Rezession: Alle Schuld den Ampeln

Die konservative Opposition legt die Rezession der Bundesregierung zur Last – und liegt daneben

Schrumpfende Wirtschaftsleistung, drohende Deindustrialisierung und jetzt auch noch Sparprogramme – ökonomisch läuft es nicht gut für die Bundesregierung. Die Beliebtheit der Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP fällt auf immer neue Tiefs, die Opposition triumphiert und schimpft: »Deutschland hat als weltweit einziges Industrieland ein negatives Wachstum«, so die CDU. Allerdings: Zumindest die Rezession kann kaum der Bundesregierung zur Last gelegt werden. Ursache ist das deutsche Wirtschafts- und Erfolgsmodell, von dem keine der großen Parteien abweichen will.

Bereits im Winter 2022/2023 war das deutsche Bruttoinlandsprodukt (BIP) geschrumpft. Nach einem kurzen Wachstum im Frühjahr ging es im Sommer abermals abwärts. Und sollte für das Schlussquartal 2023 ein weiterer Rückgang festgestellt werden, wäre es die zweite Rezession innerhalb kürzester Zeit. Das ist ein gefundenes Fressen für die konservative Opposition.

»Wir sind mitten in einer Rezession und wieder auf dem Weg zum kranken Mann Europas«, wettert die CDU. »Die Bundesregierung schaut tatenlos dabei zu, wie Deutschland nach hinten durchgereicht wird.« AfD-Bundessprecher Tino Chrupalla, dessen Partei diese Woche vom deutschen Industrieverband BDI als »schädlich für den Wirtschaftsstandort« kritisiert wurde, sagte: »Schädlich für den Wirtschaftsstandort, für Deutschlands Wohlstand und Erfolg auf der Welt sind die Grünen und ihre Partner mit ihrer Politik der Deindustrialisierung. Unsere Volkswirtschaft versinkt in der Rezession.« Und laut der Ex-Linken Sahra Wagenknecht ist »die Bilanz von zwei Jahren Ampel eine schrumpfende Wirtschaft, die drohende Abwanderung wichtiger Teile unserer Industrie«. Die Probleme hätten nicht ihren Ursprung in fernen Mächten, so Wagenknecht. »Andere Industrieländer leben in der gleichen Welt, mit den gleichen Kriegen und den gleichen Krisen. Und trotzdem wächst da die Wirtschaft.«

Was die Wirtschaft schrumpfen lässt

Das führt zur Frage: Warum schrumpft das BIP in letzter Zeit immer wieder? Der erste Grund ist der sinkende Konsum, sowohl des Staates wie der privaten Haushalte. Beim Staat liegt das schlicht daran, dass die außergewöhnlichen Hilfen aus der Corona-Zeit ausgelaufen sind. Beim privaten Konsum wiederum, der den Großteil des BIP ausmacht, ist der Hauptgrund die hohe Inflation, die die Verbraucher*innen ärmer gemacht hat. Treiber der Inflation waren die hohen Energiepreise, vor allem beim Gas, das in Europa mehr als zehn Mal mehr kostet als in den USA. Das trifft nicht nur die privaten Haushalte, sondern auch die Industrie. »Der Erdgaspreis wird über dem Vorkrisenniveau bleiben und die Wettbewerbsfähigkeit Europas gegenüber anderen Regionen der Welt, insbesondere den USA, schwächen«, erklärt das Wirtschaftsforschungsinstitut Ifo.Die wesentliche Ursache des aktuellen Schocks, so Robin Brooks vom internationalen Bankeninstitut IIF, »liegt damit außerhalb der Kontrolle der europäischen Politik.« Auch die Bundesregierung kann dagegen wenig tun – es sei denn, sie beendet die Wirtschaftssanktionen gegen Russland und die Hilfen für die Ukraine in der Hoffnung, so Zugang zu billigem russischen Gas zu erhalten.

Zweiter Grund für das schwache BIP: Um die Inflation zu drücken, haben die Zentralbanken die Zinsen sehr stark erhöht. In der Folge kommt es zu einem Verfall der in die Höhe spekulierten Immobilienpreise, was der Baubranche eine Krise beschert. Auch bei den Zinsen handelt es sich um »Entwicklungen, die für die deutsche Volkswirtschaft überwiegend exogen begründet waren oder sich zumindest der Kontrolle durch die heimische Politik entzogen«, so Michael Hüther vom unternehmensnahen Institut der deutschen Wirtschaft. Teure Energie und hohe Zinsen führen zum Wachstumseinbruch, der erwartet worden ist: Bereits Ende 2022, als nach allgemeinem Dafürhalten die Ampel noch alles richtig gemacht hatte, prognostizierten die führenden deutschen Wirtschaftsforschungsinstitute für 2023 einen Rückgang des BIP. So wird es wohl kommen.

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Stärken als Schwäche: Exporte und Industrie

Abwärts geht es auch in anderen Ländern – in der Eurozone ohne Deutschland sinkt das Wachstum von 3,9 Prozent in 2022 auf nur ein Prozent in diesem Jahr. Dass es die deutsche Wirtschaft härter trifft als andere, liegt abermals nicht an der Bundesregierung, sondern an den Faktoren, die üblicherweise als Erfolgsausweis Deutschlands gelten: eine starke Industrie und ein starker Export.

Zwar wird fortlaufend vor einer Deindustrialisierung Deutschlands gewarnt. Noch aber macht das verarbeitende Gewerbe fast ein Viertel der Wirtschaftsleistung aus – in Ländern wie den Niederlanden oder Frankreich ist es nur halb so viel. Gleichzeitig ist die deutsche Industrie sehr exportabhängig. Die Auto- und Maschinenbauer machen 60 bis 70 Prozent ihres Umsatzes jenseits der deutschen Grenzen. Die Exportabhängigkeit der Industrie wiederum führt dazu, dass die gesamte deutsche Wirtschaft auf den Welthandel angewiesen ist. Der Wert von Deutschlands Im- und Exporten entspricht 90 Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung. Zum Vergleich: Frankreich kommt auf 60 Prozent, China auf 35 und die USA auf 25 Prozent.

Rund 40 Prozent der deutschen Ausfuhren bestehen aus Investitionsgütern. Das macht »die deutsche Volkswirtschaft anfällig für globale Investitionsschwächen«, erklärt Hüther. Der international überdurchschnittliche Industrieanteil lasse Deutschland zudem die globalen Versorgungsrisiken und vorleistungsbedingten Kostenschocks stärker spüren als andere Volkswirtschaften. Das gelte speziell für die energieintensiven Industrien, die eine wichtige Basis für die Industrieprozesse seien.

Insbesondere die schwache Konjunktur in China dämpfte die deutschen Warenexporte, dort wurden deutlich weniger Investitionsgüter »Made in Germany« nachgefragt, vermeldet das DIW. Die schwache globale Industrieproduktion und der schrumpfende Welthandel trifft auch andere Länder mit ähnlicher Wirtschaftsstruktur: Nicht nur Deutschlands BIP wird dieses Jahr wohl sinken, sondern auch das von Österreich, Schweden und Osteuropa.

Vor diesem Hintergrund ist es äußerst unwahrscheinlich, dass die Konjunktur hierzulande unter einer anderen Regierung stärker wäre. Denn die Opposition von CDU bis AfD verfolgt die gleichen Ziele wie die Ampel: ein starkes Wirtschaftswachstum auf Basis privater Investitionen, eine starke Industrie und hohe Exporte. Eine Maßnahme, die der deutschen Konjunktur kurzfristig helfen könnte, wäre die Aussetzung, Abschaffung oder grundlegende Reform der Schuldenbremse – doch das hat auch die konservative und rechte Opposition nicht im Programm, im Gegenteil.

Und was die als industrieschädlich kritisierte Klimaschutzpolitik der Ampel angeht, so stünde auch eine CDU-geführte Regierung vor dem Widerspruch, dass sie einerseits an Industriesubventionen sparen und den Kostendruck durch Klimaschutz abmildern will, gleichzeitig aber fordert, die deutschen Unternehmen sollten zu globalen Marktführern in den grünen Technologien werden.

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