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»The Old Oak« von Ken Loach: Auf zum letzten Gefecht
Der Meister des britischen Sozialdramas, Ken Loach, setzt angeblich mit »The Old Oak« seiner Filmografie ein Ende
Britische Pubs haben eine ganz besondere Atmosphäre. Sie sind nicht einfach nur Kneipen, wie vielleicht die austauschbaren Retro-Sofa-vor-nackter-Betonwand-Bars in hippen Metropolen, sie sind aber auch keine Berliner-Eckkneipe, in der die Maloche aus jedem Tapetenrest quillt. Pubs wirken, als könne jeder, der sie betritt, auch an der Magna Charta mitgeschrieben haben, so bedeutsam kommt man sich vor, wenn man zum ersten Mal einen solchen betritt. Allein diese meist mit Teppich ausgelegten Fußböden, die holzvertäfelten Wände und der imposante Tresen – einem Altar ähnlicher als seiner eigentlichen Funktion als besseres Bierregal.
Einen dieser Pubs macht der englische Regisseur Ken Loach in seinem (angeblich) letzten Film »The Old Oak« zum Hauptschauplatz der Handlung. Von der Erhabenheit manch eines britischen Pubs ist allerdings beim titelgebenden »The Old Oak« fast nichts mehr zu spüren. Das namenlose Städtchen, in dem der Pub der zentrale Treffpunkt für die noch übrig gebliebenen Bewohner*innen ist, war einst ein stolzes Grubendorf mit ebenso klassenbewussten Einwohner*innen. Heute spalten sich die wenigen, die noch ins Pub kommen, in diejenigen, die damals in den 80ern Streikbrecher waren und die, die in Thatchers erbarmungslosem Sanierungsfeldzug nicht klein beigeben wollten. Da weiß man bis heute noch, zwischen welchen Familien die Linie verläuft.
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Ken Loach wäre nicht Ken Loach, wäre nicht sofort klar, dass das »Old Oak« Arena und Wohnzimmer für all jene ist, denen das Leben nach Thatcher, Blair und Brexit nicht die besten Karten auf den Tisch gelegt hat. Und so schimpfen sie dann auch über die Immobilien-Haie aus Zypern, die »Spekulantenschweine«, die das halbe Dorf aufkaufen, während die, die grummelig ihre Pints in sich hineinkippen, am Ende des Monats kaum wissen, wie viele Arten von trockenem Toast man noch machen kann, bevor der nächste Check kommt. So weit, so Loach.
Doch was den Film zunächst angenehm von der üblichen Loach-Schablone (der verratene kleine Mann gegen den Rest der Welt) unterscheidet, ist die wenig romantisierende, kritische Sicht auf den in Teilen der einst stolzen Arbeiterschaft herrschenden Rassismus. Als nämlich eine Gruppe syrischer Flüchtlinge in die nordenglische Kleinstadt gebracht wird und dort in die leer stehenden Häuser zieht, hat die Pub-Gemeinde gleich das nächste Thema, auf das sie sich in ihrer Unbarmherzigkeit stürzen kann. »Ich bin keine Rassistin, aber ...«, dieser Satz fällt natürlich, während in der nächsten Szene die übliche Hetze über Geflüchtete verbreitet wird und unwidersprochen bleibt. Von Abstiegsangst als Ursache für den Fremdenhass kann hier keine Rede sein, denn die Menschen, die im »Old Oak« an den Tischen sitzen, sind schon ganz unten angekommen. Loach sucht eine Begründung für ihre Ressentiments natürlich nicht bei den Abgehängten selbst, sondern weiß, dass das System der eigentliche Verräter ist. Fraglich bleibt, ob dieser Ansatz den Rassismus schon legitimiert oder nur erklären will. Aber dieser Aspekt interessiert Loach auch nicht, denn seine Mission ist eine größere.
Als die gute Seele des Dorfes inszeniert Loach den Pub-Besitzer TJ Ballantyne (Dave Turner, mit dem Loach schon »Ich, Daniel Blake« und »Sorry We Missed You« gedreht hat), der den Neuankömmlingen mit Wohlwollen begegnet. Ihn zeigt Loach als sensiblen, von Moral getriebenen Mann, der keine Hautfarbe, nur Unterdrückte kennt. Sein Pub, der wegen des langsam aussterbenden Örtchens nur noch wenig einbringt, wird schon bald zum umkämpften Terrain, denn die Alteingesessenen müssen ihn nun mit der Idee teilen, aus den Räumlichkeiten einen interkulturellen Treffpunkt zu machen. TJ, der selbst einmal unter Tage war, bis Thatcher alles wegprivatisierte oder schließen ließ, ist inspiriert von der Zeit der Bergarbeiter-Streiks, in denen Gemeinschaft noch etwas wert war und organisiert zusammen mit der Syrerin Yara (Ebla Mari) und dem solidarischen Teil des Kaffs eine Art moderne Suppenküche. Und tatsächlich sitzen schon bald Syrer neben den örtlichen Jugendlichen, die wohl nur selten etwas Warmes zu essen bekommen. Das sind die starken Seiten des Films: Es wird sofort klar, wer hier der Versager ist (der Staat) und wer den Laden eigentlich am Laufen hält (Solidarität).
Der mittlerweile 87-jährige Loach hat mit »The Old Oak« einen Film aus seinem üblichen ideologischen Setzkasten gemacht. Das menschenverachtende kapitalistische Schweinesystem entsolidarisiert und frustriert uns. Städte verfallen und wo keiner mehr lebt, der noch als Wähler taugt, kümmert sich die Politik auch nicht darum, ob der Bus noch fährt oder das Schwimmbad geöffnet bleibt. Übrig in solchen Szenarien bleiben die, die am wenigsten Kraft, Kapazitäten oder Macht haben, um mit dem ganzen Schlamassel zurechtzukommen, geschweige denn, sich gegen ihn zu wehren. Dieses Setting ist die DNA (fast) jedes Loach-Films, mindestens aber seit »It’s a Free World« (2009).
Doch »The Old Oak« fehlt die Bissigkeit, der Kampfgeist von »Ich, Daniel Blake« oder »Sorry We Missed you«. In seinem vielleicht letzten Film will Loach noch einmal das ganz große Panorama aus Entrechteten und dem starken Arm des kleinen Mannes aufziehen, um dem Kapitalismus ein Schnippchen zu schlagen. Aber mit dem Holzhammer ist noch nie ein guter Film gezimmert worden, weshalb »The Old Oak« an manchen Stellen arg an billigen Agitprop grenzt. Loach verliert den Sinn für eine gute Inszenierung.
Statt sich an die alte Reporter-Regel »Show, don’t tell« zu halten, wird aufgesetzter Arbeiter-Kampfgeist serviert. Wenn zum Beispiel die Geflüchtete Yara zweimal im Film zu Monologen ansetzt, die klingen, als hätte man einer KI gesagt, sie solle eine Rede zu den Themen Hoffnung und Zuversicht schreiben, dann scheint auch das Drehbuch (von Loachs Partner in Crime, Paul Laverty) völlig dem letzten Kreuzzug Loachs verfallen zu sein, noch mal kräftig die geschundene Klassenkampfseele zu bauchmiezeln. Aus linker Perspektive ist das politisch alles hochgradig korrekt, als Film aber eine fürchterlich langweilige altlinke Soli-Schnulze.
Ist es zynisch, bürgerlich, gar liberal, diesen Film nicht zu mögen? Nein, denn im Gegensatz zu »Ich, Daniel Blake« verlässt man nach »The Old Oak«, der dieses Jahr in Cannes im Hauptwettbewerb lief, das Kino nicht mit der geballten Faust in der Tasche, sondern fühlt sich allerhöchstens links bewegt. Das ist eigentlich nie Loachs Anspruch gewesen.
»The Old Oak«, Großbritannien 2023,
Regie: Ken Loach, Drehbuch: Paul Laverty.
Mit: Dave Turner, Yara Ebla Mari, Claire Rodgerson. 114 Minuten, Start: 23.11.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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