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Filmfest Cottbus: Mit Zombies durch den Wettbewerb
Beim 33. Filmfestival in Cottbus trafen gesellschaftskritische Filme auf wilde Kreaturen und stille Gefühle
Ost- und mitteleuropäisches Kino ist so mutig wie poetisch. Das zeigen die zwölf Wettbewerbsfilme aus 19 (Ko-)Produktionsländern auf fantasievolle, schmerzvolle und unterhaltsame Weise. Lösungen präsentiert keiner der Filme beim Filmfestival Cottbus, stattdessen regen sie zum Dialog an.
Die zwei eingereichten Zombiefilme sind erstaunlich aktuell. Vardan Tozijas nordmazedonisches Science-Fiction-Drama »M« setzt auf einen märchenhaften Ton aus Sicht des 8-jährigen Marko. Er und sein Vater leben in einem verzauberten Wald. Tagsüber geht Markos Vater auf Zombiejagd, nachts legt er zum Schutze seines Sohnes Handschellen an. Beißt ihn ein Zombie, mutiert er selbst zu einem Untoten. Als Markos Vater gebissen wird, machen sich Marko und sein Freund Miko fernab des Waldes auf die Suche nach Markos Mutter. Die Stärke von »M« liegt in den leisen Tönen der fast lautlosen Freundschaft zwischen Miko und Marko, ihren stillen Blicken und dem Rauschen des Waldes. In Kontrast dazu lauern hässliche Gefahren, die zeigen, wie brutal Menschen sein können, wenn sie um ihre Existenz fürchten. In den Kindern allein liegt die Zukunft.
Auch Xawery Żuławskis polnisches Horrordrama »It came from the water« (»Apokawixa«) kommt nicht ohne Zombies aus. Żuławski lässt Neureichensohn Kamil nach zwei Jahren Corona-Pandemie eine wilde Drogen- und Sexparty in der prunkvollen Villa seines Vaters feiern, wo fast alle Zombies werden. Dass die Menschen aufgrund eines Umweltgiftes von Kamils Papa so geworden sind und dass Veganismus selbst in Zombiezeiten für eine bessere Welt sorgt, ist eine bittere Pille, die wir alle schlucken.
Besonders plakativ kämpft ein sowjetischer Ex-Soldat in dem estnischen Kung-Fu-Film »The Invisible Fight« (»Nähtamatu võitlus«) um einen Platz im orthodoxen Kloster. Rainer Sarnet setzt auf abgedrehte Action mit fliegenden Kung-Fu-Mönchen mit Boombox, Black-Sabbath-Soundtrack, Bruce-Lee-Humor und einer knallroten Liebesgeschichte. Genauso schrill, aber mit viel lauterer Botschaft geht Ádám Császi vor. In »Three Thousand Numbered Pieces« (»Háromezer számozott darab«) werden Roma von einem ungarischen Regisseur auf einer Berliner Theaterbühne als Readymade ausgestellt. Der wutschreiende Film basiert auf dem Theaterstück »Gypsy Hungarian« von einer Roma-Theatergruppe. Der Film fragt: »Was sagt das über Dich aus, wenn Du Dich am Leid anderer ergötzt?« Eine kluge Satire, die mit blutigem Zaunpfahl auf kritische Theaterliebhaberinnen und Theaterliebhaber zeigt.
Doch es geht weitaus sanfter als in »Three Thousand Numbered Pieces«. Nina Ognjanovićs Volksstück »Where the Road leads« (»Ovuda će proći put«) konzentriert sich ganz auf die Ankunft eines unerwünschten Fremden in einem serbischen Dorf. Zwei Volksnarren messen ihre Messer und schmieden Mordpläne, aber es wird kein Tropfen Blut fließen. Stattdessen weht ein Hauch Pina-Bausch-Poesie durch den Film, denn eine Frau in einem weißen Kleid läuft unermüdlich durch die dörflichen Gassen. Ein ungewöhnlicher Mix, der gut funktioniert.
Als nüchternen Moralparcours inszeniert Asif Rustamov hingegen die aserbaidschanische Dreiecksgeschichte »Cold as Marble« (»Mərmər soyuğu«) über einen gescheiterten Künstler. Der Künstler hat eine Affäre mit einer verheirateten Frau, die ihren reichen Ehemann loswerden möchte, während sein Vater seine Ehefrau umgebracht hat. Der Vater redet sich damit heraus, dass alles ohnehin eine Frage der Perspektive sei. Die blutige Wahrheit: Im Krieg bekommt man eine Medaille dafür, dass man tötet.
Es finden sich auch Erzählungen von wahren Ereignissen in der Filmauswahl: Rezo Gigineishvilis »Patient #1« rund um einen machthabenden, aber todkranken Generalsekretär sowie Tudor Giurgius »Libertate« rund um den Sturz von Nicolae Ceauşescu in den letzten Tagen der 1989er-Revolution in Rumänien. Giurgiu, der aus dem Blick von Geheimdienstlern erzählt, die ins Schussfeuer von Demonstranten geraten, lässt die Grenzen von Tätern und Opfern verschwimmen. Die Schüsse hallen immer noch nach.
Doch Protest findet bei den Filmen im Wettbewerb nicht nur auf der Straße statt. Im kunstvoll umgesetzten Frauenporträt »Imago« (»Stale niestała«) von Olga Chajdas protestiert Ela in Polen 1987 nicht für demokratische Marktwirtschaft, sondern schließt sich einer psychedelischen Punkband an, um Freiheit in der Kunst zu finden. Co-Autorin und Hauptdartstellerin Lena Góra schrieb in »Imago« über ihre bipolare Mutter, die kurz nach der Geburt ihres Kindes verlassen wurde und selbst ein Punkstar war. Auch die georgische Liebesgeschichte »Amsel im Brombeerstrauch« (»Blackbird Blackbird Blackberry«) von Elene Naveriani handelt von einer stolzen Frau, der 48-jährigen Krämerin Etero. Als sich Etero in einen Mann verliebt, verteidigt sie ihre Unabhängigkeit berührend hartnäckig gegen die Kaffeeklatsch-Diktatur ihres Dorfes und gegen die Vorurteile eines Mannes.
Zerbrechlich-schön zeichnen Anna Buryachkova (»Forever Forever«) und Inari Niemi (»Light Light Light«) ihre Protagonistinnen. Beide prägen schmerzhafte Erfahrungen in der Gesellschaft. In »Forever Forever« (»Nazavzhdy-Nazavzhdy«) gerät Tonia im Kiew der späten 90er Jahre in eine Clique rebellischer Jugendlicher, die selbst vor Mobbing nicht zurückschrecken. Als sie den humorvollen Zhurik und den Draufgänger Sania kennenlernt, beginnt Tonias Weg der Selbstzerstörung und Selbstaufgabe. Auch Niemis poetisches Drama »Light Light Light« (»Valoa valoa valoa«) erzählt mehr als die Geschichte einer zarten Liebe nach dem Unglück von Tschernobyl. 20 Jahre später erinnert sich Mariia an ihre tragische Liebe, die damals am Klassenunterschied zerbrach. Und so finden sich selbst in der intimsten Geschichte große Botschaften.
- Bester Film: »Nazavzhdy-Nazavzhdy« / »Forever-Forever«
- Beste Regie: Rezo Gigineishvili für
»Patient No. 1 - Darstellerische Einzelleistung: Eka Chavleishvili für »Blackbird, Blackbird, Blackberry« / »Amsel im Brombeerstrauch«
- Bester Kurzfilm: »It’s All Right«
- Bester Jugendfilm: »Dyad« / »Diada«
- Bester Debütfilm: »Hela«
- Publikumspreis: »Clara«
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