Moore in Mecklenburg-Vorpommern: Rolle rückwärts ins Nasse

Greifswald will trockene Moore im kommunalen Besitz wiedervernässen, um CO2 zu speichern

  • Martin Reischke, Greifswald
  • Lesedauer: 8 Min.
Annie Wojatschke ist mit einer Schulklasse in den städtischen Moorgebieten unterwegs. Die Moormanagerin leistet viel Vermittlungsarbeit. Oft referiert sie über die Vorteile und die Notwendigket, die Wiesen wiederzuvernässen.
Annie Wojatschke ist mit einer Schulklasse in den städtischen Moorgebieten unterwegs. Die Moormanagerin leistet viel Vermittlungsarbeit. Oft referiert sie über die Vorteile und die Notwendigket, die Wiesen wiederzuvernässen.

Eine Frau steht in einer weißen Winterlandschaft. Es schneit unaufhörlich, aber Annie Wojatschke ist darauf eingestellt: Sie trägt Wanderschuhe, dazu eine dunkle Outdoor-Hose und einen dicken Wintermantel. Vor ihr stehen 15 Jungen und Mädchen der 9. Klasse des evangelischen Schulzentrums Martinschule in Greifswald. »Ihr werdet gleich sehen, dass das Moor hier ziemlich trocken ist«, sagt Wojatschke. »Das liegt an dem weißen Häuschen hinter euch, das ist das Schöpfwerk, und das pumpt die ganze Zeit das Wasser, das über die Gräben gesammelt wird, rüber in den Ryck.«

Der Ryck ist der Fluss, der durch Greifswald fließt. Vor 70 Jahren fingen die Menschen hier an, Moore trockenzulegen, um landwirtschaftliche Fläche zu gewinnen. »Aber die wussten eben nicht«, erzählt Wojatschke, »dass das noch etwas anderes mit sich bringt: Erst mal das Absacken der Geländeoberfläche; und außerdem hat man ein Problem, weil das Treibhausgase emittiert. Der ganze Kohlenstoff, der durch die Pflanzen reingekommen ist ins Moor, kommt jetzt in Berührung mit Sauerstoff, wird zu CO2 und geht in die Luft.« In Mecklenburg-Vorpommern macht dieser Effekt ungefähr ein Drittel aller Treibhausgasemissionen aus. »Deswegen lohnt es sich unbedingt, daran etwas zu ändern«, sagt Wojatschke.

Nur: Egal, ob trockengelegt oder nass – vom Moor ist in diesen Tagen erst einmal wenig zu sehen, die Wiesen liegen unter einer Schneedecke. Kein Problem für Wojatschke, schließlich hat sie ihren Bodenbohrer dabei – einen mehr als zwei Meter langen Stab, ihr wichtigstes Arbeitswerkzeug. Mit diesem will sie den Schülerinnen und Schülern zeigen, welche Geheimnisse tief unten im Boden schlummern. Langsam setzt sich die Gruppe in Bewegung.

Zehn Minuten Fußweg von der Greifswalder Moorlandschaft entfernt hat Stefan Fassbinder sein Büro. Es ist kein Problem, einen Termin mit dem grünen Oberbürgermeister der Hansestadt zu bekommen – der Schutz der Moore ist für Fassbinder ein Herzensthema. »Greifswald ist umgeben von Mooren. Wir haben auch viel Landbesitz, wo Moore sind oder Moore waren«, sagt der Rathauschef. »Und für uns sind die nachhaltige Bewirtschaftung unseres Eigentums, aber auch Klimaschutz zentrale Aufgaben. Die Moore müssen dabei eine sehr große Rolle spielen.«

Deshalb hat die Stadt auf Vorschlag der Bürgerschaft eine Moormanagerin eingestellt – als erste Kommune in Deutschland. Etwas mehr als zwei Jahre ist das nun her. Seitdem hat Annie Wojatschke eine Moorstrategie erarbeitet, die Anfang Dezember von der Bürgerschaft angenommen wurde. Kurz gesagt besteht sie aus drei Schritten: Zuerst werden die Moorflächen im kommunalen Besitz identifiziert. Als Nächstes wird priorisiert, welche Flächen für eine Wiedervernässung infrage kommen. Und schließlich werden die Moore wiedervernässt, um so große Mengen an CO2 im Boden zu speichern.

Klingt einfach, ist es aber nicht: »Es geht ja nicht darum, dass man einfach nur die Schleuse öffnet und Flächen unter Wasser setzt. Das ist wesentlich komplexer und muss sehr gut bearbeitet werden«, sagt Oberbürgermeister Fassbinder. »Aber das Bewusstsein, dass der Schutz der Moore und die Wiedervernässung einen entscheidenden Beitrag zum Klimaschutz leisten müssen, das ist in Greifswald sehr breiter Konsens.«

Damit das so bleibt, unternimmt Moormanagerin Annie Wojatschke Moorführungen wie die mit den Schülerinnen und Schülern der Greifswalder Martinschule. Fünf Minuten sind sie durch den Schnee gelaufen, jetzt will Wojatschke den Schülern zeigen, woran man ein Moor erkennt. Vom Weg sind es nur ein paar Schritte auf eine kleine Freifläche. »Tiefer als bis zum Knie versinkt hier keiner«, witzelt Wojatschke. Dann fordert sie die Jugendlichen zum Mitmachen auf: »Einige von euch können jetzt hüpfen und die anderen bleiben stehen«, sagt sie.

Wie auf einem Trampolin springen die Schülerinnen und Schüler auf dem leicht federnden Boden. Anschließend sticht Wojatschke ihren langen Bohrstock vorsichtig in die Erde, dreht den Stab und füllt ihn so mit Bodenmaterial. Mit dem Bohrstock zieht sie dunklen Torf aus dem Boden. »Ihr seht die obersten 40 Zentimeter hier«, sagt Wojatschke und zeigt auf trockene Erde, die zwischen den Fingern zerkrümelt. »Wenn ich die quetsche, seht ihr kein Wasser. Das ist die obere Torfschicht, die schon zersetzt ist und vererdet. Das passiert, wenn Torf in Berührung mit Luft kommt.«

Die Erde am unteren Ende des Bohrstocks mit Proben aus größeren Tiefen wird immer feuchter. Moore, erzählt Wojatschke, hätten viele positive Effekte: »Nicht nur, dass sie das CO2 oder die anderen Treibhausgase im Boden halten, sondern sie speichern eben auch das Wasser, können die Umgebung kühlen und dadurch das lokale Kleinklima beeinflussen. Außerdem können sie Wasser filtern«, schwärmt die Biologin. »Und natürlich sind sie auch wertvolle Lebensräume für sehr spezialisierte Tiere und Pflanzen, die über Jahrhunderte in diesem nährstoffarmen Lebensraum gelebt haben und woanders nicht klarkommen können.«

Dann macht sich die Gruppe auf den Rückweg. »Ich finde es interessant, so zu sehen, was Moore können und wie wichtig sie für die Umwelt sind, weil man das wirklich nicht erwartet«, sagt die 15-jährige Mayah. »Auch die Wiederbewässerung finde ich sehr interessant – und ob das alles so funktioniert, weil man ja hört, dass viele damit ein Problem haben.« Die Schülerin spricht einen wichtigen Punkt an. Tatsächlich muss Annie Wojatschke als Moormanagerin vor allem Vermittlungsarbeit leisten. Denn viele Moorflächen im kommunalen Besitz hat die Stadt an Landwirte verpachtet – und die sind nicht immer begeistert, dass ihre Pachtflächen wiedervernässt werden sollen.

Annie Wojatschke muss einen großen Paradigmenwechsel erklären: Gerade älteren Menschen gilt die Trockenlegung der Moore schließlich als große Kulturleistung, sie haben selbst noch erlebt, wie Böden trockengelegt und so für die Landwirtschaft nutzbar gemacht wurden. Und das soll alles umsonst gewesen sein? Anwohnerinnen und Anwohner befürchten nasse Keller, Bauern gehen Weideflächen verloren, wenn große Flächen wiedervernässt würden. Also sucht Wojatschke das Gespräch mit allen Beteiligten, um ihnen die Pläne der Stadt vorzustellen. Zum Beispiel bei Gemeindevertretersitzungen der umliegenden Dörfer oder auf Info-Veranstaltungen für die betroffenen Landwirte.

»Grundsätzlich waren die meisten nicht besonders ablehnend«, erzählt die Moormanagerin. »Die haben eher gesagt: ›Wenn wir wissen, dass ihr eure Flächen wiedervernässen wollt, dann können wir uns darauf einstellen, aber wir brauchen vor allem eine Sicherheit, was wir dann machen mit dem, was wir ernten.‹«

Annie Wojatschke hat viele Ideen, was man auf den wiedervernässten Flächen anbauen könnte, zum Beispiel Schilf und Rohrkolben. »Allein aus Rohrkolben kann man viele verschiedene Dinge machen«, sagt sie. »Die haben in ihren Blattquerschnitten sehr große Luftzellen und sind gleichzeitig ziemlich stabil. Das heißt, daraus kann man leichte, stabile Bauplatten machen. Das wäre ein sehr interessanter Holzersatz.« Auch als Dämmmaterial oder für nachhaltige Einwegverpackungen könnte man die Rohrkolben nutzen.

Für viele klingt das gut – bei anderen sorgen solche Ideen für Augenrollen. Als Öko-Landwirtin führt Dörte Wolfgramm-Stühmeyer einen sogenannten Grünlandbetrieb mit Mutterkühen – sie baut Futter für die Tiere an, hält sie auf der Weide und züchtet Kälber für die Fleischproduktion. Ein großer Teil ihrer von der Stadt gepachteten Flächen sind trockengelegte Moore, aber auch mit wiedervernässten Mooren hat sie schon Erfahrung. Eine intensive Landnutzung wiedervernässter Flächen, wie sie die Stadt Greifswald plant, hält Wolfgramm-Stühmeyer für illusorisch.

»Ich bekomme auch öfter mal zu hören, dass man ja auch Wasserbüffel auf diesen Flächen halten könnte«, erzählt die Landwirtin. »Ja, das kann man! Das Problem ist aber: Auch ein Wasserbüffel muss auf dieser Fläche bleiben – der braucht einen Zaun, und dieser Zaun braucht Strom – und Strom fließt nur, wenn kein Wasser dran ist und auch keine Gräser dran sind oder Schilf oder Sonstiges.« Dementsprechend müsse man sich dann Gedanken machen, wie der Zaun freigehalten werden kann.

Das Problem: Mit schwerem Gerät kann man die vernässten Wiesen oft nicht befahren. Und Spezialgeräte für Moorflächen seien sehr teuer und zudem für die besonderen Arbeiten am Zaun nicht geeignet, so die Landwirtin. »Und wenn man das alles händisch machen muss, dann sind das schon wahnsinnig erschwerte Bedingungen«, sagt die Landwirtin. »Das ist keine Arbeit, die man mal eben für eine halbe Stunde macht, das ist sehr, sehr mühselig.«

Die hochfliegenden Pläne der Greifswalder Moorexperten würden nicht zu ihrer Lebensrealität passen, meint die Landwirtin. »Und dann gibt es auch diese Ideen mit irgendwelchen Baustoffen«, sagt sie. »Ich finde, das ist eine tolle Sache, aber so lange es keinen Markt dafür gibt, ist das eben auch sehr, sehr schwierig.« Deshalb möchte sie erst einmal am liebsten so weitermachen wie bisher: Als Biobetrieb mit Mutterkühen, die sie draußen auf der Weide frei herumlaufen lässt – was auf wiedervernässten Flächen oft schwierig werden dürfte. »Ich brauche dann Ersatzflächen«, sagt die Landwirtin. »Ansonsten kann ich meinen Betrieb an den Nagel hängen. Alles, was ich hier in mühevoller Kleinarbeit aufgebaut habe, wäre dann Geschichte.«

Auch wenn Moormanagerin Annie Wojatschke für jede Moorfläche individuelle Lösungen suchen will, bedeutet die Aussicht auf Wiedervernässung für Wolfgramm-Stühmeyer momentan vor allem eins: Unsicherheit. »Man hängt in der Luft und weiß überhaupt nicht, ob man richtig planen kann. Das ist wahnsinnig schwierig«, sagt sie.

Dabei findet auch die Landwirtin, dass Wiedervernässung wichtig ist. Nur über das Wie, da gehen die Meinungen in Greifswald eben noch ziemlich auseinander.

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