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Die Linke sortiert sich
Nach der Wagenknecht-Abspaltung verzeichnet die Partei deutlich mehr Ein- als Austritte
Manche Wagenknecht-Anhänger waren schneller als ihr Idol. Beispielsweise in Herdecke. Schon einen Monat, bevor Sahra Wagenknecht und neun weitere Bundestagsabgeordnete ihren Austritt aus Linkspartei und -fraktion erklärten, hatte die zweiköpfige Linke-Ratsfraktion in der Kleinstadt im Ruhrgebiet ihren Namen abgelegt und firmiert seitdem als »Sahra Wagenknecht und Linke Fraktion Herdecke«. Im deutlich größeren Bochum verabschiedeten sich drei Mitglieder der Linke-Fraktion und nennen sich jetzt »Frieden, Arbeit und soziale Gerechtigkeit«.
Das war Ende September. Seit Wagenknecht und Co. am 23. Oktober öffentlich ihre Trennung von der Linken zelebrierten, häufen sich solche Beispiele. Eine Massenbewegung ist es nicht, und vor allem in Ostdeutschland gibt es wenige Absetzbewegungen. Aber es zehrt an der kommunalpolitischen Substanz, wenn teils langjährige Aktivisten auf Distanz zu ihrer Partei gehen.
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So haben ein Kreistagsabgeordneter und ein Stadtrat in Rheinland-Pfalz ihren Parteiaustritt erklärt. Im baden-württembergischen Kirchheim wollen zwei Linke-Stadträte nicht mehr für ihre bisherige Partei, sondern künftig für das Wagenknecht-Bündnis antreten. Im Rhein-Sieg-Kreis (Nordrhein-Westfalen) verabschiedeten sich mehrere Kommunalabgeordnete aus der Partei oder aus ihrer Fraktion. Im Berliner Bezirk Tempelhof-Schöneberg gehen vier Mitglieder des Kreisvorstands, zwei von ihnen sitzen auch in der Bezirksverordnetenversammlung. Die Argumentation ist überall die gleiche wie auf Bundesebene: Der Linken wird vorgeworfen, die soziale Frage zu vernachlässigen, sich mit Nebenfragen zu beschäftigen und sich nicht mehr konsequent gegen Krieg und Rüstung zu wenden.
Es sind solche Nachrichten, die in der Linkspartei zwar keine Begeisterung auslösen, aber auch nicht die Alarmglocken schrillen lassen. Bisher jedenfalls. Denn dass es Bewegung und Abgänge geben würde, war klar. Je deutlicher die Abspaltungsabsichten von Sahra Wagenknecht in den letzten Monaten wurden, desto mehr wünschten sich die Anhänger beider Seiten Klarheit. Die einen, weil sie endlich mit einer neuen Partei durchstarten wollen, die eher ihren Vorstellungen entspricht; die anderen, weil sie meinen, dass sie sich wieder dringenden politischen Fragen zuwenden können, wenn die internen Auseinandersetzungen beendet sind.
In der Tat sortiert sich jetzt, was innerhalb der Linkspartei lange Zeit durch- und gegeneinander ging. Linke-Bundesgeschäftsführer Tobias Bank spricht von einem Gefühl der Erleichterung, das er an der Parteibasis erlebt. »Viele empfinden es als Befreiungsschlag, dass die Entscheidung nun endlich gefallen ist«, sagte er gegenüber »nd«. Kürzlich war er bei einer Veranstaltung im Saarland, wo Oskar Lafontaine bei vielen Linken etwas gilt. Angekündigt waren für die Diskussion 30, 40 Besucher, gekommen seien mehr als 100 Leute. Er habe, so Bank, »sehr interessierte, motivierte Mitglieder erlebt, die unbedingt weitermachen wollen und froh sind, dass die lähmende Selbstbeschäftigung endet«.
Insgesamt verzeichnet die Linke zuletzt »deutlich mehr Eintritte als Austritte«, sagt Bank. Eine Tendenz, die in allen Landesverbänden beobachtet werde. »Bundesweit haben wir seit dem 23. Oktober mehr als 600 neue Mitglieder registriert.« Darunter seien nicht wenige, die die Partei frustriert verlassen hatten. Viele kämen jetzt zurück. Der Bundesgeschäftsführer verweist zudem darauf, dass bisher nur zwei Mitglieder der acht Landtagsfraktionen die Linke verlassen haben: der Berliner Alexander King und der Hamburger Metin Kaya.
Vermutlich werden Anfang 2024 weitere Austritte folgen. Wenn die Wagenknecht-Partei gegründet ist – was im Januar geschehen soll –, dann werden ihr noch einige Leute folgen. Im Moment kann man dem Verein Bündnis Sahra Wagenknecht noch gar nicht beitreten; der will vorerst Spenden sammeln, keine Leute. Und auch danach will man es dort langsam angehen lassen mit der Aufnahme von Mitgliedern.
Die Linke indessen plant eine mehrstufige Mitgliederkampagne, wie Tobias Bank sagt. Damit will die Partei verschiedene Gruppen ansprechen, beispielsweise junge Menschen und Gewerkschafter, »eben Menschen, die in aktuellen politischen Auseinandersetzungen stehen«. Beim anstehenden Parteitag in Augsburg soll die Kampagne gestartet werden, mit Menschen, die in linken Kreisen einen Namen haben. Man darf gespannt sein.
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