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UN-Klimakonferenz: Zu viel Energie
Die Erderwärmung ist kein Durchschnittswert mehr, sie ist an jedem Tag erkennbar. Selbst erfahrene Wissenschaftler sind schockiert
Längst nicht mehr jedes Extremwetterereignis schafft es in die Medien. Die meisten Menschen werden sich an Nachrichten über die bis zu einem Monat dauernde Hitzewelle in den USA erinnern. Oder an die Fluten, die in Libyen ganze Stadtteile von Derna fortspülten. Hurrikan Otis, der Ende Oktober in Acapulco für Tod und Zerstörung sorgte, war eher eine Randnotiz, obwohl er eine ganz neue Bedrohung zeigte: Er entwickelte sich innerhalb nur eines Tages von einem tropischen Wirbelsturm zu einem Hurrikan der Kategorie 5 – ein Beispiel für das Übermaß von Energie im Klimasystem.
Kommende Woche treffen sich die Vertreter*innen der UN-Mitgliedstaaten zur UN-Klimakonferenz in Dubai und obwohl das laufende Jahr noch nicht vorüber ist, besteht kein Zweifel daran, dass es ein Rekordjahr war: »Wir können mit ziemlicher Sicherheit sagen, dass 2023 das wärmste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen sein wird und derzeit 1,43 Grad Celsius über dem vorindustriellen Durchschnitt liegt«, sagte Samantha Burgess, stellvertretende Direktorin des Klimawandeldienstes des europäischen Erdbeobachtungssystems Copernicus. Und selbst die Zwei-Grad-Grenze wurde laut Copernicus am 17. November erstmals für einen Tag gerissen.
Inzwischen sind alle betroffen
Blickt man nicht auf das Kalenderjahr, sondern auf die zurückliegenden zwölf Monate, lagen diese im globalen Durchschnitt bei rund 1,3 Grad Celsius über vorindustriellem Niveau, so eine Auswertung der gemeinnützigen Nachrichtenorganisation Climate Central in Princeton. Betroffen waren Menschen auf dem gesamten Planeten: In 170 Ländern lagen die Temperaturen über dem Schnitt der letzten 30 Jahre, und dies bekamen 99 Prozent der Menschheit zu spüren.
Höhere Temperaturen und damit auch häufigere Hitzewellen sind eine unmittelbare Folge der globalen Erwärmung, die sich wissenschaftlich problemlos auf den menschengemachten Treibhausgasausstoß zurückführen lässt. Je mehr Treibhausgase in der Erdatmosphäre enthalten sind, desto größer auch der Treibhauseffekt. Und die Treibhausgaskonzentration ist im Jahr 2022 erneut gestiegen, wie die Weltorganisation für Meteorologie (WMO) Mitte November bekanntgab. 417,9 ppm (parts per million) CO2 enthielt die Erdatmosphäre 2022 im Schnitt, 2,2 ppm mehr als im Vorjahr und 150 Prozent des Kohlendioxidgehalts des Jahres 1750. Aber auch die Anteile der Treibhausgase Methan und Lachgas stiegen weiter.
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Kohlendioxid gilt dabei als das größte Problem, denn es baut sich am langsamsten ab, sodass der Planet noch einige Dekaden auf einem hohen Temperaturniveau verharren würde, wenn das Ziel von Netto-Null-Emissionen erreicht wäre. In der Erdgeschichte war die CO2-Konzentration in der Atmosphäre zuletzt vor drei bis fünf Millionen Jahren ähnlich hoch wie heute, so die WMO, und die Temperaturen auf der Erde waren dereinst um zwei bis drei Grad wärmer, der Meeresspiegel um zehn bis 20 Meter höher.
Die Hitze als leiser Killer
»Selbst für Laien wird es offensichtlich sein, dass Hitzeextreme in einer sich erwärmenden Welt zunehmen werden. Aber es mag unerwartet sein, um wie viel: Monatliche Hitzeextreme, die während des Basiszeitraums 1951 bis 1980 drei Standardabweichungen über dem Durchschnitt lagen, haben bereits um das 90-fache an Häufigkeit auf der globalen Landfläche zugenommen«, schreiben die Klimaforscher*innen Giorgia Di Capua und Stefan Rahmstorf in einem im Oktober im Fachjournal »Environmental Research Letters« veröffentlichten Beitrag. Länger anhaltende Hitze sei dabei ein »silent killer«, also ein lautloser Mörder. Hitzetote sind anders als die Opfer von Stürmen und Überschwemmungen nicht mit einem Mal und unmittelbar sichtbar. Laut Climate Central war in den vergangenen zwölf Monaten bereits ein Viertel der Weltbevölkerung von gesundheitsgefährdenden Hitzewellen betroffen, die mindestens fünf Tage andauerten.
Dass immer mehr Energie im Erdsystem steckt, zeigte sich auch an den Meerestemperaturen, die seit Anfang Mai in ungekannte Höhen kletterten und bereits über Monate einen Abstand von etwa 0,2 Grad zu den bisherigen Rekordwerten halten. Die diesjährigen marinen Hitzewellen sind allerdings erst der Anfang. In einer um zwei Grad wärmeren Welt würden sie 23-mal häufiger vorkommen als ohne globale Erwärmung, so Di Capua und Rahmstorf.
Gestiegene Land- und Meerestemperaturen befördern die Verdunstung und damit immer extremere Starkregen, wie etwa mit dem Tiefdrucksystem »Daniel« im September im Mittelmeerraum, insbesondere in Libyen niedergingen. »Ein so extremes Ereignis, wie es über Libyen beobachtet wurde, ist bis zu 50 Mal wahrscheinlicher und bis zu 50 Prozent intensiver im Vergleich zu einem 1,2 Grad Celsius kühleren Klima«, stellte der Forschungszusammenschluss World Weather Attribution fest, der sich mit dem Anteil des Klimawandels an Extremwetterereignissen beschäftigt. Dass die Regenmengen wachsen, erscheint logisch, da die Atmosphäre pro Grad Erwärmung sieben Prozent mehr Feuchtigkeit aufnehmen kann. Allerdings verteilen sich die zusätzlichen Niederschlagsmengen nicht gleichmäßig, sondern fallen zur Hälfte an nur sechs Tagen eines Jahres, wie die Klimaforscher Angeline Pendergrass und Reto Knutti bereits 2018 darlegten.
Dennoch gibt es auch Regionen, die trockener werden. Eine davon könnte das Amazonasgebiet sein, das unter der schwersten Dürre seit Beginn der dortigen Wetteraufzeichnungen vor 120 Jahren leidet. Dabei könnte inzwischen ein Kipppunkt erreicht sein, der allerdings nicht alleine auf den menschengemachten Klimawandel, sondern vielmehr auch auf die Entwaldung zurückgeht. Denn eine Besonderheit des Amazonas ist es, dass der Regen im westlichen Bereich aus der eigenen Verdunstung des Waldes in den östlichen Gebieten stammt. Ab einer Abholzung von 20 bis 25 Prozent könnte sich der Regenwald in eine Savanne verwandeln, vermuten Wissenschaftler, wobei auch das Klima negativ mitspielt. Je stärker die Erwärmung, desto weniger Entwaldung kann das System verkraften. Dass eine Vegetationsänderung im Amazonas die Niederschlagsmuster des ganzen Kontinents verändern werde, machte kürzlich eine Studie der Forscher Nils Bochow und Niklas Boers vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung deutlich.
»Wir betreten unbekanntes Terrain«
Dass Kipppunkte und Rückkopplungseffekte im Klimasystem existieren, ist ziemlich sicher, unsicher bleibt, wann sie genau eintreten. In einem Bericht zum Zustand des Klimas 2023 wünschen sich internationale Wissenschaftler*innen um die Leitautoren William J. Ripple und Christopher Wolf daher einen Sonderbericht des IPCC über Rückkopplungen und Kipppunkte im Klimasystem. In dem in »BioScience« veröffentlichten Bericht heißt es: »In Bezug auf die Klimakrise betreten wir unbekanntes Terrain, eine Situation, die in der Geschichte der Menschheit noch niemand aus erster Hand erlebt hat.« Und: »Die Wahrheit ist, dass wir von der Heftigkeit der extremen Wetterereignisse im Jahr 2023 schockiert sind.«
Auch Di Capua und Rahmstorf stellen fest, dass Extremwetterereignisse mit einer Geschwindigkeit zunehmen, die die bisherigen aus thermodynamischen Gesetzen abgeleiteten Erwartungen übertreffen. Sie betonen daher, wie wichtig es ist, dynamische Effekte im Klimasystem besser zu erforschen. Dazu gehören Veränderungen des Jetstreams oder des Nordatlantikstroms. Große Ausbuchtungen im Jetstream, können gleichzeitig auftretende Hitzewellen begünstigen – und damit in mehreren Regionen die Ernten gefährden. Und auch eine Abschwächung des Nordatlantikstroms –und damit des Golfstroms, der in Europa für ein mildes Klima sorgt – und letztlich dessen Zusammenbruch zählen zu den möglichen Klimafolgen, an denen noch intensiv geforscht wird.
Seit 2012 sei der Klimawandel an jedem Tag der Wetterbeobachtung zu erkennen, schreiben Di Capua und Rahmstorf: »Es gibt keine Tage mehr auf der Erde, an denen sich das globale Wetter nicht signifikant von dem unterscheidet, was es ohne menschlichen Einfluss wäre.«
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