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Zeit, sich zu verschulden
Die Rezession könnte durch Investitionen in Milliardenhöhe abgefedert werden
Die deutsche Wirtschaft wird auch in diesem Jahr schrumpfen. Davon gehen die Ökonom*innen des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturanalyse (IMK) in ihrer aktuellen Prognose aus, die sie am Montag vorgestellt haben. Danach schrumpft das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im Jahr 2024 um 0,3 Prozent und die Zahl der Erwerbslosen steigt um 300 000 auf rund 2,9 Millionen.
Vor diesem Hintergrund drohe eine »Stagnationserwartung«. Das bedeutet: Private Haushalte stellen sich auf die schlechte wirtschaftliche Situation ein und sparen. Viele Unternehmen schieben Investitionen in neue Technologien auf.
»Die Kreditvergabe an Unternehmen ist praktisch zum Erliegen gekommen«, stellen die Forscher*innen in ihrer Analyse fest. Und selbst wenn sie investieren wollen, ist es schwierig für sie geworden, an Darlehen zu gelangen. »Die Banken haben ihre Kreditstandards so sehr verschärft wie seit der Finanzkrise nicht«, warnt Silke Tober, Expertin für Geldpolitik am IMK.
Schuld daran ist aus Sicht der Ökonomin auch die restriktive Zinspolitik der Europäischen Zentralbank. Es sei zwar mit Blick auf die Preisschocks durch die Coronakrise und den russischen Überfall auf die Ukraine richtig gewesen, die Zinsen anzuheben. Doch nun ist es dringend geboten, die Geldpolitik wieder zu lockern, mahnt Tober.
Dass auch die Bundesregierung in einer solchen Situation ihre Finanzpolitik für das Jahr 2024 restriktiv ausrichten wolle, sei ein grundlegender Fehler, kritisiert der wissenschaftliche Direktor des IMK, Sebastian Dullien. »In eine Rezession hinein zu sparen, ist falsch«, betont er mit Blick auf die aktuellen Haushaltspläne der Ampel-Koalition. Um die Konjunktur anzukurbeln, müsse der Staat vielmehr aktiv gegensteuern. Er müsse Anreize für Unternehmen schaffen, in neue Technologien und Produktionsanlagen zu investieren.
Konkret geht es um Gelder für die ökologische Transformation. So sollen Mittel für den Ausbau von Windenergie, Fotovoltaik und Speichertechnologien für erneuerbare Energien zur Verfügung gestellt werden. Auch müssten Unternehmen Strompreissubventionen und Garantien für Investitionen in CO2-arme Produktionsverfahren erhalten. Dadurch könnten Kreditzinsen gesenkt und die Investitionsbereitschaft gesteigert werden.
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Private Haushalte müssten zusätzlich zum Klimageld auch bei der Wärme- und Mobilitätswende stärker entlastet werden. Dies sei mit Blick auf den zu erwartenden Anstieg der CO2-Preise ab 2027 notwendig.
Hinzu kommen Kosten für ohnehin existente Investitionslücken: Allein für den Erhalt und die Modernisierung der bestehenden Infrastruktur und des Bildungssystems bräuchte es laut Berechnungen des IMK aus dem Jahr 2019 Investitionen in Höhe von über 460 Milliarden Euro. Der Bedarf habe seitdem eher zugenommen.
Doch einer solchen kontrazyklischen Investitionspolitik steht derzeit die Schuldenbremse im Weg, bemängeln die Forscher*innen. Seit 2011 verhindert die Verfassungsregelung eine Neuverschuldung des Staatshaushaltes von mehr als 0,35 Prozent des BIP. Da die Wirtschaft derzeit schrumpft, ist auch der Staat zu Einsparungen gezwungen. »Die Schuldenbremse erweist sich als eine Investitions- und Wachstumsbremse«, kritisiert Dullien.
Deshalb sei eine Reform dringend erforderlich, unterstreichen die Ökonom*innen des IMK. Sie fordern eine sogenannte goldene Regel: produktive Investitionen sollen vom verfassungsrechtlichen Verbot der Neuverschuldung ausgenommen werden.
Aktuell werde nicht zwischen guten und schlechten Schulden unterschieden: »Wenn ich einen Kredit aufnehme, um ein Haus zu kaufen, etwa in Form einer Hypothek, hinterlasse ich etwas für die nachfolgende Generation«, erklärt IMK-Direktor Dullien. Etwas anderes sei es, wenn man Schulden für eine Party oder eine Reise nach Mallorca mache. Dann sei das Geld weg.
Bei der Verschuldung für produktive Investitionen könne die goldene Regel helfen. Doch dass die bald kommt, glaubt Dullien nicht: »Es gibt eine Partei, die eine Verfassungsänderung derzeit ausschließt.« Gemeint ist die FDP. Es sei deshalb gerechtfertigt, wenn der Bundestag für das Jahr 2024 erneut eine Notsituation erklärt, heißt es in der IMK-Analyse. Damit könnte die Schuldenbremse kurzzeitig ausgesetzt werden.
Mittelfristig müssten die Ausgaben auch durch höhere Einnahmen finanziert werden, etwa durch eine Vermögensabgabe. »Aber 2024 ist nicht das geeignetste Jahr, um Steuern zu erhöhen«, erklärt IMK-Direktor Dullien mit Blick auf die trüben Wirtschaftsaussichten. Es komme darauf an, Spielräume zu nutzen, die jetzt da sind. Deutschland habe im Vergleich zu anderen G7-Staaten eine geringe Schuldenlast.
Die wirtschaftspolitischen Herausforderungen kann Deutschland jedoch kaum eigens meistern. So haben allein die USA mit dem Inflation Reduction Act Subventionen im dreistelligen Milliardenbereich für die eigene Wirtschaft bereitgestellt – China ähnlich. »Die Industriepolitik muss auch auf europäischer Ebene stattfinden«, betont Dullien darum. Auch weil nationale Alleingänge den Druck auf andere europäische Länder erhöhen würde.
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