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Wahlkampf im Winter
Die Wiederholung der Bundestagswahl 2021 in Teilen von Berlin ist eine Herausforderung für die Parteien
»Es ist gut, dass endlich Klarheit herrscht.« So kommentiert Franziska Brychcy, Landesvorsitzende der Berliner Linken, am Dienstag die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, dass die Bundestagswahl vom 26. September 2021 in 455 von 2256 Wahlbezirken der Hauptstadt wiederholt werden muss.
Spätester möglicher Termin dafür ist der 11. Februar 2024 – und diesen Termin legte Landeswahlleiter Stephan Bröchler am Dienstag dann auch gleich per Verkündung im Amtsblatt fest. Das ist der Sonntag am Ende der Berliner Winterferien. Die Schulen beginnen am folgenden Montag wieder mit dem Unterricht. Und wenn viele Familien erst am Wahlsonntag aus dem Urlaub zurückkehren, könnte es passieren, dass die Eltern erst am frühen Abend noch kurz vor der Schließung der Wahllokale ihre Stimme abgeben wollen. Das weckt böse Erinnerungen. Schließlich hatten sich am 26. September 2021 vor zahlreichen Wahllokalen in Berlin lange Schlangen gebildet, die dann weit nach 18 Uhr noch geöffnet waren, was eigentlich nicht sein darf.
Der Bundestag hatte am 10. November 2022 beschlossen, dass die Bundestagswahl in 431 Berliner Wahlbezirken ungültig sei und nachgeholt werden müsse. Dagegen legten AfD und CDU Beschwerde ein. Die AfD verlangte eine Wahlwiederholung in ganz Berlin. Das verwarfen die Bundesverfassungsrichter jetzt einstimmig als unzulässig. Auf die Beschwerde der CDU hin urteilten sie, der Bundestagsbeschluss sei »im Ergebnis überwiegend rechtmäßig«. Sie entschieden aber, dass in sieben Wahlbezirken anders als vom Bundestag eingeschätzt, die Wahl doch gültig sei und nicht wiederholt werden müsse. Dafür ordneten sie jedoch eine Wiederholungswahl in 31 Wahlbezirken an, die der Bundestag nicht auf dem Schirm hatte.
Zwar hatte der Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin Ende 2022 entschieden, dass die zeitgleich mit der Bundestagswahl am 26. September 2021 abgehaltene Wahl des Berliner Abgeordnetenhauses und der Bezirksverordnetenversammlungen wegen der massiven Pannen komplett wiederholt werden müsse – und das ist am 12. Febuar 2023 auch geschehen. Das sei aber unerheblich, meinte das Bundesverfassungsgericht. Es lasse sich nicht übertragen, obwohl es ein einheitliches Wahlgeschehen war, denn es gebe unterschiedliche Rechtsgrundlagen. Hinzu komme, dass Fehler bei der Abgeordnetenhauswahl wie etwa die Verwendung nur kopierter statt gedruckter Stimmzettel bei der Bundestagswahl nicht feststellbar gewesen seien.
Die Linke kommt durch die Teilwiederholung höchstwahrscheinlich mit einem blauen Auge davon. Wäre die Wiederholung für das gesamte Stadtgebiet angeordnet worden, hätten die Abgeordneten Gesine Lötzsch in Lichtenberg und Gregor Gysi in Treptow-Köpenick unbedingt wieder ihre Wahlkreise gewinnen müssen. Denn ihre Partei hatte 2021 die Fünf-Prozent-Hürde knapp verfehlt. Nur aufgrund der Drei-Mandate-Regel waren dennoch 39 Sozialisten in den Bundestag eingezogen. Bis auf das von Sören Pellmann, der seinen Wahlkreis in Leipzig gewann, hätten 38 Mandate zur Disposition gestanden. Bangen müssten 27 Linke wie auch Sahra Wagenknecht und neun andere mit ihr aus der Partei Ausgetretenen sowie der Oskar-Lafontaine-Widersacher Thomas Lutze aus dem Saarland, der im Oktober zur SPD übergetreten ist. Fast alle von ihnen können nun aufatmen.
Nicht jedoch Pascal Meiser. Der Kreuzberger ist über die Berliner Landesliste der Linken in den Bundestag eingezogen. Wenn jetzt in rund 20 Prozent der Berliner Wahllokale noch einmal abgestimmt wird und die Linke dabei deutlich verliere, dann könnte es sein, dass er sein Mandat einbüße, bestätigt Meiser dem »nd«. Ob dann für ihn ein Genosse aus einem anderen Bundesland ins Parlament einziehen würde oder das Mandat an eine andere Partei gehe, sei im Voraus »extrem schwer zu berechnen«. Es hänge auch vom Abschneiden der anderen Parteien ab. »Theoretisch ist in diesem komplizierten Wahlrecht alles möglich.«
Meiser und seine Linke sind jetzt auf ein möglichst gutes Ergebnis überall dort angewiesen, wo noch einmal gewählt wird. Er werde überall Wahlkampf machen wie sicherlich auch seine Genossen Lötzsch, Gysi und Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau, kündigt Pascal Meiser an. Dabei werde er sich auf seinen Wahlkreis Friedrichshain-Kreuzberg konzentrieren, zu dem vom Nachbarbezirk Pankow noch der östliche Teil vom Ortsteil Prenzlauer Berg gehört. Weil es insgesamt im Bezirk Pankow mehr Wahlpannen gab als im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg liege dort auch der übergroße Teil der Wahllokale, in denen erneut abgestimmt werden muss. Dass nun einige Berliner wieder an die Urnen gerufen werden und der Nachbar ein paar Häuserblocks weiter nicht und dass der Wahlkampf sich daran orientieren wird, bezeichnet Meiser als »sehr skurrile Situation, die wir uns nicht ausgesucht haben«. Die Wahl werde eine »kleine symbolische Zwischen-Volksabstimmung über die Politik der Ampel«. Es werde aber auch um die Frage gehen, ob künftig vier oder nur drei Berliner zur »kleinen, aber feinen linken Opposition im Bundestag« gehören.
»Wir nehmen die Herausforderung an und werden jetzt gemeinsam für ein starkes Ergebnis für die Linke kämpfen«, kündigt die Landesvorsitzende Brychcy an. Die Leute, die im Februar ihre Stimme abgeben dürfen, können ihr zufolge entscheiden, »was ihnen angesichts der aktuellen Situation, angesichts von Inflation und Kriegen wirklich wichtig ist«. Das Land erlebe mehrere Krisen auf einmal, doch die Bundesregierung verschärfe mit ihrer Kürzungspolitik die soziale Spaltung noch weiter. »Wir finden uns nicht damit ab, dass die Ampel die Axt an den Sozialstaat legt und am Dogma der Schuldenbremse festhält«, erklärt Brychcy. Die Berliner Linke sei auf den Wahlkampf gut vorbereitet, sagt die 39-Jährige. »Wir verzeichnen fast 800 Neumitglieder, unsere Parteibasis ist motiviert, holt die Mützen und Schals raus und legt los.«
Gerechnet ist die Zahl der Eintritte in den Landesverband Berlin, seit Sahra Wagenknecht und neun andere Bundestagsabgeordnete im Oktober aus der Linken ausgetreten sind und die Gründung einer eigenen Partei angekündigt hatten. Den Eintritten stehen etwa 200 Austritte gegenüber. In Brandenburg beispielsweise halten sich Ein- und Austritte in etwa die Waage. Es sind dort jeweils 100. Der sehr starke Überschuss an Eintritten ist eine Berliner Besonderheit.
»Bei einer Wiederholung der Wahl mitten in der Legislaturperiode wird es für alle Parteien eine Herausforderung, die Wahlberechtigten zum Urnengang zu mobilisieren«, sagt die Bundestagsabgeordnete Nina Stahr (Grüne), die seit Mittwoch vergangener Woche auch Landesvorsitzende ihrer Partei in Berlin ist. »Aber gerade in Zeiten der sich zuspitzenden Krisen und wachsender Zustimmung für Rechtspopulismus gilt es Haltung zu zeigen und wählen zu gehen.«
Die Grünen nehmen sich vor, dass von Stefan Gelbhaar 2021 in Pankow gewonnene Direktmandat zu verteidigen. Es gilt als erstes der Ökopartei in Ostdeutschland. Doch der Bezirk erlebte nach der Wende einen starken Zuzug aus dem Westen. Dagegen besteht der Wahlkreis Friedrichshain-Kreuzberg aus einem ehemals östlichen und einem ehemals westlichen Teil. Dort siegte ab 2002 als erster Grüner überhaupt der im vergangenen Jahr verstorbene Hans-Christian Ströbele viermal in Folge.
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