»Die baskische Arbeiterklasse ist auch feministisch«

Die Gewerkschafterin Maddi Isasi Azkarraga über die Vorbereitung des Generalstreiks mithilfe vieler Basisinitiativen – und der Rolle von Männern darin

  • Interview: Raul Zelik
  • Lesedauer: 5 Min.
Maddi Isasi Azkarraga ist vom gewerkschaftlichen Dachverband Langile Abertzaleen Batzordeak (LAB, Komitees patriotischer Arbeiter*innen)
Maddi Isasi Azkarraga ist vom gewerkschaftlichen Dachverband Langile Abertzaleen Batzordeak (LAB, Komitees patriotischer Arbeiter*innen)

Der Generalstreik ist das Ergebnis eines längeren Organisierungsprozesses. Worum ging es dabei?

Während der Corona-Pandemie ist ein feministisches Bündnis namens »Denon Bizitzak Erdigunean« (Unser aller Leben in den Mittelpunkt stellen) entstanden. In der Pandemie haben wir ja alle erlebt, wie katastrophal die Bedingungen im Pflege- und Sorgesektor sind. Das Bündnis ist auf die Rentnerbewegung – die seit Jahren für eine Mindestrente von 1080 Euro kämpft –, auf Gewerkschaften, Kleinbauernverbände und Jugendorganisationen zugegangen. Diese Gruppen haben sich in einem längeren Diskussionsprozess auf einen Forderungskatalog verständigt: eine Art Sozialcharta. Darin tauchen langfristige Ziele wie der Aufbau eines öffentlich-gemeinschaftlichen Pflegesystems auf. Es werden aber auch die unmittelbaren Missstände benannt, die sofort geändert werden müssen. Zum Beispiel die Arbeitsbedingungen von illegalisierten Frauen, die Alte im Haushalt betreuen und oft sieben Tage die Woche ohne Unterbrechung im Einsatz sind. Wir haben uns dann zusammen die Frage gestellt, wie wir unseren Forderungen Nachdruck verleihen können, und sind so auf den feministischen Generalstreik gekommen. Die Vorbereitung war sehr intensiv. Es gab mehr als 1000 Versammlungen in Stadtteilen, Dörfern und Betrieben. Es war also wirklich ein Prozess – nicht nur ein einziger Streiktag.

Interview

Maddi Isasi Azkarraga, geb. 1995, ist Sekretärin für Feminismus der Gewerkschaft Langile Abertzaleen Batzordeak (LAB, Komitees patrio­tischer Arbeiter*innen) und war maßgeblich an der Vorbereitung des Generalstreiks beteiligt. Das Baskenland gilt als gewerkschaftlich bestorganisierte Region im spanischen Staat. Etwa 30 Prozent der Beschäftigten sind Gewerkschaftsmitglieder. Die LAB wurde in den 70er Jahren als Zusammenschluss von Basiskomitees gegründet und ist heute der zweitgrößte baskische Dachverband. Trotz ihres Namens ist sie eine dezi­diert internationalistische Gewerkschaft, die sich Anti­rassismus, Feminismus und eine sozia­lis­tische Transformation der Gesellschaft auf die Fahnen geschrieben hat. Ebenso wie die größte baskische Gewerkschaft ELA tritt sie für die Unabhängigkeit der Region von Spa­nien und Frankreich ein. Mit der Gewerkschafterin sprach Raul Zelik.

Feministische Streiks haben, ausgehend von Lateinamerika, in den letzten Jahren zum 8.März immer wieder Millionen Menschen mobilisiert. Der Generalstreik im Baskenland hatte jetzt aber noch einmal einen anderen Charakter. Was war diesmal anders?

Auch im Baskenland hatten wir zum 8. März feministische Streiks, bei denen Frauen die Pflege- und Sorgearbeit niederlegen sollten, damit deren Bedeutung gesellschaftlich sichtbar wird. Der Generalstreik jetzt hingegen richtete sich an die gesamte Gesellschaft. Die feministische Bewegung war federführend und hat alle wichtigen Entscheidungen getroffen. Doch auch gemischte Organisationen sollten aktiv mobilisieren. Wir wollten vermitteln, dass alle ein Interesse daran haben, die Zustände zu verändern. Weil der hetero-patriarchale Kapitalismus, in dem wir leben, über die Bedürfnisse der Menschen systematisch hinweggeht. In der Praxis war das natürlich eine Herausforderung: Wie vermitteln wir Männern, die im Alltag wenig Verantwortung für Care-Arbeit übernehmen, dass sie ihre Privilegien infrage stellen sollen? Wie gehen wir damit um, dass sich einerseits Frauen erst einmal untereinander verständigen müssen, die Männer sich aber trotzdem ermutigt fühlen, den Streik aktiv mit vorzubereiten? Wir haben einiges ausprobieren und lernen müssen. Aber ich glaube, dass wir in Zukunft davon profitieren.

Was waren die zentralen Forderungen des Generalstreiks?

Ich würde von drei Hauptforderungen sprechen: Erstens kämpfen wir für einen öffentlich-gemeinschaftlichen Care-Sektor. Das bedeutet, dass die Privatisierung von Altenheimen und Pflegeeinrichtungen gestoppt und rückgängig gemacht werden muss. Zweitens ist da die Forderung, das »Leben ins Zentrum zu stellen«. Der Arbeitsmarkt ist heute so strukturiert, dass sich die Arbeit kaum mit den menschlichen Bedürfnissen vereinbaren lässt. Wenn man zehn oder elf Stunden täglich nicht zu Hause ist, kann man Kinder und Alte nicht versorgen. Unter diesem Punkt haben wir unterschiedliche Probleme thematisiert, unter anderem die 30-Stunden-Woche und das Recht auf ein menschenwürdiges Wohnen. Drittens ging es beim Streik um die Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Pflegekräften. Es gibt in dem Sektor eine extreme Ausbeutung, vor allem von Migrantinnen. Wir wollen, dass die Frauen, die oft aus Mittelamerika kommen, bei uns legalisiert und regulär beschäftigt werden.

Sie haben es schon erwähnt: Beim Generalstreik sollten sich die Männer aktiv einbringen, aber der feministischen Bewegung die Führungsrolle überlassen. Wie sind Sie als gemischtgeschlechtliche Gewerkschaft damit umgegangen?

Das war natürlich auch eine pädagogische Aufgabe. Die Grundforderungen des Streiks waren nicht schwer zu vermitteln. Gegen die Privatisierung der Pflege, für bessere Arbeitsbedingungen der beschäftigten Frauen – das versteht bei uns jeder. Die Schwierigkeit bestand darin, deutlich zu machen, wie sich die Rollen von Männern und Frauen bei diesem Streik unterscheiden sollten. Wir haben darauf geachtet, dass sich die Männer vielleicht einmal mehr um logistische Aufgaben im Hintergrund kümmern, die Frauen dagegen die erste Reihe bei den Streikposten um 5 Uhr morgens vor den Industriebetrieben bilden. Das war eine gute Erfahrung. Frauen, die sich sonst nie getraut hätten, sich der Polizei und den Streikbrechern in den Weg zu stellen, haben Betriebe blockiert. Und umgekehrt haben Männer andere Aufgaben als sonst übernommen. Ich denke, solche Erfahrungen bleiben nicht auf den Streiktag beschränkt. Es geht ja nicht nur darum, welche Rolle ich an diesem Tag habe, sondern auch darum, ob ich Verantwortung für Care-Aufgaben im Alltag übernehme. Die Forderung nach einer Arbeitszeitverkürzung macht aus unserer Sicht nur Sinn, wenn dann auch die unbezahlte Sorgearbeit zwischen Frauen und Männern egalitärer verteilt wird.

Haben sich die spanischen Gewerkschaften Comisiones Obreras (CCOO) und UGT deshalb nicht am Generalstreik beteiligt – weil sie nicht gesehen haben, wie sich eine gemischte Organisation an einem feministischen Streik beteiligen kann?

Nein, das glaube ich nicht. Ihre Erklärung war, dass sie keine Streiks mittragen, die auf das Baskenland fokussiert sind. Und ganz allgemein haben UGT und CCOO bei uns eher die Rolle, dass sie Kämpfe nicht unbedingt zuspitzen wollen. Dabei haben sie die Analyse und die Forderungen des Organisationsbündnisses durchaus geteilt. CCOO hat die Sozialcharta sogar unterschrieben. Aber der Generalstreik erschien ihnen als Instrument unangemessen. Aber die Frage könnten die beiden Gewerkschaften selbst natürlich besser beantworten.

Wird dieser Generalstreik Ihre Gewerkschaft verändern?

Wir glauben, dass der 30. November ein Meilenstein war. Er ist nicht nur von Beschäftigen, sondern aus der gesamten Gesellschaft heraus organisiert worden. Es ist uns gelungen, ganz unterschiedliche Akteure zusammenbringen: Rentner*innen, Kleinbauernverbände, Umweltgruppen, Jugendorganisationen. Und es haben Leute mit uns gestreikt, die wir als gewerkschaftlicher Dachverband noch nie erreicht haben. Ich denke, der Streik beweist, dass die baskische Arbeiterklasse auch feministisch ist. Feminismus wird ja oft als kulturell-ideologisch-symbolischer Kampf um Verhaltensweisen verstanden. Der Generalstreik hat gezeigt, dass Feminismus auch eine Form des Klassenkampfes ist. Für uns als Gewerkschaft ist das ein Riesenerfolg – und ein Ansporn für die Zukunft.

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