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UN-Klimakonferenz: Preis des Reichtums
Eine Nord-Süd-Bilanz: Wie sich Erträge und Schäden der globalen Erwärmung verteilen
Die Bundesregierung überlegt derzeit, wie sie Klimaschutzausgaben finanzieren kann, trotz der grundgesetzlichen Schuldenbremse. Während den Finanzplänen der Ampel-Koalition lediglich die heimische Rechtslage entgegensteht, stecken die armen Länder des Globalen Südens in einer umfassenderen Notlage: Ihnen fehlt das Geld für Klimaschutz, ihr Zugang zu Krediten ist beschränkt. Gleichzeitig leiden sie am stärksten unter der globalen Erwärmung, für die vor allem der reiche Norden verantwortlich ist. Das Rennen um die Gewinne aus dem Klimaschutz wiederum machen die großen Wirtschaftsblöcke unter sich aus: die USA, Europa und China.
Verursacher der gestiegenen und steigenden CO2-Konzentration in der Atmosphäre sind vor allem die großen Industrienationen. Der Klimawandel ist im wesentlichen eine Folge ihres Produktionsmodells, das sie in den vergangenen Jahrzehnten groß und mächtig gemacht hat. Die Erträge dieses Modells fallen sehr ungleich aus, die Kosten allerdings auch: »Die regionalen Folgen der Klimarisiken sind im Süden am deutlichsten«, so eine Analyse der Ratingagentur Standard & Poor‘s, die die Kreditwürdigkeit von Ländern bewertet. In Ländern mit geringer oder mittlerer Wirtschaftsleistung dürften die ökonomischen Verluste im Durchschnitt drei bis vier Mal so hoch ausfallen wie den reicheren Staaten.
Armut macht verletzlich
Für die größere Anfälligkeit der armen Länder nennt die Weltbank verschiedene Gründe: die größere Bedeutung der Landwirtschaft, schlechtere Gesundheitsversorgung, höhere Wahrscheinlichkeit von Naturkatastrophen, gegen die sich arme Länder auf Grund ihrer Armut schlechter schützen können. »Am stärksten vom Klimawandel betroffen werden jene 74 ärmsten Länder sein, die lediglich für ein Zehntel der globalen Treibhausgasemissionen verantwortlich sind«, notiert die Weltbank.
Teller und Rand ist der nd.Podcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.
Dass der ungebremste Klimawandel ein ökonomisches Risiko ist und Klimaschutz ihr Wirtschaftswachstum schützen könnte, diese Erkenntnis hat sich auch in den Hauptstädten der Weltwirtschaftsmächte durchgesetzt. »Kaum etwas zerstört Wohlstand und Wachstum mehr als Klimawandel«, so Marcel Fratzscher, Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung. Gleichzeitig verspricht die globale ökologische Transformation riesige Gewinne – allerdings nur für jene Ökonomien, die das Geld haben, Führungspositionen zu besetzen. »Diejenigen, die die Technologien entwickeln und herstellen, die das Fundament der Wirtschaft von morgen bilden, werden den größten Wettbewerbsvorteil haben«, sagte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bei der Vorstellung des Green-Deal-Industrieplans. »Um uns einen Vorsprung zu verschaffen, müssen wir weiter investieren, unsere industrielle Basis stärken.«
Im Rennen um die Führung im Klima-Business sind die ärmeren Länder ohne Chance: Laut Berechnungen der Climate Policy Initiative haben sich zwar die globalen Klimainvestitionen zwischen 2019/20 und 2021/22 auf rund 1,2 Billionen Dollar verdoppelt. Weniger als drei Prozent davon gingen allerdings in die am wenigsten entwickelten Länder. Die zehn Staaten, die am stärksten vom Klimawandel betroffen sind, erhielten zwei Prozent des gesamten Investitionskuchens. Der Löwenanteil entfiel auf Nordamerika, die EU, Japan und China. Zwischen ihnen läuft der »industrielle, ökonomische und geopolitische Wettkampf um Führungspositionen« im Greentech-Markt, der »durch einen Strom von Investitionen und Innovationen genährt wird«, so der britische Wirtschaftshistoriker Adam Tooze.
Der Norden profitiert
Bereits heute sind die reicheren Industrieländer laut Allianz Research die Hauptexporteure von Umweltgütern, der Globale Süden spielt hier kaum eine Rolle. „Europas Volkswirtschaften sind unter den Top-Exporteuren, sind allerdings von China überholt worden. Die USA fallen unterdessen zurück.“ Von besonderer Bedeutung seien Umweltgüter für die deutsche Wirtschaft, sie machten bereits rund 16 Prozent am deutschen Warenexport aus, mehr als in den anderen großen Industrienationen.
Noch ist der Weltmarkt für Greentech zwar relativ klein. Laut Allianz machen Klimaschutzgüter nur etwa sieben Prozent des weltweiten Gesamtexportes aus. Doch wird dieser Markt wachsen, und wer davon profitieren wird, zeigen die globalen Patentanmeldungen. »Bei Umwelttechnologien dominieren die fortgeschrittenen Wirtschaften eindeutig das Innovationsgeschehen«, so das Wiener Wirtschaftsforschungsinstitut WIIW nach einer Analyse der geografischen Verteilung der Patente. Insbesondere Deutschland ist hier sehr erfolgreich, obwohl oft beklagt wird, die deutsche Industrie habe die Trends verschlafen. Bei den grünen Patenten im Automobilbereich »hat Deutschland stark aufgeholt und liegt nun an der Spitze, vor den USA und Japan«, so das Münchener Ifo-Institut. Auch bei Innovationen im Bereich batteriebetriebene Mobilität sowie Plug-in-Hybride habe Deutschland die globale Führungsposition erlangt.
Während die Weltwirtschaftsmächte den Markt mit- und gegeneinander aufteilen, fällt der Globale Süden zurück. Ihm fehlt das Geld. Nach Schätzungen der Internationalen Energie-Agentur müssten die Entwicklungs- und Schwellenländer – ohne China – ihre Investitionen in »saubere« Energien im nächsten Jahrzehnt von 260 Milliarden auf 1400 bis 1900 Milliarden pro Jahr steigern, andernfalls verfehlten sie ihre Pariser Klimaschutzziele. Bei diesen Summen, so die IEA, seien die Ausgaben für die Anpassung an die Folgen des Klimawandel noch gar nicht enthalten.
Woher dieses Geld kommen soll, ist eines der Hauptthemen auf der kommenden UN-Klimakonferenz. Die Industrieländer haben dem Süden allerdings lediglich 100 Milliarden Dollar zugesagt und den ärmeren Ländern dazu geraten, sich attraktiv für private Investoren zu machen, um die restlichen Billionen zu mobilisieren.
Klimaschulden des Nordens – nicht einklagbar
Um Druck auf die Regierungen Europas und Nordamerikas aufzubauen, halten Wissenschaftler dem Globalen Norden seine »Klimaschulden« vor. Klimaschulden, so der IWF, repräsentieren die Kosten von Umweltschäden, die der Norden durch seine vergangenen CO2-Emissionen verursacht hat und die die ganze Welt tragen muss. Bei ihrer Berechnung wird für jedes Land ein Klimabudget ausgerechnet und anschließend kalkuliert, wie stark ein Land sein Budget in den vergangenen Jahrzehnten überzogen hat. In CO2-Preisen bewertet, ergeben sich so Geldsummen, die die Klimasünder jenen Ländern schulden, die wenig CO2 emittiert haben. Dabei geht es um viel Geld. Laut IWF betragen die Klimaschulden – vor allem des Nordens beim Süden – etwa 60 Billionen Dollar für den Zeitraum 1959 bis 2018. Für den Zeitraum 2019 bis 2035 kämen weitere 80 Billionen Dollar dazu – das sind 80 000 Milliarden.
Auf noch größere Summen kommen die Ökonomen Andrew Fanning und Jason Hickel: Bis zum Jahr 2050 fortgerechnet schuldeten die Industrieländer dem Rest der Welt als Kompensation für ihre Übernutzung der Atmosphäre insgesamt 170 Billionen Dollar. Die Klimaschulden der USA betrügen aggregiert etwa 80 Billionen Dollar, die EU und Großbritannien kämen auf 46 Billionen. Deutschland müsste bis 2050 rund zwölf Billionen US-Dollar zahlen, das entspräche rund 400 Milliarden Dollar pro Jahr. »Fanning und Hickel berechnen dabei nur die Vermeidungskosten und nicht die tatsächlichen Schäden einer Erderwärmung von 1,5 Grad Celsius, die mit jedem weiteren Zehntelgrad noch einmal deutlich zunehmen werden«, schreibt Benjamin Held vom FEST-Institut auf dem Portal »Makronom«.
Größter Klimagläubiger wäre Indien, dem 57 Billionen Dollar an Entschädigungen zustünden. Subsahara-Afrika hätte Anspruch auf 45 Billionen Dollar. Doch bleiben diese Klimaschulden ein moralischer Appell. Eine durchsetzbare Zahlungspflicht des Nordens folgt aus ihnen nicht. Denn die potenten Industriestaaten haben sich in den Jahrzehnten ihres ökonomischen Aufstiegs die Atmosphäre nicht »geliehen«, sondern sich schlicht angeeignet und darauf ihre Wirtschaftsmacht begründet. Schulden sind Machtfragen, auch beim Klima. Die ärmeren Länder werden daher voraussichtlich vergeblich Milliardenhilfen des Nordens fordern. Und die Gelder, die fließen werden, dürften vor allem einem Zweck dienen: »Kritische Rohstoffe sind für unsere Wettbewerbsfähigkeit und für die von uns angestrebte Führungsrolle bei den grünen Industrien von zentraler Bedeutung«, so EU-Kommissions-Vizepräsident Valdis Dombrovskis.
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