Die Kunst des Waldumbaus

Ex-Oberforstmann Wolfram Schulz spricht bei einem Gang durchs Revier Krampnitz über Umbrüche durch Wende und Klimawandel

Vielfältige Mischwälder sind typisch für das Revier Krampnitz.
Vielfältige Mischwälder sind typisch für das Revier Krampnitz.

Am ganzen Berg standen hier solche Buchen mit Superkronen», sagt Wolfram Schulz. «Es war der Sturm, der solche Löcher reingerissen hat.» Wir stehen auf einer Lichtung, entstanden durch das Orkantief «Friederike», bei dem im Januar 2018 allein in Brandenburgs Wäldern etwa 290 000 Festmeter Holz umgeworfen wurden. Auch hier im Revier Krampnitz vor den Toren Potsdams. Die vereinzelt noch stehenden, 30, 40 Meter hohen Buchen sterben ebenfalls allmählich ab: Die Kronen sind stark geschädigt und die Stämme leiden unter Rindenbrand. Starke Sonneneinstrahlung und übermäßige Erhitzung sind für die dünnrindige Baumart eine größere Gefahr als Trockenheit, erläutert der Diplom-Forstingenieur und ehemalige Oberforstmann. Doch der Wald lebt: «Wo die Kronen nicht dicht sind und Licht den Boden erreicht, kommt die Buche auch von unten.» Tatsächlich sprießen an mehreren Stellen dutzende Bäumchen dicht an dicht in die Höhe. «Naturverjüngung» heißt das in der Fachsprache.

Die beherrscht Schulz bis heute, denn er widmete nicht nur sein gesamtes Berufsleben dem Wald. Es begann 1952 mit der Lehre im Staatlichen Forstwirtschaftsbetrieb Potsdam. Seinerzeit gab es riesigen Fachkräftebedarf, denn in der Forstwirtschaft «waren alles Nazis», wie der 86-Jährige rückblickend sagt. «Es fehlten Revierförster, Oberförster, Betriebsleiter.» Nach Abitur und dreijährigem Dienst bei der Grenzpolizei begann er sein Ingenieurstudium an der ehrwürdigen Forstfakultät in Tharandt in der Sächsischen Schweiz.

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So wie in Tharandt – an dem 1811 gegründeten Institut, das heute zur TU Dresden gehört, werden noch immer künftige Förstergenerationen ausgebildet – Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft an einem Ort zusammenspielen, gilt für jeden einzelnen Wald, auch hier nahe Krampnitz: «Das sind Kiefern, wie wir sie gepflanzt haben», sagt Schulz und zeigt auf lange Baumreihen, die jeweils in 20 Meter Abstand stehen. Dies erleichterte die Arbeiten: «Kulturfrauen» waren damals für Pflanzung und Pflege zuständig, Männer für die Arbeiten mit der Motorsäge. 20 Waldarbeiter waren alleine mit dem Holzeinschlag beschäftigt, erinnert er sich.

Wenn etwa Naturschützer abschätzig von «Kiefernmonokolturen» sprechen, ärgert das Schulz. Das Warum interessiere keinen, sagt er, aber man müsse sich doch die historische Entwicklung vor Augen halten: Nach dem Zweiten Weltkrieg waren viele Wälder in Deutschland durch Kampfhandlungen, Kahlschlag der frierenden Bevölkerung und durch Reparationsleistungen schwerst geschädigt. In kürzester Zeit sollten DDR-weit 600 000 Hektar aufgeforstet werden, auch, um den eigenen Holzbedarf nachhaltig decken zu können. «Ein Wahnsinnsaufwand», sagt Schulz rückblickend. Und man sieht ihm den Stolz an, dass diese Aufbauleistung mit einfachsten Mitteln und dem Engagement vieler Menschen innerhalb von etwa zehn Jahren gelang.

Da er auch sehen konnte, wie schwierig und gefährlich die Waldarbeit sein kann, hatte es ihm gerade die technische Entwicklung in der Forstwirtschaft angetan. Er war Verantwortlicher für Wissenschaft und Technik in verschiedenen Forstverwaltungen und arbeitete seit 1966 an der DDR-Zentralstelle für Forsttechnische Prüfungen Potsdam-Bornim. Sie verfügte über Ackerflächen, eine Halle in Holzkonstruktion und diverse Prüfvorrichtungen. Eine Mischung aus Sand mit Schlacke sorgte für extreme Prüfbedingungen. Beim Forst-TÜV getestet wurden DDR-Produkte, aber auch etwa Traktoren aus Nebraska oder Motorsägen aus Finnland. Nach einigen Jahren in der VVB Forstwirtschaft folgte er 1975 dem Ruf ins Landwirtschaftsministerium nach Berlin-Karlshorst, wo er für Rationalisierungsmittelbau in Forstbetrieben zuständig war. Um 1982 wieder nach Bornim als Leiter zurückzukehren. In den 80er Jahren wuchsen die Anforderungen an die Gerätschaften mit der sogenannten Höchstertragskonzeption. «Sie sollte eine maximale Eigenversorgung mit Holz sicherstellen und das jeweils standortbezogen mit einer Baumartenmischung», erklärt Schulz.

Die Wälder um Krampnitz zeichnen sich für brandenburgische Verhältnisse seit Langem durch solche besondere Vielfalt aus. Im Oberstand dominieren Kiefern, teils 120 bis140 Jahre alt, heimische Eichenarten und Rotbuche, im Unterstand unterschiedlichste Laubbaumarten. Während unseres Waldgangs sehen wir Winterlinde, Hainbuche, Spitzahorn, Traubenkirsche, Esskastanie, am Seeufer auch Erlen und Eschen. Das Revier mit einer Gesamtfläche von 1400 Hektar besteht vor allem aus zwei zusammenhängenden Waldkomplexen, die einen hohen Anteil an Schutzgebieten aufweisen, die mit Einschränkungen bei der wirtschaftlichen Nutzung verbunden sind. In den FFH-Gebieten sind diese recht gering, im Naturschutzgebiet Sacrower See und Königswald hingegen strenger. Hier soll nach aktueller Planung irgendwann ein reiner Laub-Mischwald entstehen.

Seit den Jahren der schweren Dürre, Stürme und Borkenkäferbefall 2018 bis 2020 wird als Maßnahme zur Anpassung an die Klimawandelfolgen gefordert, Mischwälder deutlich auszuweiten, denn diese gelten als robuster, da häufig nur einzelne Baumarten absterben. Dies zeigt aber: Klimaanpassung wird eben auch mit Eingriffen in die Natur verbunden sein, wovon Schulz überzeugt ist. Und worüber er regelmäßig mit Naturschützern oder Vogelkundlern kontrovers diskutiert.

Die Mischwälder rund um Krampnitz haben die Dürrejahre auf den ersten Blick recht gut überstanden, was bei genauerem Hinsehen aber doch nicht ganz stimmt: In der Ferne zeigt Schulz auf einige Kiefern, die im Absterben begriffen sind. Dass diese eigentlich anspruchslosen Nadelbäume vertrocknen können, sei auch für ihn eine neue Erkenntnis. Aber bei 1,80 Meter Grundwasserverlust kämen die Pfahl- und Seitenwurzeln an manchen Stellen nicht mehr ans lebenswichtige Nass. «In diesem Jahr hat der Förster wieder nur Totholz gemacht.»

Schockartige Ereignisse wie die Dürrejahre 2018 bis 2020 können im Wald alles durcheinanderbringen. Für die staatliche Forstwirtschaft im Osten Deutschlands war das aber die Wende. Rund 54 000 Menschen waren zuvor hier beschäftigt – von Pflege und Waldbewirtschaftung bis hin zur Konsumgüterproduktion. Allein in Brandenburg waren es über 12 000 – heute ist es nicht einmal ein Zehntel davon. Die Betriebe wurden zerschlagen, und das galt auch für die Prüfanstalt in Bornim: Als deren Leiter reiste Schulz stolz in seiner Oberforstmann-Uniform zu Verhandlungen nach Groß-Umstadt im Süden Hessens, wo das West-Pendant seinen Sitz hat. Doch in der Bundesrepublik wollte man keine zwei Forst-TÜVs haben. Bornim wurde 1991 zur Außenstelle degradiert, von 25 Fachkräften wurden sieben übernommen. «Wutentbrannt, fast mit Tränen in den Augen» sei er nach Hause zurückgekehrt, sagt Schulz. Er selbst wollte das nicht mitmachen und kündigte. Er wechselte zu einer Baufirma, die auch mit Wegebau im Wald zu tun hatte, war Mitgründer des forstlichen Unternehmerverbandes für Brandenburg und arbeitete später für das aus der DDR-Forstwirtschaft hervorgegangene Unternehmen Sondermaschinenbau Calvörde, wo er mit 70 Jahren in Rente ging.

Wiedererrichtet wurden nach der Wende im Osten hingegen die Forstämter. Mit den neuen Strukturen nahm die Bedeutung der meist im Landesdienst arbeitenden Förster wieder zu. Sie müssen dafür sorgen, dass der jeweilige Wald alle seine Funktionen (Ökologie, Erholung, nachhaltige Bewirtschaftung) erfüllen kann, zu denen sich als vierte jetzt noch die Klimaanpassung hinzugesellt. Langjährige Erfahrung gerade mit den Besonderheiten des jeweiligen Standortes wie Bodenqualität, Lichtverhältnissen und der Oberstand sind hier von großer Bedeutung, ist Schulz überzeugt. Aber auch das Engagement, etwas auszuprobieren: Pflanzung hier, Naturverjüngung da. Gesetzliche Vorgaben lassen vor Ort Spielraum. Schulz zeigt auf ein unscheinbares junges Bäumchen: «Das ist ein Riesenlebensbaum, ein echter Exot», sagt er. Nachdem der Förster hier drei Jahre umsonst gepflanzt habe und alles vertrocknet sei, «ist in diesem Jahr erstmals was angewachsen». Es gebe aber auch Flächen, wo er einfach abwartet, was kommt. «Waldumbau ist ne komplizierte Sache. Da gehört richtig Geschick zu.»

Wie wird der klimaangepasste Wald in Krampnitz dereinst aussehen? Ein mediterraner werde es nicht sein, meint Schulz, denn diese Baumarten seien nicht standortangepasst an hiesige Spätfröste und das ganz andere Licht. Erstaunlicherweise kommen die Tannen, die der zuständige Förster seit 20 Jahren ausprobiert, gut mit der Trockenheit zurecht. «Wald reagiert anders, als man denkt.» Aber eines kann er aus eigener Erfahrung sagen: «Waldumbau dauert 50 Jahre. So einfach ist das.»

Heute widmet sich Schulz weiter seiner Leidenschaft: Er betreibt in Görzke (Kreis Potsdam-Mittelmark) ein kleines Museum für forstwirtschaftliche Geräte aus rund 100 Jahren. So oft es geht, ist er im Wald rund um Krampnitz unterwegs, wo er ein Wochenendgrundstück hat. Hier unterstützt er den Förster, räumt einmal jährlich Abfall weg: «Vor einigen Jahren habe ich 25 bis 30 Säcke rausgeholt, jetzt sind es noch 15.» Ob die Klimaschäden und die Debatte darum einen sorgsameren Umgang mit sich bringen? Er hofft das. Auch das ist natürlich eine Voraussetzung für den dauerhaften Erhalt lebendiger Wälder. Und die überraschen ihn auch nach sieben Jahrzehnten noch aufs Neue, wie er an einer Stelle konzidiert: «Ich hätte nie gedacht, dass wir hier einmal Bergahorn und Spitzahorn gleichzeitig und gleichwertig so super hinkriegen.»

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