Nach Pisa-Debakel - Zu unauthentisch und weltfremd

Nach dem Pisa-Debakel steht die Frage im Raum, wie der Mathe-Unterricht verbessert werden kann

  • Marco Krefting
  • Lesedauer: 3 Min.

Wenn Daniel Jung Parabeln, Polynomdivision und Integralrechnung erklärt, sehen das Millionen. Die wenige Minuten langen Clips sind auf der Videoplattform Youtube jederzeit verfügbar. »Ich kann es nach meinem Tempo so oft gucken, wie ich will«, sagt Jung.

Abgeschaut hat er sich das vor mehr als zehn Jahren bei den großen US-Universitäten, die schon damals Mitschnitte ganzer Vorlesungen online stellten. Heute helfen seine Videos Schülerinnen, Schülern und Mathe-Studierenden. Eine Lösung für die Misere, die zwar nicht neu ist – aber durch die jüngste Pisa-Studie wieder verdeutlicht wurde?

Im oft unbeliebten Fach Mathematik schneidet Deutschland bescheiden ab. Wie auch beim Lesen und in den Naturwissenschaften vermeldete die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) die niedrigsten Werte, die für die Bundesrepublik jemals im Rahmen von Pisa gemessen wurden. In Mathematik verschlechterten sich die Leistungen der leistungsstarken und der leistungsschwachen Schüler und Schülerinnen demzufolge gleichermaßen.

Für Daniel Jung »ein Zeichen, dass es Zwölf geschlagen hat«. Der Unterricht müsse dringend weg von rezeptartig vorgetragenen Formeln, ohne dass die Jugendlichen wissen, wofür sie die benötigen.

So sieht es auch der Generalsekretär der Bundesschülerkonferenz, Florian Fabricius: »Wir haben eine Welt, die fächerübergreifend funktioniert.« Da werde im Unterricht zu streng getrennt. So sollten etwa Kurvendiskussionen anhand konkreter wirtschaftlicher Entwicklungen erklärt werden. »Und nicht an Problemen aus dem Schulbuch mit Äpfeln und Birnen.« Wenn man merkt, dass alles zusammenhängt und sich ein Gesamtbild ergibt, mache Lernen Spaß.

45 Minuten Frontalunterricht seien veraltet. Gerade bei Mathematik komme es darauf an, die Materie zu verstehen. Das gelinge laut Fabricius eher, wenn Schülerinnen und Schüler sich engagieren und projektbezogen mathematische Probleme lösen. Deutschlands oberster Schülersprecher fordert von Politik und Schulen mehr Mut zu Innovationen und Ausprobieren. An Modellschulen könnten neue Unterrichtsmethoden getestet werden, schlägt er vor.

Ansätze dafür gibt es, wie der Vorsitzende der Gesellschaft für Didaktik der Mathematik, Professor Reinhard Oldenburg, sagt. Wichtig sei, sich von abstrakten, weltfremden Fragen zu entfernen und Aufgaben am realen Leben zu orientieren. Denn es gebe zu viele Aufgaben, die nicht authentisch seien und zu wenige, die Relevanz vermittelten.

Oft erschwere Bürokratie, dass neue Ansätze ausprobiert werden, sagt der Professor. »Die meisten Lehrkräfte fühlen sich durch Lehrpläne eingeengt.« Eine zusätzliche Hürde sei, dass Kinder mit unterschiedlichen Leistungsniveaus vielerorts gemeinsam unterrichtet werden.

Dass auch Themen gelehrt werden, die auf den ersten Blick nicht viel mit dem Alltag zu tun haben, hält Oldenburg allerdings für richtig. In der Mathematik werde alles begründet. Das sei wichtig für logische Argumentation, um Sachverhalte interpretieren zu können und letztlich für die Demokratieschulung – etwa um beurteilen zu können, ob eine Aussage wahr ist.

Solche Fähigkeiten würden etwa mit Blick auf Künstliche Intelligenz immer wichtiger, erläutert der Fachmann. Bei Stochastik gehe es darum, Daten zu interpretieren. Binomische Formeln könnten beim Kopfrechnen helfen. Und sie könnten dazu beitragen, Fake News zu erkennen, wenn diese einen mathematischen Bezug haben. Die Erklärvideos auf Youtube sieht der Didaktiker allerdings skeptisch: Oft würden nur Rezepte vermittelt.

Zwar sieht auch Schülersprecher Fabricius die Nachteile. Doch es gebe große Vorteile: Die Videos sind immer abrufbar und jeder könne sie sich nach seinen individuellen Bedürfnissen anschauen. Er findet, dass Lehrkräfte solche Formate und den Umgang damit erläutern sollten. »Das ist, was das abstrakte Wort Medienbildung bedeutet«, sagt er.

Und Youtube-Produzent Jung ist überzeugt: »Wir brauchen Menschen, die Mathematik hochleben lassen.« dpa/nd

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