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Waldbrände in Kanada: Monokulturen brennen leichter
Die extreme Waldbrandsaison in Kanada ist dem Klimawandel, aber auch einer kommerziell geprägten Forstpolitik geschuldet
Die diesjährige Waldbrandsaison in Kanada war lang und verheerend. Bereits im April wurden die ersten Ortschaften evakuiert, schon Mitte Mai stand rund eine Million Hektar Wald in Flammen. Einen Monat später waren es zehn Millionen, so viel wie in keiner Saison zuvor. Nach Angaben des Canadian Interagency Forest Fire Centre wurden 2023 landesweit 6623 Brände mit einer Gesamtfläche von rund 18 Millionen Hektar registriert. Zum Vergleich: Im Vorjahr waren es rund 1,5 Millionen, im Durchschnitt sind es etwa 2,5 Millionen Hektar. Rund 200 000 Menschen wurden über den Sommer evakuiert, Tausende verloren ihr Zuhause, sechs Menschen ihr Leben. Ganze Dörfer wurden in den Flammen zerstört. Die Rauchwolken zogen bis an die Ostküste und noch im Oktober waren sie vom US-Staat Florida aus zu sehen. In den kanadischen Provinzen Ontario, Ottawa und Toronto sowie in den US-Bundesstaaten New York, New Jersey und Connecticut wurden öffentliche Veranstaltungen im Freien für mehrere Tage abgesagt. »Das Wort ›beispiellos‹ wird dem Ausmaß der Waldbrände in Kanada in diesem Jahr nicht gerecht«, sagt Yan Boulanger, Forscher für Waldökologie am kanadischen Ministerium für natürliche Ressourcen. »Aus wissenschaftlicher Sicht ist die Verdoppelung der bisherigen Rekordbrandfläche schockierend.«
Begünstigt wurden die Feuer laut einer Studie der World Weather Attribution durch Klimaveränderungen. So erlebte Kanada den wärmsten Mai-Juni-Zeitraum seit 1940. Zudem war die Luftfeuchtigkeit sehr niedrig, alles war wärmer und trockener. Und der Regen blieb aus. Inzwischen wurde die Feuersaison offiziell für beendet erklärt, doch die Aussichten sind laut kanadischen Regierungsstellen schlecht. »Die Dürre wird in vielen Regionen auch über den Winter anhalten, besonders im Westen, und das könnte Auswirkungen auf den Zeitpunkt und die Intensität der Brandaktivität im Frühjahr 2024 haben«, heißt es in einem aktuellen Bericht.
Wälder werden zur CO2-Quelle
Dürre, extreme Hitze, sintflutartige Regenfälle, Überschwemmungen, unvorhersehbare Stürme und Waldbrände, all diese Folgen der Klimakrise sind in Kanada bereits Realität. Hinzu kommt, dass die Waldbrände selbst enorme Mengen an CO2 freisetzen, was wiederum den Klimawandel verstärkt. Nach Berechnungen des EU-Erdbeobachtungsprogramms Copernicus wurden von Anfang Mai bis Ende Juli rund 290 Megatonnen CO2 freigesetzt. Damit verkehrten sich die Wälder, die normalerweise CO2 aus der Atmosphäre aufnehmen, von einer Kohlenstoffsenke in eine Kohlendioxidquelle.
»Da das Risiko von Waldbränden im Zuge der Klimaerwärmung weiter zunehmen wird, muss Kanada den Verbrauch fossiler Brennstoffe reduzieren und die Strategien zur Brandbekämpfung anpassen«, heißt es vonseiten der Regierung, die das Land bis 2030 klimaneutral machen will. Im Forstmanagement werden unter anderem kontrollierte Brände und neue Richtlinien zur Bewirtschaftung der Wälder diskutiert. Kanada hat rund 400 Millionen Hektar Wald, das sind etwa 40 Prozent der gesamten Landesfläche. Noch sind sogenannte Old Growth, also jahrtausendealte, weitgehend unberührte Ursprungswälder darunter, mit jahrhundertealtem Baumbestand, Pflanzenvielfalt und intakten Ökosystemen. Teilweise geschützt, werden auch diese Wälder immer wieder abgeholzt. Und während die Klimakrise unkontrollierbare Waldbrände immer wahrscheinlicher macht, sind die Wälder selbst immer weniger widerstandsfähig. So nehmen in einigen Regionen Krankheiten zu, beispielsweise macht die Dürre den Pappeln in den Wäldern von Alberta und Saskatchewan schwer zu schaffen. Mit den kanadischen Wäldern ist es wie mit den europäischen Agrarflächen: Der Klimawandel schadet der Forstwirtschaft, gleichzeitig ist sie Mitverursacherin.
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Der Zustand der Wälder kann also in der Klimakrise eine wichtige Rolle spielen. Aber Artenvielfalt lässt sich nicht nur nicht vermarkten, sie stört. Bei der Wiederaufforstung setzt die Holzindustrie auf Nadelbäume, hauptsächlich werden Kiefern gepflanzt, gefolgt von Fichten und Douglasien. So entstehen Monokulturen mit geringer Biodiversität. Hierfür sei es als notwendig erachtet worden, die »natürliche frühe Pionier-Vegetation zu beseitigen – das, was als Gestrüpp bezeichnet und als nichts anderes als Unkraut angesehen wird«, so James Steidle von der Umweltgruppe »Stop the spray BC«. Laubbäume, in erster Linie Zitterpappeln, aber auch Birken, Weiden und Erlen fallen in diese Kategorie. »Überall dort, wo sie in großer oder auch nur geringer Zahl wachsen, werden sie beseitigt, entweder durch Ausbringung von Glyphosat aus der Luft oder von Hand oder durch manuelles Freischneiden«, so Steidle. »Letztendlich haben wir Vorschriften, die feuerbeständige Bäume in unseren Wäldern illegal machen. Das ist einfach verrückt.«
Mit Glyphosat gegen unerwünschte Arten
Nach der Pflanzung gilt es also, andere Bäume und Sträucher fernzuhalten, um das Wachstum nicht zu stören. Das Mittel der Wahl: Glyphosat. Der Wirkstoff des Bayer-Konzerns ist weltweit umstritten, hat aber auch in Europa nach jahrelanger Debatte kürzlich von der EU-Kommission eine Zulassung für weitere zehn Jahre erhalten. Wenn Forstunternehmen ein Gebiet auf staatlichem Land abholzen, sind sie gemäß des Forest and Range Practices Act sogar verpflichtet, einen »Free Growing Stand« zu schaffen. Das Gesetz definiert einen frei wachsenden Bestand als »einen Bestand gesunder Bäume einer kommerziell wertvollen Art, deren Wachstum nicht durch Konkurrenz von Pflanzen, Sträuchern oder anderen Bäumen behindert wird«. Allein in der Provinz British Columbia werden jährlich etwa 17 000 Hektar bewaldete Fläche mit Herbiziden besprüht, vor allem mit Herbiziden auf der Basis von Glyphosat.
Das Mittel wirkt nicht nur kurzfristig gegen unerwünschte Bäume. Eine im Jahr 2021 veröffentlichte Studie von Lisa Wood, Pflanzenbiologin der University of Northern British Columbia, ergab, dass Glyphosat noch über ein Jahrzehnt nach Anwendung im Gewebe von Waldpflanzen verbleibt. Das Herbizid beeinträchtige die Fähigkeit der Pflanzen, zu wachsen und Früchte zu tragen. »Die Lebensfähigkeit der Pollen von behandelten Pflanzen ist um durchschnittlich 66 Prozent reduziert«, schreibt sie. »Die verringerte Bestäubung führt zu einer geringeren Fruchtproduktion und damit zu einer Verringerung der Pflanzenpopulationen und der Nahrung für Tiere, die von ihnen abhängen.«
Hinzu kommt: Die Artenvielfalt in den Wäldern ist in der kanadischen Kultur der First Nations wichtig. Der BC Timber Sales Plan der kanadischen Regierung zielt jedoch darauf ab, Pflanzen wie Lachsbeere, Heidelbeere, Fingerhut, Holunder, Blaubeere, Feuerkraut und Pilze in den Abholzungsgebieten auszurotten. Forstwirtschaftlich als »Schädlinge« betrachtet, seien diese Pflanzen für die First Nations wichtig, erklärt Hopkins Rose, Mitglied der St'át'imc Nation, gegenüber dem kanadischen Online-Magazin The Tyee: »Dies sind alles kulturell bedeutsame Pflanzen und Heilmittel, die von den lokalen indigenen Völkern seit Tausenden von Jahren geerntet werden und auf die sie sich verlassen.«
Die zunehmenden Monokulturwälder sind weniger widerstandsfähig, sie brennen leichter als Mischwälder und verlieren ihre Klimafunktion. Steidle von »Stop the Spray BC« kritisiert: »Trotzdem betrachten wir in ganz Kanada den Laubwald als Unkraut. Wir haben strenge Gesetze, die eine Wiederaufforstung mit Nadelbäumen vorschreiben. Das ist ›nachhaltiges Ertragsmanagement‹ und der Kern unserer Behauptung, unsere Wälder würden nachhaltig bewirtschaftet.«
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