Kaffee: Genuss oder Sucht?

Den Koffein-Kick brauchen viele Menschen jeden Tag mehrmals – ob in Kaffee, Tee oder Limonade

  • Angela Stoll
  • Lesedauer: 5 Min.
Schon die Aromen beim Kaffeemahlen und Aufbrühen sorgen für Vorfreude.
Schon die Aromen beim Kaffeemahlen und Aufbrühen sorgen für Vorfreude.

Mensch und Biene haben eine überraschende Gemeinsamkeit: Sie fliegen gleichermaßen auf Koffein. Vor ein paar Jahren fanden Forscherinnen der Uni Newcastle heraus, dass der Stoff dem Gedächtnis der Insekten auf die Sprünge hilft. Hatten Honigbienen koffeinhaltigen Nektar zu sich genommen, konnten sie sich besser merken, wo sich entsprechende Blüten befinden. Davon profitiert die Pflanze, weil sie öfter angeflogen und damit leichter bestäubt wird. So lässt sich erklären, warum der Nektar einiger Zitrus- und Kaffeepflanzen geringe Mengen von Koffein enthält. In höheren Dosen ist der Stoff dagegen giftig für Insekten und dient dazu, Fraßfeinde abzuwehren.

Ein kleiner Koffein-Kick führt also dazu, dass Bienen besser arbeiten – ähnlich Millionen von Menschen, die mit Kaffee ihre geistige Produktivität steigern. Nebenbei zeigt die britische Studie: Koffein steckt keineswegs nur in Kaffeebohnen und Teeblättern, sondern kommt in Blüten, Blättern, Samen und Früchten von rund 60 weiteren Pflanzenarten vor. Dazu zählen neben der Colanuss, Guarana, Mate und Kakao eben auch Zitruspflanzen. Allerdings ist der Koffein-Gehalt jeweils sehr unterschiedlich.

In Kakaobohnen etwa stecken vergleichsweise spärliche Mengen der Substanz. Von Schokolade kann man kaum eine Koffein-Vergiftung bekommen: Eine Tafel Milchschokolade enthält bis zu 20 Milligramm Koffein. »Ein 30 Kilogramm schweres Kind müsste mehr als vier Tafeln essen, um einen bedenklichen Wert zu erreichen«, sagt die Ökotrophologin Merle Schonvogel vom Bundeszentrum für Ernährung. »Problematischer ist da schon der Zuckergehalt.«

Das Beispiel macht deutlich, dass Koffein in unserem Alltag omnipräsent ist. »Koffein ist die mit Abstand am häufigsten konsumierte psychoaktive Substanz weltweit – noch vor Nikotin und Alkohol«, schreibt der Gesundheitspsychologe Wolfgang Beiglböck in seinem Buch »Koffein: Genussmittel oder Suchtmittel?«. Rund 80 bis 90 Prozent aller Erwachsenen im europäischen und angloamerikanischen Raum nehmen die Substanz täglich zu sich – meist in Form von Kaffee, Tee oder Limonade.

Der Frühstückskaffee am Morgen oder die Cola zwischendurch gehören für viele Menschen dazu, ohne dass der Konsum hinterfragt wird. Dabei kann bei großen Mengen durchaus eine Abhängigkeit entstehen, die Gesundheit und Wohlbefinden schadet. Das weiße, bitter schmeckende Pulver mit der chemischen Bezeichnung 1,3,7-Trimethylxanthin hat vielfältige Wirkungen, ist aber vor allem eines: stimulierend.

»Koffein hat eine anregende Wirkung auf das Nervensystem und kann die Leistungsfähigkeit leicht steigern«, sagt Antje Gahl, Pressesprecherin der Deutschen Gesellschaft für Ernährung. Nicht nur Aufmerksamkeit und Lernfähigkeit, sondern auch Muskelkraft und Ausdauer lassen sich verbessern. Die Wirkung von Koffein beruht vor allem darauf, dass es Adenosin, eine Art körpereigener Müdemacher, ausbremst. Da Koffein dieser Substanz von seiner chemischen Struktur her ähnelt, dockt es an die Adenosin-Rezeptoren an und sorgt dafür, dass Adenosin nicht zum Zug kommt.

Die belebende Wirkung setzt nach 15 bis 30 Minuten ein und hält mehrere Stunden lang an. Wie lang es dauert, bis der Körper den Stoff abgebaut hat, ist ganz unterschiedlich: Für gesunde Erwachsene nennt das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) eine Halbwertszeit von 2,5 bis 4,5 Stunden. Manche Menschen gehören aufgrund ihrer Gene zu den »Schnellverarbeitern« und können nach einem spätabendlichen Espresso problemlos schlafen – andere müssen bereits für ein nachmittägliches Tässchen büßen. Raucher bauen Koffein besonders schnell ab, dagegen verlangsamen manche Medikamente, etwa bestimmte Antidepressiva und hormonelle Verhütungsmittel, die Verstoffwechselung.

Säuglinge brauchen besonders lang, um Koffein zu verarbeiten: Bei Neugeborenen beträgt die Halbwertszeit laut BfR im Mittel 80 Stunden, bei Frühgeborenen sogar 100 Stunden. Deshalb ist es plausibel, den Koffein-Konsum in Schwangerschaft und Stillzeit einzuschränken. Nimmt ein Fötus zu viel Koffein auf, kann sich sein Wachstum verlangsamen. Zudem steigern hohe Dosen wahrscheinlich das Risiko für eine Fehlgeburt. Welche Mengen Schwangere gefahrlos konsumieren können, ist nicht ganz klar. Laut Europäischer Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) sind 200 Milligramm Koffein – über den Tag verteilt aufgenommen – für das ungeborene Kind unbedenklich. Das entspricht ungefähr zwei Tassen Filterkaffee. Eine neue US-Studie liefert aber Anhaltspunkte dafür, dass sich schon geringere Mengen nachhaltig negativ auf das Wachstum auswirken könnten.

Auch für größere Kinder und Jugendliche ist Koffein ein Thema – meist in Form von Erfrischungsgetränken wie Eistee, Matedrinks und Cola. Gefährlicher sind wegen ihres höheren Koffein-Gehalts aber Energydrinks: Eine 500-Milliliter-Dose kann in etwa 160 Milligramm Koffein enthalten. Damit haben Heranwachsende schnell die verträgliche Menge überschritten. Laut EFSA-Empfehlung sollen sie pro Tag nicht mehr als 3 Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht zu sich zu nehmen. Bei einem 50 Kilogramm schweren Teenager wären das 150 Milligramm Koffein.

Doch auch geringere Dosen können bereits Probleme bereiten, die von Nervosität über Herzrasen bis zum Kreislaufkollaps reichen. »Energydrinks können lebensgefährliche Herzrhythmusstörungen auslösen«, sagt der Göttinger Kinderkardiologe Martin Hulpke-Wette. Die Gefahren würden zu wenig ernst genommen. »Wir haben in unserer Praxis schon Jugendliche gesehen, die regelmäßig einen Liter pro Tag konsumierten und in der Folge eine verdreifachte Herzwanddicke hatten.« Daher fordert er, dass die Drinks nicht mehr an Jugendliche unter 16 Jahren verkauft werden dürfen. In den USA hat es in den vergangenen Jahren Todesfälle von Teenagern gegeben, die mit Energydrinks in Verbindung gebracht wurden.

Das beliebteste koffeinhaltige Getränk ist in Deutschland aber nach wie vor der Kaffee. Fast vier Tassen pro Tag trinkt die Durchschnittsbürgerin pro Tag und bewegt sich damit gerade noch innerhalb der Grenze, die laut EFSA gefahrlos ist. Offenbar ist der alltägliche Koffein-Kick für die meisten unverzichtbar: Bei einer Konsumentenbefragung im Auftrag von Tchibo gaben nur rund acht Prozent der Teilnehmer an, sich vorstellen zu können, komplett auf Kaffee zu verzichten. Ist er also doch eher Sucht- als Genussmittel?

Tatsächlich haben koffeinhaltige Getränke Gemeinsamkeiten mit Drogen: Wer auf Dauer viel Koffein konsumiert, entwickelt eine Toleranz, das heißt, dass der Körper weniger stark auf den Stoff reagiert. Außerdem kann es bei solchen Hoch-Konsumenten zu Entzugserscheinungen wie Müdigkeit und Kopfschmerzen kommen, wenn sie auf Koffein verzichten. »Dennoch würde ich Koffein nicht als Suchtmittel bezeichnen«, sagt DGE-Sprecherin Gahl. »Mit Nikotin oder Alkohol kann man es nicht vergleichen.« In der Tat kann man sich Koffein mit etwas Disziplin in ein paar Tagen abgewöhnen – ein Alkohol-Entzug gehört in eine andere Kategorie.

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