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Werkschau Ligia Lewis: Vom fremden Geist beherrscht

Das HAU in Berlin widmet der Künstlerin Ligia Lewis mit ihren erst 40 Jahren eine eigene Werkschau

  • Robin Becker
  • Lesedauer: 5 Min.
Lewis baut mit ihren Choreografien eine unfassliche Nähe zum Publikum auf, nur über einzelne Stimmen oder kaum hörbare Sätze.
Lewis baut mit ihren Choreografien eine unfassliche Nähe zum Publikum auf, nur über einzelne Stimmen oder kaum hörbare Sätze.

Vielleicht ist es Anspruch aller Kunst, sich an gegenwärtigen gesellschaftlichen Diskursen abzuarbeiten, diese zu reflektieren und im eigenen Medium zu verhandeln. Wie sich im Gegensatz zu vielen zeitgenössischen Kunstproduktionen, zumal im Theater und der Performancekunst, jene Diskurse in ästhetische Form übersetzen lassen, ohne dass diese der künstlerischen Medialität bloß aufgesetzt wirken, lässt sich an den Performancearbeiten von Ligia Lewis beobachten.

Geboren in der Dominikanischen Republik, aufgewachsen in Florida, lebt die Tänzerin und Choreographin seit 2009 in Berlin, wo das Hebbel am Ufer (HAU) Arbeiten von ihr koproduziert hat und der gerade einmal 40-Jährigen nun eine Werkschau unter dem Titel »Complaint, A Lyric« widmet. Zu sehen sind erstmalig zusammenhängend die Performance-Trilogie »Blue, Red, White« mit den Stücken »Sorrow Swag« (2014), »minor matter« (2016) und »Water Will (in Melody)« (2018) sowie die aktuelleren Arbeiten »Still Not Still« (2021) und »A Plot / A Scandal« (2022).

Teil der Werkschau sind zudem eine Soundinstallation von George Lewis Jr. aka Twin Shadow mit Texten von Lewis’ Wegbegleiterinnen Dixa Ramírez-D’Oleo, Sarah Lewis-Cappellari und Mlondi Zondi sowie eine sehr sehenswerte Videoinstallation ihrer Performance »deader than dead«, die ursprünglich 2020 in Los Angeles aufgeführt werden sollte, wegen der Pandemie jedoch verschoben werden musste und dadurch zum Film wurde. An der Werkschau lässt sich nicht nur das Gemeinsame von Lewis’ Arbeiten ablesen, sondern auch die Entwicklung ihrer ästhetischen Praxis.

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Augenscheinlich, aber zunächst nur oberflächlich betrachtet, ist es, wie scheinbar mühelos sich Lewis zwischen den Formen Tanz, Theater, Bildende Kunst, Musik und Gesang bewegt: Jedes Element ihrer Arbeiten, auch dort, wo es sich mit anderen dauernd mischt, beansprucht in jedem Moment seine formsetzende Bedeutung, ohne seine Eigenständigkeit in der Form preiszugeben. Lewis gelingt es, selbst kleinste Gesten oder Mimik so pointiert in den Vordergrund des Geschehens zu stellen, dass man unweigerlich den Eindruck gewinnt, dass kaum ein Detail im Gesamtarrangement austauschbar ist. Das reicht von Finger-, Hand- und Mundbewegungen, die eine unfassliche Nähe zum Publikum erzeugen, über einzelne Stimmen, kaum hörbare Sätze, bis hin zu den Tanzchoreografien als solchen.

Lewis vermag es, ihre Choreografien so zu dynamisieren, dass jede Bewegung der ohnehin fragmentiert wirkenden Körper nahezu einzeln erfahrbar wird, nicht zuletzt durch die Ausgestaltung und Anordnung der Bühne durch Raum und vor allem Licht. Überhaupt gibt es ständig Momente, in denen diese Körper wie von einem fremden Geist beherrscht anmuten, unheimlich außer Kontrolle geraten, um doch wieder zu sich selbst zurückzufinden, ihre Autonomie im Tanz zurückgewinnen. In Phasen, in denen Bewegungen zunehmend in Fluss geraten, verfließen diese schnell wieder, werden plötzlich brüchig, wie Lewis’ Choreografien und deren Körper insgesamt immerzu zerbrechlich wirken.

Um dieser Zerbrechlichkeit Ausdruck zu verleihen, gibt es auch kaum choreographische Anteile, die Lewis konsequent zu Ende führen würde. Immer ist da ein unsichtbares Störendes, das die Bewegungen unterbricht, etwas von außen Kommendes, das es in ihren visuell und auditiv immersiven Räumen eigentlich doch gar nicht gibt. Nur in der Asynchronität von Tanz und Musik wird das zuweilen offensichtlich. Führt Lewis einzelne Bewegungsabläufe doch konsequent an ihr Ende, lässt sie, wie so häufig, repetitiv werden, bekommen sie unmittelbar etwas äußerst Zwanghaftes, schon Bedrohliches – und seien es noch so alltägliche Bewegungen wie aus dem Sport in »Sorrow Swag«, die sich auch stets, wie im choreografierten Boxkampf in »minor matter«, in Brutalität entladen können. Und wo die Körper anfangen, an ihren eigenen Bewegungen zu zerbrechen, bleibt für sie manchmal nur ein Schreien.

Doch auch wenn Gewalt und Schmerz allgegenwärtig sind, ihre Stücke subtil – und deshalb so bedrohlich – durchziehen, bleibt Lewis bei deren manifesten Ausbrüchen nie einfach stehen, sondern bricht diese wiederum mit Ironie und Komik, wie häufiger im Stück »Water Will (in Melody)«, die sich dann bis ins Groteske steigern. Lewis choreografiert solche emotionalen Brüche der Stimmungen kontinuierlich mit den einfachsten ästhetischen Mitteln, bemüht und spielt dabei oftmals mit religiösen sowie kulturgeschichtlichen Bildern und Ikonografien, wodurch ihre eigenen Bilder und die, die sie sich aneignet, auf ihre Repräsentation hin befragt werden.

Fragen um Repräsentation und Identität sowie Diskurse über race und gender dürften auch Ausgangspunkt ihrer Arbeit »Still Not Still« sein, die vor Augen führt, wie sehr es Lewis glückt, solche Diskurse in der ästhetischen Immanenz aufzuheben, ohne dass sie diskursiver Elemente im engeren Sinne bedarf. An der Thematik des Stücks, dem Ausschluss schwarzer Menschen aus der Geschichtsschreibung, arbeitet sie sich mit abgründigem Humor und einer surrealistischen Bildwelt ab.

Die Bilder, die sie dafür aufruft, sind zwar von äußerster Präzision, werden aber auf keine eindeutige Semantik verpflichtet. Wie ihre anderen Stücke ist auch dieses poetisch, aber fast gespenstisch: Sieben Tänzerinnen kriechen, stolpern, laufen schwankend über die Bühne, ihre sich selbst verletzenden, deformierten Körper bewegen sich beklemmend im Raum. Radikaler vielleicht als Lewis’ vorherigen Werke ist »Still Not Still« darin, dass ihr ästhetisches Verfahren noch einmal ausgereifter wirkt. Die Redundanz der Bewegungen scheint verstärkt, auch sind der Bühnenraum und die beweglichen Bühnenelemente so mikrofoniert, dass selbst leiseste Geräusche zu hören sind: Kein Detail darf der sinnlichen Erfahrung entgehen.

Und es sind diese Details, mit denen Lewis nach den Lücken sucht, nach zärtlichen Momenten, die die Wiederaneignung von Geschichte zumindest erlauben oder ermöglichen. Und vielleicht liegt darin der politische Gehalt vieler ihrer Werke: immer wieder neu anzusetzen mit dem Erzählen von Geschichte, dieses Erzählen immer wieder winzig zu verwandeln in der Hoffnung auf den Moment, in dem sich der Eingriff der Subjekte in Geschichte realisiert.

Nächste Vorstellung: »Still not Still« am 19.11., 17 Uhr

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