die in seinen Kreisen üblichen Orte. Gasbarra ging nach Rom. Der Wechsel von links nach rechts erfolgte abrupt, schien aber gut vorbereitet. Das faschistische Parteibuch hatte er bereits in der Tasche. Mit Piscator traf sich Gasbarra noch einmal in Zürich; es kam zum Bruch. Erst nach dem Krieg näherten sich beide wieder an, in Briefen.
In Italien wirkte Gasbarra, wie schon beim Berliner Theater, im Hintergrund. Er übersetzte die Werke führender Regime-Ideologen ins Deutsche und trug so zu einer Stärkung der Achse Berlin-Rom bei. Gasbarra schrieb sogar Rundfunkreden für Mussolini. Beim Sender arbeitete er Tür an Tür mit Ezra Pound, der ebenfalls Radiopropaganda im Dienst des Faschismus betrieb.
Gasbarra war nicht der erste ursprünglich links eingestellte Schriftsteller, der sich von den Faschisten angezogen fühlte. Besagter Ezra Pound, Erich Suckert (Curzio Malaparte), Knut Hamsun, zeitweise auch Ernst Niekisch gingen einen ähnlichen Weg, nicht alle bis zum Ende. Eine Parteikarriere hinlegen und, keineswegs unrealistisch, die rechte Hand im von Mussolinis Schwiegersohn Galeazzo Ciano verantworteten Propagandaministerium zu werden, mochte Gasbarra nicht; »dazu war ich«, lässt er Piscator nach dem Krieg wissen, »politisch viel zu indifferent geworden«.
Warum aber ging Gasbarra überhaupt so weit nach rechts? Einer Antwort auf diese Frage kann sich auch Heim nur annähern. Ein Opportunist scheint Gasbarra nicht gewesen zu sein und damit als Vorbild für die Salvinis und Melonis dieser Welt kaum zu taugen. Gasbarras Gleichgültigkeit wirkt vor allem der Niedergeschlagenheit geschuldet. »Ich sehe weit und breit nichts mehr, für das sich noch zu kämpfen lohnte, sehe es schon seit vielen Jahren nicht mehr.« Entspricht sein Nachkriegsbekenntnis gegenüber Piscator der Wahrheit, war Gasbarra auch schon während der Zeit in Rom ein Desillusionierter.
Das Ende des Ersten Weltkriegs, der Zusammenbruch der alten Ordnung, hatte bei ihm noch für einen Schaffensschub gesorgt. Nach dem Zweiten Weltkrieg will Gasbarra nur arbeiten, um zu überleben. Kurze Zeit arbeitet er für die Briten in Bozen, ein volles Jahrzehnt besorgt er die Schlussredaktion für die Zeitung »Dolomiten«. Mit dem Herausgeber, Michael Gamper, klerikalkonservativ und antikommunistisch, verbindet ihn eine persönliche Freundschaft. Später schreibt er Hörspiele für die Südtiroler RAI, übersetzt unter anderem Jules Verne und George Orwell und verfasst einen satirischen Roman: »Schule der Planeten«. Gasbarra stirbt, fast 90-jährig, in einem Bozener Blindenheim.
Er hat sich nie in die italienische Nachkriegsgesellschaft integriert. Seine Teilnahmslosigkeit macht er zu seinem Lebensmerkmal. »Nein, Erwin«, schreibt Gasbarra kurz nach Kriegsende an Piscator, »ich bin nie ein Bürger gewesen und bin auch keiner geworden.« Kein Bürger, aber Faschist? Gasbarra distanziert sich zu keiner Zeit. In seinen Briefen scheinen seine alten linken Überzeugungen immer wieder durch, gepaart mit Entfremdung und Desillusionierung. »Als damals«, rechtfertigt sich Gasbarra gegenüber Piscator, »die Welt faktisch und moralisch zusammenbrach, für die wir seit 1919 gekämpft hatten, da trat eben jenes Vakuum ein, das sich wenigstens für mich bis heute noch nicht wieder geschlossen hat.« Gasbarra hat dieses Vakuum nie ausgefüllt. Stattdessen erfolgte der Rückzug in sich selbst. Die letzte Farbe des Chamäleons: grau. Auch deshalb ist es für seinen Sohn so schwer, ihn zu fassen. Wer sind Sie denn wirklich, Herr Gasbarra? Auf die Titelfrage gibt es keine Antwort. Oder ganz viele: Die Widersprüche zu klären, treibt einen auch nach der Lektüre weiter um. Was wäre heute aus einem Desillusionierten wie Gasbarra geworden, fragt man sich unwillkürlich.
Gabriel Heim: Wer sind Sie denn wirklich, Herr Gasbarra? Eine Vatersuche auf zwei Kontinenten. Edition Raetia, 384 S., geb., 29 €.
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