- Politik
- Linkspartei
500 Linksradikale treten in Die Linke ein
Nach dem Austritt des Wagenknecht-Flügels wollen 500 Linksradikale in Die Linke eintreten
Linksradikale, die in Die Linke eintreten wollen. Wer seid ihr und warum gerade jetzt?
Gab es schon mal einen besseren Zeitpunkt, in Die Linke einzutreten? Die Wagenknecht-Gang ist raus, der politische Gegner könnte unter Umständen absolute Mehrheiten in den kommenden Landtagswahlen erreichen und wenn sich nichts ändert, läuft die einzige antikapitalistische Partei im Bundestag mitten in der Klimakrise Gefahr, in der Versenkung zu verschwinden – und die Rosa-Luxemburg-Stiftung mit ihr. Wir sind Menschen aus unterschiedlichen sozialen Bewegungen, die das verhindern und unseren Genoss*innen in der Partei helfen wollen, den Karren aus dem Dreck zu ziehen. Denn auch in der Partei ist vielen klar: In der Krise liegt der Schlüssel für den Neuanfang und den wird Die Linke brauchen, wenn sie in zwei Jahren über die Fünf-Prozent-Hürde kommen will.
Aus welchen Bewegungen kommt ihr?
Die Initiativgruppe, die die Mobilisierung gestartet und koordiniert hat, besteht überwiegend aus erfahrenen Aktivist*innen der Antifa- und Klimabewegung, der zivilen Seenotrettung, sowie der arabisch- und deutschsprachigen No-Border-Kulturszene. Relativ schnell haben sich aber beispielsweise auch Genoss*innen von Deutsche Wohnen & Co enteignen und aus der Queer-Szene unserem Aufruf angeschlossen.
Welche Rolle hat es gespielt, dass Carola Rackete im Sommer als Kandidatin für die EU-Wahl präsentiert wurde? Habt ihr Kontakt zu ihrem Bewegungsteam?
Unter dem Motto »Wir/Jetzt/Hier« haben einige Aktive aus sozialen Bewegungen vor einigen Wochen einen Aufruf gestartet, in Die Linke einzutreten. In einer Telegram-Gruppe haben die Initiator*innen über 500 Menschen gesammelt, an diesem Montag soll massenhaft in die Partei eingetreten werden. Die Koordinierungsgruppe hat »nd« schriftlich einige Fragen beantwortet. Einen Sprecher oder eine Sprecherin gibt es nicht.
Einige von uns kennen Carola von gemeinsamen politischen Aktivitäten. Eine Person aus der Koordinationsgruppe hat sie im Sommer bei den Vorbereitungen zur Kandidatur unterstützt und beraten. Der daraus entstandene Kontakt zu Carolas Bewegungsteam hat uns ein paar wertvolle Eindrücke über die aktuellen Vorgänge in der Partei verschafft. Trotzdem bezieht sich unser Eintritt aber weder auf Caros Kandidatur noch auf andere bundes- oder europapolitische Themen. Im Gegenteil: Wir kommen vielmehr aus der Überzeugung, dass linke Politik dringend von unten her gedacht und vor allem gemacht werden muss. Entsprechend wollen wir die Basis stärken, damit die Partei ihr Potenzial als Massenorganisation ausschöpfen und wieder einen realen Nutzwert für die Menschen darstellen kann.
Sahra Wagenknecht ist weg, in der Linken ist trotzdem nicht alles gut. Viele kritisieren außenpolitische Positionen der Partei und mangelhaft aufgearbeiteten Sexismus. Ist euch das egal?
Selbstverständlich sind uns diese Probleme nicht egal. Leider leben wir in einer patriarchalen Realität, in der es keine Struktur gibt, die nicht von Sexismus durchdrungen ist. Wir machen politische Arbeit, damit sich das ändert. Dazu gehört eben auch, mit Menschen und Strukturen in Auseinandersetzung zu gehen, die Probleme mitbringen – zumindest solange sie bereit sind, an diesen zu arbeiten. Entsprechend erwarten wir von der Partei weiterhin entschlossene Aufklärungs- und Präventionsprozesse. Ansonsten ist unser Fokus, die AfD zu stoppen, die Partei über die Fünf-Prozent-Hürde zu bringen, linke Strukturen zu erhalten und auszubauen. Um das zu erreichen, müssen wir unsere außenpolitischen Unstimmigkeiten eben mal kurz aushalten. Wir müssen eine konstruktive Diskussionskultur etablieren und Einigkeit in der Dringlichkeit finden, dass gerade infrage steht, ob eine linke Partei in zwei Jahren überhaupt noch existiert.
Mit der Bewegungslinken und der Antikapitalistischen Linken gibt es Strömungen, die sich Bewegungsnähe und Fundamentalopposition auf die Fahnen geschrieben haben. Wofür braucht es euch da noch?
Mehr ist mehr. Die Vorschläge in unserem Manifest sind nicht die
Begründung für unseren Eintritt – sie sind der strategische Minimalkonsens, den wir als außerparlamentarische Linke für diesen lange unvorstellbaren Schritt finden mussten. Wir wollten nie Mitglieder einer Partei werden, doch die politische Lage zwingt uns dazu. Wir selbst haben nicht den Anspruch, eine Strömung zu bilden. Im Gegenteil: Auf Grundlage des Manifests wollen wir vor allem Parteiaufbau durch außerparlamentarische Basisarbeit betreiben und dem Rechtsruck eine organisierte Antwort entgegensetzen.
Welche Erfahrungen aus Bewegungen glaubt ihr sinnvoll in die
Parteiarbeit einbringen zu können?
Mit uns kommt ein riesiger Fundus an Erfahrungen und Know-how in die Partei. Wir haben so viele krasse Sachen gewuppt: von Kiezküchen und riesigen Festivals über medienwirksame Kampagnen und Demonstrationen bis hin zu Schiffs- und Flugzeugeinsätzen auf dem Mittelmeer. Wir haben Häuser und Wälder besetzt, internationale NGOs mit aufgebaut, Hausprojekte ins Leben gerufen und alles in allem viele ausdauernde politische Kämpfe geführt. Wir wissen, wie man schnell und flexibel viele Menschen organisiert und mobilisiert. Wir haben gelernt, mit wenig Ressourcen viel zu schaffen und uns hohe Frustrationsgrenzen und Ausdauer angeeignet. Wir bringen hochpolitisierte Blicke von außen und sehr viel Energie mit, genauso wie den Wunsch von den Menschen, die bisher viel dafür getan haben, die Partei umzustrukturieren, zu lernen und voneinander zu profitieren.
Wie wollt ihr euch in Die Linke einbringen?
Allen, die mit uns eintreten, steht erstmal frei, sich in der Partei einzubringen, wo sie wollen. Wir sind keine kohärente, geschlossene Struktur, die Disziplin einfordert. Die Idee ist allerdings schon, gezielt die Basis aufzubauen und höhere Parteiämter und Mandate hinten anzustellen. Wir glauben, eine sozialistische Partei (bzw. ihre Mitglieder) muss zuallererst ihren Gebrauchswert für ihr prekarisiertes Klientel nachweisen, bevor sie auf die politischen Bühnen schielt.
Welche Reaktionen habt ihr bisher aus der Partei bekommen?
Bisher nur die Besten. Von der ländlichen Basis bis in den Parteivorstand begegnen wir offenen Armen und Ohren. Wir sehen das als gutes Zeichen, dass die Notwendigkeit, sich neu und breiter aufzustellen, nicht nur außerhalb der Partei auf der Tagesordnung steht.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.