- Wirtschaft und Umwelt
- Stationäre Versorgung
Viele Krankenhausfälle vermeidbar
Pflegebedürftigkeit verlängert Klinikaufenthalte, weil die Nachsorge nicht gut organisiert ist
Es gibt viele Gründe, warum hochaltrige Patienten nicht unbedingt im Krankenhaus versorgt werden müssen. Zum einen wünschen sie es selbst nicht, zum anderen kann es sein, dass etwa eine intensive medizinische Versorgung ihre Gesundheit auch objektiv nicht mehr verbessert. Zudem könnte eine bessere ambulante Versorgung dabei helfen, dass in der Gruppe der Älteren, und hier auch unter mehrfach erkrankten (also multimorbiden) Patienten, Krankenhausaufenthalte vermieden werden.
Diese letztgenannte Konstellation wurde im aktuellen Barmer-Pflegereport genauer untersucht. Die Ergebnisse stellte die Krankenkasse am Dienstag in Berlin vor. Von den zuletzt knapp 17 Millionen Behandlungsfällen (2022) wären demnach 1,3 Millionen Krankenhausaufenthalte potenziell vermeidbar. Eine Verminderung der Fälle in dieser Dimension könnte den Krankenhäusern durchaus helfen, denn auch hier fehlen Pflege- und andere medizinische Fachkräfte, die vorhandenen kommen häufig an Belastungsgrenzen. Jedoch zeigt sich schnell: Die fehlende ambulante Betreuung wird durch genau das gleiche Problem verursacht – es fehlt Personal.
Laut Barmer-Vorstand Christoph Straub könnte eine »individuelle, passgenaue Behandlung helfen, dass zum Beispiel bei Herzinsuffizienz oder Diabetes« Klinikaufenthalte vermieden werden. Aber es mangele an der Kooperation zwischen Haus- und Fachärzten, auch zwischen der Pflege und den Hausärzten gebe es zu wenig Kommunikation. »Das System funktioniert für pflegebedürftige, multimorbide Menschen nicht optimal«, muss Straub feststellen.
Gesucht werden neue, effizientere Versorgungsstrukturen. Gerade im Zuge der Krankenhausreform könnten diese entstehen, am besten wohnortnah und sektorenübergreifend. Aber wie das am Ende konkret aussieht, ob es Zentren sind, die bisher eigentlich kleine Krankenhäuser waren, darüber haben sich Bund und Länder noch nicht geeinigt. Sinnvoll wären diese Einrichtungen, wenn dort verschiedene Gesundheitsberufe, Arztpraxen und auch Pflegedienste gemeinsam tätig wären.
Der Pflegereport legte konkrete Zahlen zu Klinikaufenthalten in den Vorjahren vor: Zwischen 2017 und 2022 waren monatlich im Schnitt etwa 280 000 pflegebedürftige oder kurz davor stehende Patienten zur Behandlung im Krankenhaus. Ein Teil davon hätte unter besseren Bedingungen von einer Hausarztpraxis oder direkt im Pflegeheim behandelt werden können. Darunter waren monatlich knapp 16 000 Fälle mit einer Herzinsuffizienz, außerdem etwa 4000 Fälle von Typ-2-Diabetes.
Insgesamt waren 2022 in einem Viertel aller Krankenhausfälle die Patienten pflegebedürftig, schon als sie stationär aufgenommen wurden. Weitere 275 000 Menschen, 1,9 Prozent der Fälle, wurden es im Anschluss an die Behandlung. In beiden Konstellationen bringt das einen längeren Klinikaufenthalt mit sich als bei Nichtpflegebedürftigen. Durchschnittlich 3,4 Tage mehr werden nötig, auch weil die Pflege zu Hause noch organisiert werden muss. Sogar mehr als sechs Tage länger dauert der stationäre Aufenthalt, wenn eine Kurzzeitpflege folgt, kann Heinz Rothgang den Daten der Barmer entnehmen. Der Gesundheitsökonom von der Universität Bremen gehört erneut zu den Autoren des Barmer-Pflegereports. Die Kurzzeitpflege ist häufig eine Überbrückung, wenn im Anschluss an das Krankenhaus etwa ein dauerhafter Platz im Pflegeheim gefunden werden muss.
Krankenkassen sind daran interessiert, die ärztlichen Ressourcen in diesen Bereichen besser zu nutzen. Barmer-Vorstand Straub sieht ein Problem darin, dass durch die freie Arztwahl sehr viele verschiedene Ärzte in die Heime kommen oder die Patienten zu ihnen gebracht werden. Wenn es je Heim zum Beispiel einen zuständigen Arzt gäbe, wäre dessen Arbeit dort effektiver. Ein anderes Problem bestehe darin, dass in vielen Heimen Pflegekräfte arbeiteten, »die nicht ideal darauf vorbereitet sind, das zu erkennen, was Krankenhausaufenthalte vermeiden könnte«, ergänzt Straub, der aber den Pflegenden in dieser Sache keine Vorwürfe macht.
Auch im ambulanten Bereich gibt es Versorgungsprobleme: Niedergelassene Ärzte führen kaum noch Hausbesuche durch. Stattdessen müssen auch gebrechliche Patienten in die Praxen gebracht werden. Eine Erleichterung könnten sogenannte Community Health Nurses, qualifizierte Pflegekräfte, bringen. Sie würden etwa Hausbesuche übernehmen und Ärzte entlasten. Ausgebildet werden sie auch in Bremen. »Aber es gibt keine speziell zugeschnittenen Arbeitsplätze für sie«, kritisiert Rothgang. Unter anderem liegt das daran, dass erst wenige Menschen diesen Studiengang belegen. Für diese Gruppe wären ambulant-stationäre Gesundheitszentren oder auch Gesundheitskioske eine Chance. »Solche Zentren oder auch die Level-1e-Krankenhäuser laut Gesundheitsreform könnten als Nachsorgeeinrichtungen für Krankenhäuser attraktiv werden«, meint der Ökonom Rothgang. Sehr optimistisch sei er in dieser Frage allerdings nicht.
Was könnten Krankenkassen dazu beitragen, unnötige Krankenhausfälle und -zeiten zu vermeiden? Barmer-Vorstand Straub nennt die bessere Unterstützung der Angehörigen. Sie fängt damit an, die nötigen Formulare bei einem Übergang zu höherem Pflegebedarf zu vereinfachen. Den Kassen (wie auch Pflegebedürftigen und Angehörigen) würde es schon helfen, wenn Krankenhäuser im Rahmen des Entlassmanagements regelhaft über neuen Pflegebedarf informierten.
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