Peter Hacks: Haltung auch im Dämmer

Haffner, Harich, Wagenknecht und Gerüchte von seidener Unterwäsche. Endlich liegt der Briefwechsel von Peter Hacks und André Müller sen. vor

  • Holger Becker
  • Lesedauer: 6 Min.
Unterhaltungen über Walter Ulbricht und andere Sozialismen: Peter Hacks zu Besuch bei André Müller sen. in Juntersdorf, NRW, Ende der 90er
Unterhaltungen über Walter Ulbricht und andere Sozialismen: Peter Hacks zu Besuch bei André Müller sen. in Juntersdorf, NRW, Ende der 90er

Peter Hacks, der Dramatiker, Lyriker, Kinderbuchautor und Essayist, trage seidene Unterwäsche. Das Gerücht streuten zu Beginn der 80er Jahre Leute aus dem Kreis des Stückeschreibers Heiner Müller, dem Hacks zwei Jahrzehnte zuvor mit Geld, Spirituosen und Protektion ausgeholfen hatte. Es sollte den zu jener Zeit noch meistgespielten deutschen Bühnenautor als Snob brandmarken. Wer damals nicht am Berliner Kunstelitentratsch teilhatte, erfährt es jetzt aus dem endlich vorliegenden Briefwechsel zwischen Hacks und seinem ab 1957 lebenslangen Freund André Müller sen. Es provoziert ein Grinsen.

Mich rief Hacks einmal im Jahr 1995 an, weil er einen Rat erbat. Bei der Hamburger Edition Nautilus erschien gerade mit dem Band »Die Erzählungen« das erste Buch von ihm in diesem ansonsten auf die Literatur der Anarchisten fokussierten Verlag. Und Hacks wollte wissen, wo denn am besten eine Pressekonferenz zu dieser Premiere abzuhalten sei. Hacksologisch unbeleckt, schlug ich ihm das noch existierende Internationale Pressezentrum in der Berliner Mohrenstraße vor, bekannt bei allen Journalisten, ausgestattet mit der nötigen Technik und aus den meisten Redaktionen in Deutschlands größter Stadt schnell zu erreichen. Das sei ja schön und gut, erwiderte der Dichter, doch ihm »nicht snobistisch genug«. Ob ich nichts anderes wisse. Mir fiel das Restaurant »Medici« ein, das es damals in Kreuzberg gab. Die namentliche Nähe zur Dynastie der florentinischen Renaissance-Aristokraten gefiel ihm sofort. Ich weiß nicht, ob er sich in dem Lokal umgesehen hat. Seine Pressekonferenz fand dann in Weimar, in Goethes Nachbarschaft statt. Doch ins Hotel »Elephant«, so war zu hören, verirrte sich kaum ein Journalist.

Der Kommunist Peter Hacks, 1955 aus dem Westen in die DDR gekommen und ein so heiterer wie höflicher Mann, so meine ich, war kein Snob, er legte aber Wert auf den Ruf, einer zu sein. Seine Attitüde aristokratischer Überlegenheit zog Berechtigung aus seinem geistigen Rang, seiner überwältigenden Bildung, seinem Weltgeltung erlangenden Werk. Sie schüchterte die Gegner ein, die der mit seinen Stücken »Die Sorgen und die Macht« und »Moritz Tassow« zeitweise verbotenste Dramatiker, aber auf der langen Strecke dem Sozialismus treueste Großautor der DDR in seiner zunehmend fundamental dissidierenden Kollegenschaft fand. Und sie half ihm, das zeigt auch der Briefwechsel, Haltung zu bewahren im Dämmer der Niederlage.

Doch tatsächlicher Dünkel gegenüber dem Mitmenschen sieht anders aus als bei Hacks, der auf seinem Landsitz im Brandenburgischen zusammen mit seiner Frau Anna Elisabeth Wiede täglich zu Mittag mit seinen Hausangestellten speiste, die er sich aufgrund seiner zeitweise für DDR-Verhältnisse enormen Einkünfte leisten konnte und gut bezahlte. Der Dichter war ein politischer Feind der Gleichmacherei. Er dachte den auch in seiner realen Gestalt verteidigten Sozialismus als Leistungsgesellschaft, also mit notwendigen Unterschieden.

Die DDR sah er auf dem Weg dorthin in der Ära Walter Ulbrichts, der nach dem Mauerbau 1961 vorsichtig-klug Reformen einleitete, sein marktorientiertes Neues Ökonomisches System installierte und dies mit einer liberaleren Jugend- und Kulturpolitik flankierte. Für Hacks war Ulbricht der aufgeklärte Herrscher in einem System des »sozialistischen Absolutismus«, angetreten, die Gegensätze der neuen »sozialistischen Klassen«, des Funktionärsapparates und der Intelligenz, auszutarieren. Ulbrichts realistische Auffassung vom Sozialismus als lang andauernde, relativ selbstständige Gesellschaftsperiode machte den SED-Chef für Hacks zum Klassiker. Der Kommunismus wurde dem Dichter so zum nur näherungsweise erreichbaren Ideal, und zwar des Reichtums und keinesfalls der Askese.

Was der Austausch mit André Müller, dem Kommunisten aus Köln, der selbst Romane, Erzählungen und Stücke, insbesondere aber unentbehrliche marxistische Shakespeare-Interpretationen schrieb, für Hacks’ Werden und Wirken bedeutete und wie dieses sich in jenem spiegelte, müssen wir nicht mehr erkunden. Ronald Weber hat es in seiner vorzüglichen Biografie (»Peter Hacks. Leben und Werk«, Berlin 2018) geleistet. Ihr liegen sowohl Müllers »Gespräche mit Hacks. 1963 bis 2003« (Berlin 2008) zugrunde als auch die von Weber gesichtete Korrespondenz des vorliegenden Bandes.

Auch der Briefwechsel der beiden bestätigt: Müller war für Hacks Hauptkonsultant in allen Fragen, die das Dichterhandwerk betreffen, und gleichzeitig kongenialer Partner bei kremlastrologischen Prophezeiungen, die aber oft genug danebenlagen. Der Rheinländer mit zeitweisem Zweitwohnsitz im Osten Berlins diente dem DDR-Dichter nicht nur als Ecker-, sondern auch als Neckermann, zum Beispiel als Beschaffer von Blumenzwiebeln und orginal französischen Gitanes-Zigaretten, denn die aus dem bundesdeutschen Handel schmeckten Hacks nicht.

Überraschungen bieten sich dennoch. Eine ist Hacks’ Suche nach Kontakt zu Sebastian Haffner, dem Journalisten und Buchautor, der nicht nur mit seinen »Anmerkungen zu Hitler« für Aufsehen gesorgt hat, sondern auch mit seiner Schilderung des Verrats der SPD-Führung an der Novemberevolution von 1918. Hacks bittet Müller mehrfach, ihm die Adresse Haffners (den er dann später in Westberlin besucht) zu besorgen, und wird ungehalten, als Müller, sich als unfähig (oder unwillig?) zeigt, dem nachzukommen. Der Grund für Hacks’ Interesse ist der Aufsatz »Deutschland zwischen den Supermächten«, aus dem er folgende Schlussfolgerung zieht: »Wir alle wußten, daß die Moskowiter mehrmals die DDR zu Markt zu tragen vorhatten, aber wir alle, glaube ich, hatten übersehen, daß ihre Neigung dazu eine grundsätzliche ist.«

Geschrieben Endes Jahres 1986, spricht das von Ahnungen dessen, was auf die Welt zukommen kann, auch wenn Hacks dem neuen Sowjetführer Michail Gorbatschow dessen Versprechen noch glaubt, »die DDR zur Zeit nicht feilzubieten«. Das sollte sich bald ändern. Man mag Hacks’ »Geheimdienstriecherei«, die tatsächlich skurrile Züge annehmen konnte, mit Ronald Weber für die »stehende Narrheit« des Dichters halten, sie führte ihn dennoch auf die richtige Spur.

Mit einem 1993 ans Licht gelangten Dossier des BND wurde das falsche Spiel aktenkundig, das der Kreml mit dem »Bruderland« DDR getrieben hat. Es informierte über eine sowjetische Geheimdienststruktur namens »Lutsch«, die Leute in den DDR-Apparaten, in Kultur und Wissenschaft für gorbatschowistische Umtriebe rekrutierte (siehe »Moskau und die ›Wende‹ in der DDR«, ND, 24.9.1993). Dass die DDR selbst sich in elendem Zustand befand, ist gerade Hacks nicht anzulasten, der das illusionsgetriebene Regime Honeckers mit seinen beträchtlichen Kunstmitteln vor großem Publikum kritisiert hat.

Die zweite, wenn auch nicht gleichermaßen überraschende Entdeckung: Hacks gab eine für alle Zeiten zitierbare Ehrenerklärung für Wolfgang Harich ab, den Philosophen und Literaturwissenschafler, der bei der von Walter Janka, Stefan Heym und Stephan Hermlin befeuerten DDR-Dissidentsja als Lumpenhund galt. Anlass war ihm die Weigerung der von André Müller mitredigierten DKP-Zeitschrift »Kultur & Gesellschaft«, 1987 Harichs heftigen Essay gegen eine Nietzsche-Renaissance zu drucken (der erschien dann später in etwas verstümmelter Gestalt in »Sinn und Form«). Hacks kritisierte die Ablehnung: »Ein Vorgang wäre das doch gewiß gewesen: ein großer Text von einem großen Ehrenmann über einen großen Schurken; auf die Brauchbarkeit im einzelnen käme es da doch kaum mehr an.«

Briefwechsel lesen wir, wie schon gesagt, aus retrospektivem Interesse an Klatsch und Tratsch. Wer also wissen will, was Hacks von Freunden, Feinden, Bekannten und dieser oder jener politischen Figur gehalten hat, kommt auf seine Kosten in diesem mit vorzüglichem Apparat ausgestatteten Band. Es treten unter anderem auf: Sahra Wagenknecht, die er mit Geist und Geld förderte, Eberhard Esche, dem er zeitweise die Frau ausspannte, Wiglaf Droste, dessen »Schlachtenbummler«-Kolumnen 1992/93, ich kann es bezeugen, in der Zeitung »Neues Deutschland« er las, auch Wladimir Putin, bei dem er sich irrte, indem er ihn anfangs für ebenso unfähig wie Gorbatschow hielt.

Peter Hacks/André Müller sen.: Der Briefwechsel 1957–2003. Hg. v. Heinz Hamm u. Kai Köhler, Eulenspiegel-Verlag, 1280 S., geb., 58 €.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.