Linke und BSW: Nach der linken Trennung die Konkurrenz

Das Scheidungsdrama ist vorbei – nun wollen Linke und BSW ihren neuen Aufbruch inszenieren. Wagenknecht gelingt das bisher besser

Manche Sätze erscheinen erscheinen im Nachhinein in einem etwas anderen Licht. Im September 2022 sagte Sahra Wagenknecht auf die Frage, ob sie Mitglied der Linkspartei sei: »Aktuell bin ich Mitglied der Linken. Wenn sich daran etwas ändert, werden Sie es rechtzeitig erfahren.« Damals war ihr Buch »Die Selbstgerechten«, in Teilen eine Generalabrechung mit ihrer Partei, schon ein gutes Jahr im kontroversen Gespräch. Seit einem halben Jahr tobte der Krieg in der Ukraine und damit in der Linkspartei die Auseinandersetzung über Sanktionen gegen Moskau und Unterstützung für die Angegriffenen. Der Streit drehte sich in erheblichen Maß um die Person Wagenknecht; etwaige Spaltungsabsichten wiesen sie und ihre Anhänger empört zurück.

Liest man die Interviewantwort vom September 2022 heute, dann erscheint die Entwicklung seitdem als zwangsläufig. Sicher, es hätte auch anders kommen können, eine Parteigründung ist kein Selbstläufer, aber der Gedanke, eigene Wege zu gehen, wurde zweifellos nicht erst im Sommer 2023 geboren. Allerdings sind Schuldzuweisungen müßig, wer wann wie den Bruch verursacht habe. Denn nach einem atemlosen Jahr bleibt die Erkenntnis, dass zwischen Teilen der Linkspartei die Vorstellungen davon weit auseinandergehen, was die richtigen Antworten auf die diversen Krisen dieser Welt sind.

Das linke Tischtuch ist definitiv zerschnitten. Im Januar gründet Wagenknecht ihre Partei, aber manchen geht das nicht schnell genug. Im thüringischen Sonneberg etwa bildeten Wagenknecht-Fans kurz vor Weihnachten einen Verein, in Ueckermünde (Vorpommern) sammeln sich die sechs bisherigen Linke-Stadträte ab Januar in der Fraktion »Für Vernunft und Gerechtigkeit«. Einer von ihnen nannte als einen Grund das Ja der Linken zu Waffenlieferungen an die Ukraine. Ein solches Ja gibt es zwar nicht, Die Linke spricht sich generell gegen Rüstungslieferungen aus, allenfalls gibt es einzelne Stimmen für Rüstungsunterstützung. Aber die absurde Begründung ist symptomatisch für das Motivationsbündel derjenigen, die Wagenknecht folgen wollen. Da spielen Differenzen in Grundfragen hinein, Unzufriedenheit über die Schwäche der Linken, Unverständnis für einen Teil des Debatten, auch die Hoffnung, mit neuen Schlagworten und paar scheinbar einfachen Rezepten (»billiges russisches Erdöl«) zu alter Stärke zurückzufinden.

Immerhin ist die kurzfristig größte Gefahr für Die Linke abgewendet, und dafür kann sie sich beim Rechtsstaat bedanken: Die Bundestagswahl muss wegen Unregelmäßigkeiten in Berlin nur teilweise wiederholt werden; Linke und das Wagenknecht-Bündnis BSW werden weiter im Bundestag vertreten sein. Das Parlament wird nun wohl relativ schnell über die beiden Anträge auf Bildung von Abgeordnetengruppen und über deren Rechte entscheiden. Die Linke wird weiter für sich reklamieren, die soziale Opposition im Bundestag zu sein; der langjährige Fraktionschef Dietmar Bartsch hat das immer wieder betont.

Was das Soziale betrifft, wird es zum BSW ein Verhältnis irgendwo zwischen Konkurrenz und Kooperation geben. Wobei Wagenknecht das Spiel mit den Schlagzeilen blindlings beherrscht. Kürzlich etwa forderte sie einen Volksentscheid über die Zukunft der Rente, was gut klingt, wenngleich dieses komplexe Thema schwerlich auf zwei, drei griffige Fragen reduziert werden kann. Wagenknecht kann sich da bis auf Weiteres auf eine erstaunliche Medienresonanz verlassen, die sie mit ihren Internetkanälen befeuert. Und ihr Projekt lebt bis auf Weiteres auch von einer Gründungseuphorie. Es gebe Tausende Anfragen wegen Mitgliedschaft, heißt es, und im Umfeld der von vielen sehnlich erwarteten offiziellen Parteigründung wird es wohl noch einmal eine Welle von Übertritten aus der Linken geben. Die will sich vor allem mit einer großen Mitgliederkampagne stabilisieren und stellt bei jeder Gelegenheit ihre soziale Kompetenz heraus. Erst Mitte Dezember präsentierte Parteichef Martin Schirdewan einen »Pakt gegen soziale Kälte und für gesellschaftlichen Zusammenhalt«. Mitte Januar will man beim Jahresauftakt über die Entwicklung der Partei und die kommenden Wahlkämpfe diskutieren.

Auch das BSW muss da noch viele Fragen beantworten. Kein Wunder bei einer Partei, die ganz am Anfang steht. Das Gründungsmanifest bleibt reichlich vage. Es bleibt abzuwarten, ob und wie lange die Mitglieder und Interessenten den bisher sehr persönlich auf Wagenknecht zugeschnittenen Kurs bedingungslos mitmachen. Das ist kaum vorstellbar, wenn sich die Klientel von Leuten, denen Die Linke nicht mehr links genug ist, über Mittelständler bis zu AfD-Sympathisanten erstrecken soll. Der wolkige Begriff Vernunft, der offenbar die Klammer für all das bilden soll, wird das nicht so einfach zusammenhalten. Schon jetzt kritisieren Unterstützer hier und da, dass Wagenknechts Programm weder links noch sozialistisch sei. In der Tat fehlen bisher jeder Bezug auf Gewerkschaften und soziale Bewegungen sowie eine Perspektive über den Kapitalismus hinaus.

Dass Wagenknecht nicht mehr von Sozialismus sprechen möchte, weil die Menschen darunter nichts oder sehr Unterschiedliches verstünden, ist jedenfalls kaum mehr als eine Schutzbehauptung, mit der eine wertkonservative Wende mit Bezug und Rückzug auf das Nationale bemäntelt wird. Internationalismus, ein Grundelement linker Bewegungen, findet man bei ihr nicht einmal ansatzweise, und das ist ein grundsätzlicher Unterschied zur Linkspartei. Nicht unwahrscheinlich, dass Wagenknecht diesen Wertkonservatismus, die Rückbesinnung auf vermeintlich bessere Zeiten in der alten Bundesrepublik, die Polemik gegen das Polit-Establishment forciert.

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Dass die BSW-Mixtur aus linken, liberalen und stockkonservativen Elementen ein tragfähiges politisches Fundament abgibt, darf bezweifelt werden. Ebenso, dass das lautstarke Unwohlsein über das Gendern und andere vermeintliche autoritäre Anmaßungen von Grünen und Linken Kern eines Konzepts sein kann. Stimmung und wahrscheinlich auch Wahlkampf wird damit jedenfalls gemacht. Klaus Ernst, ein prominenter Wagenknecht-Unterstützer, kritisierte Die Linke laut einem Medienbericht kürzlich so: »Wenn die Umbenennung der Mohrenköpfe urplötzlich wichtiger wird als die Höhe der Renten, dann hat der Rentner damit ein Problem.« Wann und wo Die Linke als Partei solche Prioritäten vertreten haben soll, bleibt in der Regel offen – aber vor bayrischem Publikum erntete Ernst dem Bericht zufolge »tosenden Beifall«.

Entscheidend werden für beide Parteien die Wahlen 2024 sein. Wobei Wagenknecht erst einmal die Strukturen schaffen muss, um im September in Brandenburg, Sachsen und Thüringen überhaupt antreten zu können. Für Die Linke geht es darum, sich zu behaupten – ohne und gegen Wagenknecht. Deren BSW peilt, obwohl als Partei noch gar nicht gegründet, schon Regierungsämter an. Bei Bedarf auch an der Seite der CDU.

Vorher kommt im Juni die Europawahl, vor der Linke wie BSW eine Art jeweils eigener Aufbruchstimmung erzeugen wollen. Sie wird ein erster realistischer Gradmesser sein. Die Linke pendelt bei vier Prozent, was sie keinesfalls zufriedenstellen kann. Bisherige Prognosen zum BSW sind unseriös. Manche Meinungsfroscher sehen die Noch-nicht-Partei bei über zehn Prozent, andere prognostizieren eine Bauchlandung. Vorerst kann jeder glauben, was ihm am liebsten ist.

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