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»Bist du ein Kulturpessimist?«

Eine Erinnerung an die 80er Jahre: Zum Tod der Untergrundmusiker Franz Z. und Andy Giorbino

Geisterfahrer, das war auch so ein programmatischer Name: Andy Giorbino macht das Victoryzeichen.
Geisterfahrer, das war auch so ein programmatischer Name: Andy Giorbino macht das Victoryzeichen.

Diesen Monat starben mit Frank Z. und Andy Giorbino zwei Hamburger Untergrundmusiker aus großer Zeit. Die war nur eine kurze Zeit, als man Anfang der 80er Jahre im Untergrund dachte: Man kann es, man tut es und die Leute hören zu. Doch dann kam fast sofort die Neue Deutsche Welle und spülte die Labels, Bands und Platten ins unbekannte Nirgendwo. Danach war überall nur noch Deutschrock angesagt.

1980 aber waren Abwärts für zwei Platten die Punkband der Stunde. Frank Z. hatte sie mitgegründet und war ihr Gitarrist und Sänger. Er kam aus der Anarchoszene, hatte eine Druckerlehre gemacht und der Bandname war politisches Programm. Am Anfang spielte Margita Haberland Geige, die ehemalige Mitbewohnerin von Gudrun Ensslin hatte sich einst gegen die RAF und für Straßentheater entschieden. Dann kamen FM Einheit und Marc Chung hinzu, die für Lärm und Bass zuständig waren und später zu den Einstürzenden Neubauten wechselten.

Zuerst erschien die EP »Computerstaat«, die mit »Nähmaschinen-Rhythmus« (Gregor Kessler) Wahn und Repression, die dem »Modell Deutschland« der Helmut-Schmidt-Bundesregierung innewohnten, auf den Punkt brachte: »Samstag Abend Irrenanstalt, / der KGB im deutschen Wald. / Sonntag, da ist alles tot / Im Golf von Mallorca der Weltkrieg droht. / Stalingrad, Stalingrad, / Deutschland Katastrophenstaat / Wir leben im Computerstaat«. Danach kam das Debütalbum »Amok / Koma«, das sich wie aus dem Nichts 20 000-mal verkaufte. Der Plattentitel war eine sehr gute Beschreibung der westdeutschen Bewusstseinszustände zwischen Berufsverboten und Autowaschen.

»Computerstaat« war die zweite Veröffentlichung auf Alfred Hilsbergs legendärem Untergrund-Label »ZickZack« überhaupt, die erste war »Klagemauer«, eine Single der Geisterfahrer – noch so ein programmatischer Bandname. Bei dieser Gruppe stieg der Gitarrist Andy Giorbino 1986 ein, nachdem er ebenfalls 1980 bei »ZickZack« die Single »Kredit« und später noch die LPs »Lied an die Freude« und »Anmut und Würde« aufgenommen hatte. Seine Musik klang so, sagen wir mal, als wenn die Mainzelmännchen minimalistischen Progrock spielen würden. Hart, eckig und manchmal auch lustig. Labelchef Hilsberg nannte es elektronische Avantgarde. Etwas konventioneller waren Ivanhoe! – ein Projekt, das Giorbino zusammen mit Jäki Eldorado betrieb, der mit Blixa Bargeld und Gudrun Gut zu den ersten zehn Punks in Westberlin gehört hatte, aber zu nervös fürs Musikmachen war und dann lieber Roadmanager von Robbie Williams wurde. Rein musikalisch betrachtet waren Geisterfahrer am interessantesten: dunkler, experimenteller Rock.

Als diese kurzen großen Zeiten schon vorbei waren, gab ich 1988 zusammen mit Conny Lösch das Fanzine »Rat Race« heraus, in dem Z. und Giorbino unabhängig voneinander interviewt wurden. Z. arbeitete damals in der Kneipe, nachdem er bei der Plattenindustrie Schiffbruch erlitten hatte: Mit dem kämpferisch-depressiven Album »Der Westen ist einsam« hatte er zwar die beste aller Abwärts-Platten eingespielt, war aber dann mangels Erfolg aus seinem Vertrag geflogen. Gerade hatte er als Ein-Mann-Band ein neues Abwärts-Album bei Normal Records rausgebracht, auf dem er ähnlich wie Grönemeyer ein Alkohol-Problem-Lied sang. Leider fiel mir nicht ein, ihn darauf anzusprechen, sondern ich fragte ihn oberschülerhaft: »Bist du ein Kulturpessimist?« Und er meinte: »Kultur und Pessimismus sind zwei Worte, die zusammengehören. Ich interessiere mich überhaupt nicht für Kultur, weil das für mich kein Begriff ist, den ich irgendwie fassen könnte. Wenn man das Wort Kultur in den Mund nimmt, meint man immer Ausstellung in der Kunsthalle oder Reise nach Japan oder weiß der Teufel was. Das ist grausam!«

Andy Giorbino, der in seiner Musik nie so feststeckte wie Z. und der sich ein Jahr später mit Folke Jensen an einer Art prähistorischen Rammstein-Rock versuchen sollte, erklärte mir dann, wie es wirklich läuft im Kulturgeschäft: »Die Leute wollen Konzepte und so wenig wie möglich selber denken. Damit muss man arbeiten, ich kann kein Brainwashing machen. Egal, ob du Musik machst, oder malst, es geht darum, für dich einen Ausdruck zu finden. Die Konzepte kommen immer erst hinterher, nach der Reaktion des Publikums. Ich glaube, Konzepte sind scheiße.« Klüger ist man also immer vorher.

Frank Z., der bürgerlich Frank Ziegert hieß, starb am 17. Januar mit 66 Jahren; Andy Giorbino, der Andreas Gerth hieß, starb am 10. Januar im Alter von 69 Jahren.

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