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Sparpolitik: Etablierte kürzen sich weg
Studien zu Austerität: Erhält durch die Sparpolitik der Ampel die AfD mehr Zulauf – oder etwa die Linkspartei?
Höhere CO2-Preise, Kürzungen beim Bürgergeld, weniger Mittel für den Klima- und Transformationsfonds: Die Regierungskoalition will in diesem Jahr eine Milliardensumme einsparen, um die Schuldenbremse wieder einzuhalten. Am Donnerstag haben Abgeordnete im Haushaltsausschuss die Pläne etwas abgeschwächt, am Sparkurs soll sich aber nichts Grundsätzliches ändern. Nun zeigen Studien, dass eine solche Austeritätspolitik in Europa Parteien Zulauf verschafft hat, die weit rechts oder links stehen. Auch neue Parteien haben dadurch an Zuspruch gewonnen. Was lässt sich daraus schlussfolgern für Deutschland: Erhält die AfD womöglich weiter Auftrieb? Oder steigen die Wahlchancen der Linkspartei und des Bündnisses Sahra Wagenknecht?
In den vergangenen Jahren haben viele europäische Regierungen immer wieder eine sogenannte Austeritätspolitik verfolgt, also einen Sparkurs, um die Staatsverschuldung zu verringern und EU-Vorgaben einzuhalten. Sozialleistungen wurden gekürzt, Investitionen zurückgefahren und Steuern erhöht. Linksliberale wie konservative Regierungen verfolgten diesen Kurs. Forschende haben nun in mehreren Studien untersucht, wie sich diese Politik auf das Wahlverhalten ausgewirkt hat.
Sparpolitik in Europa und Wahlergebnisse
Die Analyse »The Political Costs of Austerity« (Die politischen Kosten der Austerität) vom Mai 2023 kommt zu dem Ergebnis: »Haushaltskonsolidierungen führen zu einem signifikanten Anstieg des Stimmenanteils extremer Parteien, zu einer niedrigeren Wahlbeteiligung und zu einer Zunahme der politischen Fragmentierung.« Die Forschenden um den Ökonomen Ricardo Duque Gabriel haben für die Studie mehr als 200 regionale, nationale und europäische Wahlen von 1980 bis 2015 in acht europäischen Ländern ausgewertet. Wenn die Sparpolitik von einer Mitte-Links-Regierung gemacht wird, ist der Stimmengewinn von weit links oder rechts stehenden Parteien demnach besonders groß. Zudem sind die Verschiebungen in regionalen Wahlen stärker als in nationalen.
Die Studie »Does Austerity Cause Polarization?« (Verursacht Austerität Polarisierung?) kommt zu einem ähnlichen Ergebnis: Die Auswertung von 166 Wahlen in Industriestaaten seit 1980 zeige, »dass Sparmaßnahmen sowohl die Wahlenthaltung als auch die Stimmen für Nicht-Mainstream-Parteien erhöhen«, heißt es in der Analyse eines Teams um die Wiener Politikwissenschaftlerin Evelyne Hübscher vom April 2023. Insbesondere »neue, kleine und radikale« Parteien profitierten. Wenn unzufriedene Wähler keine etablierte Partei finden, die glaubwürdig für eine Alternative zur Sparpolitik steht, würden sich viele eben Nicht-Mainstream-Parteien zuwenden, so Hübscher. Sie erinnert daran, dass in europäischen Ländern wie Italien viele traditionelle Parteien geschrumpft oder nahezu verschwunden sind.
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Der Wissenschaftler Thiemo Fetzer hat sich das Wahlverhalten in Großbritannien genauer angeschaut und kommt zu dem Schluss: Insbesondere Regionen, die von der Sparpolitik in Großbritannien ab 2010 besonders betroffen waren, haben in der Folge die rechte Ukip und den EU-Austritt unterstützt.
Es sei sehr schwierig, einen direkten kausalen Zusammenhang zwischen Sparpolitik und Wahlverhalten zu messen, die Studien seien aber solide und hätten dies so gut untersucht, wie es möglich ist, sagt der Sozialwissenschaftler Andreas Hövermann bei der Hans-Böckler-Stiftung. Aufgrund der Studien gebe es klare Hinweise, dass dieser Zusammenhang existiere.
Nun ist es politisch ein wesentlicher Unterschied, ob durch Austerität rechte oder linke Parteien Wahlerfolge erzielen. In Deutschland wurde nach der Agenda 2010 die Linkspartei stärker und kam bei der Bundestagswahl 2009 auf fast zwölf Prozent. Derzeit gewinnt die rechtsextreme AfD in Umfragen an Zustimmung. Hövermann fürchtet, dass der Sparkurs der Ampel der AfD weiter Auftrieb geben könnte. Die in Deutschland jetzt geplanten Einsparungen sind zwar nicht so groß wie die Kürzungen in vielen der untersuchten europäischen Ländern. Sie können aber bestehende Probleme verschärfen.
»Bei einem Sparkurs bekommt all dies eine ganz andere Wucht«
Der Soziologe nennt Beispiele, wie Sparpolitik eine Abkehr von etablierten Parteien begünstigen kann: »Da ist zunächst einmal die schlechte Infrastruktur, von der Bahn bis zur Ausstattung von Schulen. Darüber sind viele frustriert«, sagt er. Alle Regierungen der letzten Jahrzehnte hätten hier zu wenig investiert. Ähnliches gelte für den Wohnungsmarkt, wo eine »echte Konkurrenzsituation zwischen Einheimischen und Zugewanderten entstehen kann«, weil der soziale Wohnungsbau über lange Zeit vernachlässigt wurde.
Sparpolitik wirke sich auch darauf aus, wie schnell und gut zugewanderte Menschen integriert werden können. Weniger Hilfen können dazu führen, dass Menschen mehr Probleme beim Ankommen haben, die Sprache schlechter lernen und schlechter in den Arbeitsmarkt integriert werden – was rechte Parteien wie die AfD politisch nutzen können. Dann könne ein Wohlfahrts-Chauvinismus wirken nach der Devise: Leistungen soll es nur für die »eigenen Leute« geben. Solche Haltungen gebe es zwar unabhängig von der Finanzpolitik, ebenso wie Konkurrenz um Wohnungen. »Doch bei einem Sparkurs bekommt all dies eine ganz andere Wucht«, sagt Hövermann.
Missstände wie eine vernachlässigte Infrastruktur sind dabei nicht nur in Zeiten entstanden, in denen die Regierung einen Konsolidierungskurs eingeschlagen hat, um Schulden abzubauen, betont Lukas Haffert, Ökonom an der Universität Genf. »Die Infrastruktur ist seit 20 Jahren schlecht. Das ist ein politisches Versagen, für das nicht die Schuldenbremse verantwortlich ist.«
Die AfD kann die Schuld für viele Probleme zugewanderte Menschen geben, das passt in ihr politisches Konzept. Gleichzeitig ist die Frage, ob sich die gesamte politische Debatte tatsächlich derart auf Migration verengt hat, dass ausgerechnet die AfD durch die Sparpolitik weiter Auftrieb erhält. Denn die AfD ist selbst eine glühende Verfechterin der Schuldenbremse. Selbst im Pandemiejahr 2021 hat sie im Bundestag beantragt, die Vorgabe einzuhalten.
Betrachtet man die finanzpolitischen Positionen, wäre es naheliegender, wenn die Linkspartei oder das Bündnis Sahra Wagenknecht Zuspruch gewännen bei Menschen, die die Sparpolitik zu spüren bekommen. Denn die Linkspartei befürwortet eine Abschaffung der Schuldenbremse, Wagenknecht eine Reform. Selbst unter der Maßgabe der Schuldenbremse, die nur mit Zweidrittelmehrheit zu ändern ist, »wäre eine andere Finanzpolitik umsetzbar, die zum Beispiel Reiche stärker besteuert«, sagt Hövermann.
Hübscher erklärte auf nd-Anfrage denn auch: Es sei davon auszugehen, dass durch die Sparpolitik »vor allem das neue Bündnis um Sahra Wagenknecht sowie Die Linke, die aber mit dem Bündnis in Konkurrenz steht, gestärkt werden«. Im Prinzip könne auch die AfD profitieren. Allerdings stehe sie der Sparpolitik eben nicht grundsätzlich skeptisch gegenüber.
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