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Finanzamt: Schon gezahlt?
Wenn das Finanzamt klingelt
Als es kurz vor Weihnachten an der Tür klingelte, war ich mir sicher, es wäre der Amazon-Prime-Bote. Ich war, wie immer, leicht bekleidet, weil ich im Bett saß und schrieb (noch immer ist keine einzige der Kolumnen außerhalb der wenigen weichen Quadratmeter meiner Matratze namens »Bruno« entstanden). Ich sprintete zur Tür, hoffte, dass mein Prime-Engel mich last minute mit Dingen beschenken würde, die ich anschließend verschenken könnte, und schrie »Hinterhaus« in die Gegensprechanlage. Eine Stimme antwortete mir mit der vermutlich schockierendsten Nachricht, die man per Gegensprechanlage übermitteln kann: »Finanzamt Friedrichshain-Kreuzberg, Frau Hohmann, wir haben einen Termin.«
Ich fiel, ertappt, fast in Ohnmacht und rief sofort meine nachfolgende Verabredung an, um den Termin für den Nachmittag zu canceln. Zum Glück hatte ich eine kurze Telefonanruflänge Zeit, bis die Finanzamtfrau es in den fünften Stock geschafft hatte. Sie trug einen langen Daunenmantel, glitzerndes Augen-Make-up (so wie ich selbst, wenn ich versuche, besonders glamourös auszusehen) und hatte eine Fake-Ledermappe dabei, darin Zettel mit Handschrift. Sie war extrem freundlich, setzte sich schnaufend an den Tisch und schlug vor, dass ich ihr 250 Euro GEZ Nachzahlung in bar gebe – damit hätte ich meine Schulden beglichen.
Mir fiel ein riesiger Stein vom Herzen, denn natürlich hatte ich erwartet, dass es sich um eine Gerichtsvollzieherin handelt. Stattdessen saß dort eine freundliche, glitzernd geschminkte Frau, schrieb mir eine handschriftliche Quittung, kommentierte die Radio-Nachrichten. Mir fiel absolut kein Grund ein, ihr keine 250 Euro in bar in die Hand zu drücken – denn Radio hörte ich tatsächlich jeden Tag, schon allein weil ich die Bilder nicht aushielt, mit denen man sich in den anderen Medien konfrontieren muss.
Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist, und versucht es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen.
Mein einziges Problem war, dass ich nicht sicher war, ob ich überhaupt 250 Euro auf dem Konto hatte. Ich sprach ein stilles Stoßgebet zum lieben Gott, dass in den letzten 24 Stunden eine Rechnung bezahlt worden war. Dann zog ich meine Schuhe an und die GEZ-Frau machte mir ein Kompliment für sie, was ich mit einem Kompliment für ihr Augen-Make-up beantwortete. Sie konterkarierte es durch die Information, dass Glitzer ja jetzt verboten wäre, wegen Mikroplastik, so wie Strohhalme. Sie habe sich bereits einen persönlichen Vorrat angelegt. Ich antwortete (wie immer) mit der Wahrheit: »Ich auch.«
Dann spazierten wir zum Späti nebenan, wir beide begrüßten den Späti-Verkäufer wie einen alten Bekannten, was ebenfalls der Realität entsprach. Ich hob 250 Euro am Automaten ab und freute mich, dass der Späti-Verkäufer von meinen 5 Euro Gebühren profitieren würde. Sie sagte: »Ich bin in der Nachbarschaft bekannt wie ein bunter Hund.« Ich sagte erneut wahrheitsgetreu: »Ich auch.« Dann dachte ich daran, wie meine Freundin A. einmal meinte: »Pass auf, dass die Bunter-Hund-Rolle nicht überhandnimmt.«
Dann ertappten wir uns, wie wir beide gleichzeitig den Song shazamten, der im Späti lief: »Let’s talk about Sex« von Salt ’n’ Pepa. Am nächsten Tag rief mich die glamourös geschminkte GEZ-Frau wieder an und sagte, ich hätte ihr versehentlich 100 Euro zu wenig gegeben. Ich würde ihr »das Leben retten«, wenn ich ihr noch einmal einen Schein abheben würde. Ich wunderte mich kurz, dann lud ich sie ein, kurz bei mir vorbeizukommen. Mein Nachbar von gegenüber (Jahrgang 2003) saß am Fenster und blies dilettantisch in seine Trompete. Er rief meinen Namen, die GEZ-Frau sagte: »Bist ja auch ein bunter Hund.«
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Erst als ich am nächsten Tag bei einem Abendessen von der engelsgleichen Erscheinung der GEZ-Frau erzählte, fiel mir auf, dass es sich bei dem »bunten Hund« wahrscheinlich um eine Trickbetrügerin gehandelt hatte. Ich nahm mir vor, es im Sinne der Jahreszeit christlich zu sehen: Die Frau hatte sich ihre 350 Euro in gewisser Weise hart erarbeitet.
Am nächsten Tag schleppte mein Freund R. einen gigantischen Haufen Heu in meine Wohnung und verwandelte sie, thematisch, in eine lebensgroße Krippe – und uns zu Maria und Joseph. Ich dachte daran, wie die GEZ-Frau vor der Tür gestanden hatte, wie das heilige Paar an Weihnachten. Meine Großmutter sang leidenschaftlich das bayerische Weihnachtslied »Wer klopfet an?«, in dem Maria und Joseph an der Tür immer wieder abgewiesen werden, bis sie dann, endlich, in der Krippe, bei Ochs und Esel landen. Es kamen Gäste, wir speisten das letzte Abendmahl des Jahres auf Heu. Wir erlaubten den Gästen, Zigaretten zu rauchen, aber ich stellte vorsichtshalber den Feuerlöscher daneben, den ich vor ein paar Jahren mal von einem Liebhaber zu Weihnachten bekommen hatte, kurz bevor unser Feuer erloschen war.
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