Verdi droht mit Streiks im Weihnachtsgeschäft

Die Unternehmen im Einzelhandel haben die Tarifverhandlungen mit Verdi abgebrochen und fordern ein Spitzengespräch

Rund 10 000 Beschäftigte haben nach Angaben der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi am Freitag erneut bundesweit für ihre Forderungen in der Tarifrunde des Einzelhandels gestreikt. Damit reagierten sie auf eine Entscheidung des Handelsverbandes Deutschland (HDE) von Anfang November, die schleppenden Verhandlungen abzubrechen. Der HDE vertritt die Interessen der Unternehmen und fordert von Verdi ein Spitzentreffen auf Bundesebene. Das lehnt die Gewerkschaft aktuell ab und will den Handelsverband zurück an den Verhandlungstisch zwingen.

Seit April hat Verdi mit den Unternehmensverbänden im Einzelhandel bundesweit in bislang über 60 regionalen Tarifrunden verhandelt. Dass es so viele verschiedene Runden gibt, sei eine seit Langem bestehende Tradition und trage den Besonderheiten der Unternehmen vor Ort Rechnung, erklärte Silke Zimmer im Gespräch mit »nd«. Sie ist als Mitglied im Verdi-Bundesvorstand für den Fachbereich Handel zuständig und leitet die Beratungen auf Gewerkschaftsseite.

Doch die stecken seit Monaten in einer Sackgasse. Das letzte Angebot der Unternehmen hat Verdi abgelehnt. Die Einzelhändler hatten den Beschäftigten eine Lohnerhöhung von mindestens zehn Prozent in zwei Schritten und zusätzlich eine steuer- und abgabenfreie Inflationsausgleichsprämie von insgesamt 750 Euro in Aussicht gestellt.

Die Gewerkschaft fordert indes eine Erhöhung der Stundenlöhne um 2,50 Euro, in den meisten Bundesländern einen Lohn von mindestens 13,50 Euro pro Stunde. Zudem sollen die Ausbildungsvergütungen je nach Tarifgebiet um 200 Euro bis 250 Euro angehoben und ein einmaliger Inflationsausgleich ausgezahlt werden. Ziel sei es, die drohende Armut, insbesondere von Frauen im Einzelhandel, zu verhindern. Ihr Anteil in der Branche liege bei etwa 66 Prozent, erklärt die Gewerkschaft. 

Allerdings bliebe der Medianlohn im Einzelhandel selbst mit dieser Lohnerhöhung noch deutlich unter dem der Gesamtwirtschaft in Deutschland. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linkspartei hervor. Danach lagen die Medianentgelte in dem Wirtschaftszweig bei monatlich rund 2800 Euro brutto. Das sind 800 Euro weniger als das gesamtwirtschaftliche Medianeinkommen.

Pascal Meiser, gewerkschaftspolitischer Sprecher Linksfraktion im Bundestag, erklärte dazu gegenüber »nd«: »Die Beschäftigten im Einzelhandel hat die Inflation aufgrund ihres unterdurchschnittlichen Verdienstes besonders hart getroffen.« Vor dem Hintergrund kritisierte er die Blockadehaltung der Unternehmen in den Tarifverhandlungen.

Die Kritik wies Steven Haarke, Verhandlungsführer des Handelsverbandes Deutschland, auf nd-Anfrage jedoch zurück. Er erklärte, dass die Unternehmen keine Handlungsspielräume hätten, um auf die Forderungen der Gewerkschaften einzugehen. »Die finanzielle Schmerzgrenze ist maximal ausgereizt«, teilte er mit. Darum könne man nicht auf die Forderungen der Gewerkschaften eingehen und habe die Verhandlungen mit Verdi vorerst abgebrochen.

Der Wirtschaftszweig steht insgesamt vor großen Herausforderungen. Der Umsatz im Einzelhandel befindet sich durch die Inflation und die damit einhergehende Konsumzurückhaltung in einem Abwärtstrend. Aus Zahlen des Statistischen Bundesamtes geht hervor, dass der Umsatz etwa im Oktober 2023 rund 4,3 Prozent geringer war als im Vorjahr. Ähnlich sah es auch schon im ersten Halbjahr dieses Jahres aus.

»Ein einfaches Weiterso konnte es in dieser Tarifrunde nicht geben«, begründete Haarke den Abbruch der Verhandlungen. Er will nun ein Spitzengespräch mit Verdi, »um effizientere Strukturen für einen baldigen Tarifabschluss auszuloten«.

Bei der Gewerkschaft stößt die Entscheidung auf Unverständnis. »Auf der einen Seite behaupten sie, eine Einigung erreichen zu wollen. Andererseits sagen sie die Verhandlungstermine einseitig ab. Wie unter diesen Vorzeichen eine Einigung im Tarifkonflikt erreicht werden soll, ist mir schleierhaft«, kritisierte Zimmer vom Verdi-Bundesvorstand die Entscheidung im Gespräch mit »nd«. »Es ist skandalös und ein einmaliger Vorgang in der Tarifgeschichte.«

Zudem bezweifelt sie, dass ein Spitzentreffen etwas am Verlauf der Verhandlungen ändern würde. Denn die Verantwortlichen für ein solches Treffen seien bereits für die regionalen Tarifrunden zuständig. »Mir leuchtet nicht ein, warum sich die Position im Rahmen eines Spitzengespräches im Vergleich zu dem ändern sollte, was bislang in den regionalen Runden diskutiert wurde«, erläuterte sie ihre Haltung.

Zimmer fordert dagegen den Verband auf, an den Verhandlungstisch zurückzukehren und verknüpfte dies mit einer Drohung: »Wir verschließen uns nicht vor Gesprächen. Aber wer einseitig Verhandlungen absagt, provoziert Streiks zur Weihnachtszeit.«

Die ist für viele Unternehmen der größte Umsatzbringer des Jahres, wie der HDE mitteilt. Der Verband rechnet demnach mit einem Umsatz von rund 5,8 Milliarden Euro; im Vergleich zum Vorjahr wäre das ein Plus von drei Prozent. Vieles deutet nun auf einen größeren Ausstand schon zu Beginn der Weihnachtszeit zum sogenannten Black Friday am 24. November hin. Das könnte die Unternehmen empfindlich treffen.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.