Antibiotika-Resistenzen aus der Produktion

AOK-Studie ermittelt Gefahren aus Abwässern der Pharmaindustrie

Antibiotika leisten seit Jahrzehnten wichtige Dienste im Kampf gegen Infektionskrankheiten. Doch Resistenzen nehmen stark zu und werden von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zu den zehn größten Gesundheitsbedrohungen gezählt. Zuletzt starben weltweit jährlich rund 1,2 Millionen Menschen an einer Infektion mit resistenten Erregern. Besonders betroffen sind vulnerable Gruppen, darunter Ältere und Menschen mit Vorerkrankungen. Die WHO befürchtet einen Anstieg auf über zehn Millionen bis 2050, wenn nicht wirksame Gegenmaßnahmen getroffen werden.

Die Entstehung von Resistenzen ist eigentlich ein natürlicher Vorgang, erklärt die Biologin Malgorzata Debiak Umweltbundesamt (UBA). Das Problem seien »massive Antibiotika-Einträge von Menschen in die Umwelt«, etwa in der Landwirtschaft und durch Abwässer von Krankenhäusern. Besondere Hotspots sind laut Debiak die Pharma-Produktionsstätten, insbesondere wenn sie in dicht besiedelten Gebieten lägen und die Keime auf die Bevölkerung übertragen würden.

Mit diesem Problem beschäftigt sich eine deutsche Studie. Dabei handelt es sich um ein wahres Mammutprojekt, das von der baden-württembergischen AOK koordiniert wird, an dem das UBA mitwirkt und das vom IWW Zentrum Wasser der Universität Duisburg-Essen durchgeführt wird. Im Jahr 2020 startete die Pilotphase, in der an acht Pharma-Standorten in Indien und je einem in Spanien sowie Italien Wasserproben genommen wurden. Das geschah sowohl in Abwässern der Anlagen selbst als auch in nahe gelegenen Oberflächengewässern. Im Sommer startete die nächste Phase, in der 21 Anlagen einbezogen sind, darunter erstmals auch mehrere in China, was aufgrund der Corona-Maßnahmen zuvor nicht möglich war.

In der Pilotphase wurden in mehr als jeder zweiten Probe Grenzwertüberschreitungen festgestellt, erklärte IWW-Experte Tim aus der Beek bei der Vorstellung der Ergebnisse am Freitag in Berlin. An vier Produktionsstätten habe es sehr deutliche Überschreitungen gegeben: bis zu 10 000-fach beim Antibiotikum Ciprofloxacin und sogar bis zu 1,6-Millionen-fach bei Azithromycin. Dies seien Werte, die er in seiner langjährigen Tätigkeit »so noch nicht gesehen« habe, so der Forscher.

Frühere Studien zum Thema untersuchten ausschließlich Gewässer in der Umgebung von Anlagen in Indien. Die Regierung wies deren Ergebnisse scharf zurück. Die deutsche Untersuchung betrifft wissenschaftliches Neuland, denn bisher gab es laut aus der Beek keinerlei Daten zu Abwässern aus der Produktion. Die zu ermitteln, sei bei den teils mehrere Quadratkilometer großen Anlagen alles andere als einfach gewesen.

Dem IWW-Experten ist es wichtig zu betonen, dass es in der Studie nicht darum gehe, mit dem Finger auf Indien zu zeigen. Tatsächlich seien Grenzwertüberschreitungen auch in Europa festgestellt worden. Die indischen Unternehmen wie auch die Behörden seien zudem durchaus interessiert an den Ergebnissen. Auf dem südasiatischen Subkontinent fehlten nämlich Labore, um die extrem geringen Konzentrationen nachweisen zu können, die je nach Grenzwert nur einem Würfelzucker im Bodensee entsprächen. Zwei indische Produzenten hätten nach Übermittlung der Ergebnisse auch reagiert und ihre Wasseraufbereitung deutlich verbessert.

Durch Dialog mit den Verantwortlichen vor Ort entstehe ein besseres Verständnis für das Problem, meint auch Johannes Bauernfeind, Vorstand der AOK Baden-Württemberg. Pharmahersteller könnten ihre Antibiotika nicht mehr verkaufen, wenn sie aufgrund von Resistenzen nicht mehr wirkten. Eine deutsche Krankenkasse habe aber viel zu kleine Hebel, so Bauernfeind, der die Politik mindestens auf EU-Ebene gefordert sieht. Es sei notwendig, endlich Umweltkriterien ins Arzneimittelrecht aufzunehmen und die Kontrollinstrumente zu verbessern. Als Abnehmer von rund einem Viertel der Medikamente weltweit habe die EU Marktmacht.

Die AOK treibt auch die Frage der Wirtschaftlichkeit um: Laut OECD haben Antibiotika-Resistenzen für das deutsche Gesundheitssystem zuletzt jährliche Kosten in Höhe von 1,2 Milliarden Euro verursacht. Eine marktnahe Versorgung, die stabilere Lieferketten nach sich ziehen könnte, findet Bauernfeind zwar erstrebenswert. Doch der Aufbau dauere lange, und es sei naheliegend, dass man sich auch bei Herstellern in Indien oder China eindecke, wo die riesige einheimische Nachfrage für niedrige Preise sorge. Langfristig geht es laut UBA-Expertin auch um »Green Pharmacy«, doch bisher setze die Politik keinerlei Anreize für eine umweltverträgliche Pharmaproduktion.

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