Bilanz der Klimabewegung: Schafft zwei, drei, viele Lützeraths

Die Klimagerechtigkeitsbewegung kann 2024 neue Hoffnung schöpfen – wenn sie aus den vergangenen Kämpfen die richtigen Schlüsse zieht

  • Alice Claire, Jo Robbie, Lotta Nyman und John Malamatinas
  • Lesedauer: 7 Min.
Gute Aussicht? Zumindest einige Lichtblicke gibt es in der Klimabewegung.
Gute Aussicht? Zumindest einige Lichtblicke gibt es in der Klimabewegung.

Selten passiert es, dass eine Polizeilinie durchbrochen wird und ein Nachsetzen der Polizei unmöglich ist, weil diese bis zu den Knien im Schlamm steckt. Das Jahr 2023 hat somit für die radikale Klimabewegung relativ gut angefangen – »relativ«, weil einmal mehr ein Dorf im Namen des Weiterso im fossilen Kapitalismus geräumt werden musste, um in der Bewegung eine Reaktion auf die laufende Katastrophe hervorzurufen. Am 14. Januar versammelten sich über 30 000 Menschen bei Lützerath, um gegen die Räumung des Orts für den Kohleabbau des Energiekonzerns RWE zu protestieren. An dem Tag kam es nach einer Rede Greta Thunbergs zu Bildern, die bis heute um die (Klima-)Welt gehen: Aktivist*innen, Militante sowie Menschen, die zum ersten Mal protestierten, durchbrachen die Polizeireihen Richtung Lützerath.

Die Chance auf den Aufbruch

Lützerath erschien nach den bleiernen Coronajahren als ein Wiedererwachen der Klimagerechtigkeitsbwegung. Klar, die Schlacht um Lützerath wurde gegen Polizei und RWE verloren, aber für die radikalen Teile der Klimabewegung eröffneten sich neue Handlungsoptionen. Die Offensichtlichkeit, mit der der Staat des Kapitals und sein grünes Wirtschaftsministerium den Willen des Energieriesen RWE durchsetzte, schien sogar die Möglichkeit zu eröffnen, die unter den Fittichen von Luisa Neubauer stehenden Fraktionen von Fridays for Future endlich einen Schritt in Richtung Antikapitalismus zu bewegen. Und das obwohl diese den Zusammenhang von Klima und Kapitalismus fast so erfolgreich leugnen wie Trump den Klimawandel.

Trotz alledem – Wie Menschen gemeinsam für ihre Rechte kämpfen

Für Millionen Menschen war 2023 geprägt durch Kriege, Flucht und materielle Unsicherheit. Hetze gegen die vermeintlich Anderen grassiert. Die EU grenzt Flüchtlinge zunehmend aus. Derweil steigen Mieten und Löhne sinken. Doch 2023 gab es auch Bewegungen, die sich all dem widersetzen.

Russen wenden sich gegen den Krieg, Beschäftigte streiken gemeinsam für ihre Rechte, Mieterinnen kämpfen für bezahlbares Wohnen. In »nd.DieWoche« stellen wir einige Initiativen und Bewegungen vor, die auf Solidarität und Versöhnung setzen. Mehr auf www.nd-aktuell.de/die-woche

Ein Ausbruch aus dem Trott von ritualsierten globalen Klimastreiks und zivilem Ungehorsam schien möglich. Klimastreiks, die mittlerweile weder die Massen auf die Straße bringen noch die – von immerwährenden politischen Bauchschmerzen geplagten – Grünen unter Druck setzen, sind genauso unattrativ wie ziviler Ungehorsam, der von vielen Beteiligten weniger als Anlass zur militanten Eingeninitiative, sondern eher als allinclusive Urlaub mit aktionistischem Ausflug begriffen wird. In Lützerath arbeiteten alle Teile der Bewegung zusammen und brachten Eigeninitiative und verschiedenste Praxisformen gegen den fossilen Kapitalismus mit.

2023 ließen auch Bilder aus Frankreich das Herz vieler radikaler Aktivist*innen höher schlagen: Brennende Polizeiautos, ein riesiger, bunter Holzvogel am Kopf einer Demonstration mit tausende Protestierenden, Demonstrierende im Tränengasnebel – die Rauchzeichen der großen Schlacht in Sainte-Soline. Am 26. März stürmten mehr als 30 000 Demonstrant*innen im ländlichen Frankreich eine Festung geschützt von Tausenden von Polizisten. Der Protest richtete sich gegen den Bau der sogenannten Mega-Bassins: Große Wasserbecken als ein Projekt der französischen Regierungen, das eine Zentralsierung von Wasser als Reaktion auf den zunehmenden Wassermangel besonders in der Landwirtschaft begünstigen sollen. Ein Projekt, von dem besonders Großbauern profitieren.

Bereits vor der besagten Schlacht protestierten Kleinbauern, Teile der Bevölkerung und Aktivist*innen gegen das Vorhaben. Landwirte und Aktivist*innen aus ganz Frankreich nahmen an den Protesten teil, wobei linke Gewerkschaften wie CGT und Sud Solidaires an vorderster Front standen. Befeuert wurde die Mobilisierung von der landesweiten Vernetzung Soulèvements de la Terre (SLT – Aufstände der Erde), einer wachsenden Koalition aus »kämpfenden Menschen, Umweltverbänden, Bauernhöfen, Volksküchen, Bauerngewerkschaftern, rebellischen Wissenschaftlern, Gewerkschaften, autonomen Gruppen, gewählten Vertretern und Menschen jeden Alters und Hintergrunds«.

Grüne Shootingstars und Altlinke

Lützerath und die Erfahrungen aus Frankreich hätten viele Akteur*innen der Klimagerichtigkeitsbewegung zum Umdenken bewegen können. Aber es kam wie einige von uns schon am Abend des 14. Januars vermutet hatten: Die Bewegung ist in ein Loch gefallen, das sich schon vorher weit geöffnet hatte. Wie zuvor konnten Klimastreiks von Fridays for Future nie wieder ihre ursprüngliche Aufmerksamkeit entfalten. Das im Kampf um die Kohle erfolgreiche Konzept des Bündnisses Ende Gelände schaffte es nicht, auch über Lützerath hinaus zu wirken. Die Metamorphose von Protesten gegen den klassischen fossilen Kapitalismus in Proteste gegen einen grünen Kapitalismus gelang nicht. LNG ist nicht gleich RWE – zumindest in der Wahrnehmung der Bevölkerung und auch in den Köpfen vieler Aktivist*innen. Die Aufmerksamkeit für eine antikapitalistische Klimabewegung schwenkte schon kurze Zeit nach Lützerath wieder zu den radikalen Reformist*innen der Letzten Generation zurück. 

Selbst die Aktionen der Letzten Generation hätten eine Initialzündung für eine neue Phase der Bewegung sein können. Die Unterbrechung des Alltags und des kapitalistischen Normalvollzugs hätten für die Bewegung durchaus Potential gehabt. Die Aktivist*innen schafften es aber nicht, als geeinte Bewegung aufzutreten. Führungspersonen von Fridays for Future kritisierten öffentlich die Aktionen der Letzten Generation. Dabei haben sie im strategischen Ansatz soviel gemeinsam: Beide versuchen die Herrschenden zu erpressen, die einen moralisch, die anderen mit Blockaden. Beides hat beim Staat des Kapitals aber keinen Zweck.

Bei Fridays for Future Deutschland hat das Festhalten an diesem Ansatz auch mit der »NGOisierung« und Verbürgerlichung der führenden Köpfe zu tun. Die Distanz zu jeder radikalen Äußerung, die den deutschen Bürger verschrecken könnte, hat oberste Priorität. Man will eben lieber Teil des Establishments sein, dass den Planeten zerstört, als ihm ins Gesicht sagen zu müssen, dass jede entglaste Bank eine gute Bank ist – auch wenn das nur der Anfang sein kann. Deutlich gezeigt hat sich das beim Klimagipfel COP20. Statt dem absurden Spektakel eine Absage zu erteilen, wurde von Fridays for Future Deutschland sogar die Jetset-Rede von Kanzler Scholz gelobt, der jetzt aber bitte auch Taten Folgen müssten, als wären die letzten zwei Regierungsjahre des »Klimakanzlers« gar nicht passiert. Um jeden Preis muss die um Verständnis bei den Herrschenden ringende Strategie beibehalten werden.

Das Möglichkeitsfenster wurde auch von der radikalen Linken nicht genutzt, um den Aktionsradius der Letzten Generation zu erweitern und die Produktion in den Fokus zu rücken. Dabei knüpfte die Letzte Generation an Konzepte an, die bereits im Zuge der Finanzkrise 2009 diskutiert wurden. Der City Strike mit den Subalternen liegt nicht soweit von den Aktionen entfernt und behinhaltete die Idee, den Prekären Handlungsoptionen einzuräumen, um aus der Logik von klassischen Streiks und Demonstrationen als einzigem Praxisangebot herauszukommen. Die Idee war eine Lahmlegung des öffentlichen Lebens und der Produktion, mit denjenigen, die ohnehin keinen Anteil mehr an den beiden Spharen haben.

Ein Grund, warum die Linke einen solchen Schritt nicht gehen konnte, war die Diskussion um Neue Klassenpolitik. Statt auf die Aktionen der Letzten Generation einen draufzusetzen und eine antikapitalistische Position stark zu machen, fragten sich große Teile der radikalen Linken besorgt, ob auch alle pünktlich zur Arbeit kommen würden. Das Ergebnis der Diskussion um Neue Klassenpolitik war nicht vielmehr als eine Rückbesinnung auf die, an die imperiale Lebensweise geketteten, Bedürfnisse des deutschen Industrieproletariats. Damit wurden Konzepte von ökologischer oder generationeller Klasse verstellt, die einen neuen Konflikt hätten aufmachen können. Eine solches Umdenken wäre durchaus interessanter gewesen als ein Masseneintritt – wenn davon überhaupt die Rede sein kann – in die Linkspartei.

Disruption und Eskalation

Dabei gibt es mit Soulèvements de la Terre ein gutes Beispiel, wo genau diese neuen Klassenkonfliktlinien aufgenommen werden. Soulèvements de la Terre hat sich in Frankreich in den letzten Jahren zu einer Mobilisierungsmaschine mit lokaler Verankerung an vielen Orten entwickelt und somit zu einer besseren Version von Ende Gelände. Saint-Soline ist für die Bewegung somit viel mehr als ein neues Garzweiler, sondern gilt als Beispiel für sich vergrößernde Auseinandersetzungen um Zementwerke, Autobahnen und andere unsinnige Großprojekte und Industrien. SLT hat es mit seiner disruptiven Strategie sogar geschafft von der Regierung verboten zu werden, nur um am Ende durch große Solidarität die juristische Aufhebung des Verbots zu erreichen. Damit zeigen sie, dass es durchaus möglich ist, auch mit disruptiven Strategien Sympathien in der Bevölkerung zu gewinnen. Das liegt – ähnlich wie bei Lützerath – auch daran, dass allen klar ist, warum diese Ziele ausgewählt und angegriffen werden. 

Das Verlassen der klimapolitischen und linken Melancholie kann aus den Erfahrungen und Stärken aus Lützerath und SLT gelingen. Zuerst braucht es, angelehnt an die Castor-Proteste, wieder die »Wendlandisierung« von lokalen Auseinandersetzungen. Dies bedeutet eine lokale Vernetzung, die mit einer bundesweiten Sprengkraft einhergeht, multiple Aktionsformen und damit auch eine Akzeptanz von offensiven Aktionsformen gegen den »ökozidalen Kapitalismus« (SLT). Zentral dabei ist die Hoffnung einer Eskalation des Bestehenden. Wollen wir die Welt verändern, dann müssen wir gemeinsam die Bewegungen, die das 21. Jahrundert prägen werden, noch erfinden. Es muss noch viel passieren, denn die Klimakrise erlaubt gar kein Ende eines Bewegungszyklus. Es gilt: Weitermachen oder, um es mit der jungen Rebellin Jyn Erso aus dem populären »Star Wars«-Film »Rogue One« zu sagen: Rebellionen sind auf Hoffnung gebaut.

Die Autorinnen sind organisiert bei dem Bündnis … ums Ganze! und der Interventionistischen Linken.

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