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Torsun Burkhardt: Der Unbeugsame
Torsun Burkhardt, Sänger und Kopf der Band Egotronic, ist gestorben
Stemwede im Jahr 2011: In einer schwülen Sommernacht wird die konservativ-bäuerliche Gemeinde in der Nähe von Osnabrück für 90 Minuten in ein zumindest scheinbar linksradikales Mekka verwandelt. Mittendrin Torsun Burkhardt, der mit seinem Electro-Punk-Duo Egotronic auf der Festivalbühne steht und das überwiegend sehr junge Publikum, in dem auch ich mich befinde, zum Tanzen und Mitgrölen animiert. »Raven gegen Deutschland« brüllen wir, ohne genau zu wissen, warum. Denn mit Linksradikalismus – gar antideutschem – sind bis dahin wohl die wenigsten hier in Berührung gekommen. Was in diesem Moment zählt, ist die Energie, die einem aus den dröhnenden Lautsprechern entgegenschlägt und unabhängig politischer Präferenzen in ihren Bann zieht.
Ähnlich geht es Torsun selbst Anfang der 90er Jahre, als er in den sogenannten Baseballschlägerjahren seine Liebe für Punk und Hardcore entdeckt und sich darüber in den Folgejahren politisiert. Parallel zieht es ihn immer wieder auf Technoparties, die für seinen späteren Werdegang noch prägend sein werden. Erste eigene musikalische Erfahrungen macht er in Punk-Bands wie Kalte Zeiten oder Face Reality, bevor der Besuch eines Andreas-Dorau-Konzerts im Jahr 1996 seine musikalischen Vorstellungen mit einem Schlag über den Haufen wirft.
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Fortan dreht er lieber an den Reglern analoger Synthesizer, statt Powerchords auf seiner E-Gitarre zu schrammeln. Torsun will in jenen Jahren immer weiter und höher hinaus: live spielen, proben, aufnehmen, noch mehr live spielen. Seinen mitunter trägen Bandkollegen wird das Tempo irgendwann zu hoch, sodass Torsun im Jahr 2001 schließlich sein eigenes Projekt aus der Taufe hebt: Egotronic ist geboren.
Nun bestimmt er allein das Tempo, und in den kommenden 20 Jahren wird er nur selten seinen Fuß vom Gaspedal nehmen. 2006 erscheint das Debüt »Die richtige Einstellung«. Ein Jahr später folgt »Lustprinzip«, das mit dem Titeltrack und dem Opener »Raven gegen Deutschland« zwei Hits enthält, die sich in den Folgejahren zu Evergreens der antifaschistischen Bewegung in Deutschland entwickeln werden. Torsun selbst scheut keine Provokation und wird für viele zu einer regelrechten Hassfigur: Rechte verachten ihn für sein antifaschistisches Engagement. Doch auch viele Linke stehen mit Torsun, der sich in jenen Jahren der antideutschen Bewegung zurechnet, auf Kriegsfuß: Sie stören sich insbesondere an seiner unbeugsamen Solidarität mit Israel. Über Jahre hinweg wird er immer wieder mit Gewalt- und Morddrohungen konfrontiert.
Doch Torsun lässt sich nicht einschüchtern: Bis 2021 folgen acht weitere Alben von Egotronic und mehrere hundert Konzerte. Das letzte Album »Stresz« endet mit dem Song »Jubiläen«, einem Duett mit Andreas Dorau. Darin heißt es: »Mögen all die Jubiläen/ Bitte schnell vorübergehen«. Damit schließt sich für Torsun ein Kreis. Ebenfalls 2021 ist er an der Gründung der Initiative »Artists Against Antisemitism« beteiligt, an der sich auch Bands wie Frittenbude und Die Sterne beteiligen.
Im Mai 2023 erscheint mit »Songs to Discuss in Therapy« schließlich das Debüt seines neuen Projekts Torsun & The Stereotronics, das er mit seiner Frau Sina Synapse und seinem Egotronic-Wegbegleiter Christian Schilgen gründet. Parallel dazu macht er in einem »Taz«-Interview mit der befreundeten Journalistin und »nd«-Redakteurin Kirsten Achtelik seine unheilbare Krebserkrankung öffentlich, die es ihm vorübergehend verunmöglicht, Konzerte zu spielen.
Noch im Sommer desselben Jahres zeigt er sich im Reflektor-Podcast von Jan Müller zuversichtlich, bald wieder auf der Bühne stehen zu können. Doch die Hoffnung währt nur kurz: Sein Gesundheitszustand verschlechtert sich im Laufe des Jahres zunehmend. Ihm gelingt es noch, beim langjährigen Stammlabel Audiolith die Egotronic-Compilation »Das Unbehagen in der Kultur (Ausgewählte Werke 2001–2021)« zusammenzustellen – ein Vermächtnis. Am 30.12. erliegt Torsun seiner Erkrankung. Er wurde 49 Jahre alt.
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