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Seit wann gibt es Recycling?
Über den langen Weg vom Lumpensammler zur BSR
Ich muss meinen Kühlschrank entsorgen und habe mich grad nach Recyclinghöfen umgeschaut. Was haben eigentlich die Menschen früher, also etwa im Mittelalter, gemacht, wenn Glas, Kerzenständer oder Kochtöpfe kaputt gingen und sich nicht mehr reparieren ließen?
Was sich nicht mehr reparieren ließ – obwohl das Reparieren damals ziemlich weit ging, es gab nicht grundlos Berufe wie Kesselflicker –, wurde tatsächlich schon damals eingesammelt und der Verwertung zugeführt. Kochtöpfe und Kessel waren ja in der Regel relativ teure Materialien, oft aus Kupfer. Oder sie waren aus Keramik.
Die konnte man aber eher nicht wiederverwenden, oder?
Nicht mehr ohne weiteres. Allerdings wurden schon bei den Alten Römern Keramiksachen, die sich nicht mehr benutzen ließen, zum Beispiel als Zusatz für Terrazzoböden verwendet.
Nach den riesigen Schlachten im Mittelalter dürften auch viele Rüstungen und Schwerter Schrott gewesen sein. Wie ist Verwertung zu dieser Zeit organisiert gewesen?
Auch wenn der Feudalismus keine Marktwirtschaft war, gab es durchaus marktwirtschaftliche Elemente. Wenn nach so einer Schlacht die Sieger nicht schon alles mitgeschleppt haben, was von Wert war, dürften umliegende Bauern, sofern sie die Kriegshandlungen überlebt haben, Schwerter oder ähnliches durchaus für die Herstellung landwirtschaftlicher Geräte umgenutzt haben. Stahl ist Stahl. Und dem Schmied ist wurscht, ob das vorher eine Rüstung war, ein Schwert, eine Lanzenspitze. Schwerter zu Pflugscharen, in echt.
Lebt jahrhundertealtes Metall dann heute noch in irgendwelchen Stahlträgern fort?
Pfff, das ist eine gute Frage. Stahl wurde vielfach eingeschmolzen und neu verwertet. Aber es dürfte recht schwierig nachzuweisen sein. Ich wüsste jedenfalls nicht, welchen Isotopentest man da machen könnte. Über die Jahrhunderte sind das ja Vermischungen im Promillebereich. Die Verwendung von Stahl ist seit dem 19. Jahrhundert explodiert und damit auch die Herstellung von neuem Stahl, also aus Roheisen, hat in Größenordnungen zugenommen, von denen das Mittelalter weit, weit entfernt war.
Ist Recycling im Zuge der Industrialisierung professioneller organisiert worden?
Nee. Das fing andersherum an. Mit Schrott- und Lumpensammlern. Kleidungsstücke wurden im Mittelalter und in der frühen Neuzeit erst von den Herrschaften getragen, dann umgeändert von minder Hochgestellten, bis sie irgendwann kurz vor dem Lumpen bei den ganz armen Leuten ankamen. Und was dann gar nicht mehr verwertbar war, wurde spätestens seit dem 17. Jahrhundert von Lumpensammlern an Papiermühlen verkauft. Papierherstellung aus dem Holz der Wälder ist ja eine relativ neue Entwicklung.
Als Universalgelehrter der nd.Redaktion weiß der Wissenschaftsjournalist Dr. Steffen Schmidt auf fast jede Frage eine Antwort – und wenn doch nicht, beantwortet er eben eine andere. Alle Folgen zum Nachhören auf: dasnd.de/schmidt
Und wie verlief dann die Entwicklung vom Lumpensammler zur BSR?
Die Sammelsysteme kommen erst mit dem Müllproblem auf. In München hat wohl um die letzte Jahrhundertwende erstmals ein Müllentsorgungsbetrieb versucht, alles zu verwerten. Was nicht unmittelbar verwertbar war, wurde verbrannt, um Prozesswärme für die anderen Verwertungsstufen zu gewinnen. Und die Aschen wurden dann für das damals noch hochgeschätzte Urbarmachen von sauren Wiesen und Mooren verwendet. Ansonsten wurde ein Großteil des Mülls, zumindest in dem ersten Jahrhundert nach der Industriellen Revolution, mehr oder minder ungeordnet deponiert.
Warum lässt sich eigentlich nicht alles recyceln?
In der Theorie könnte man alles recyceln, in der Praxis ist es zum Teil energetisch und fast immer ökonomisch nicht für alles sinnvoll. Will sagen: Wenn die Demontage eines Objekts aufwendig ist, dann müssen die Bestandteile beim Wiederverkauf so viel Geld bringen, dass es sich lohnt. Sonst macht das im Kapitalismus nun mal keiner. Das kippt nur in Notzeiten und in Kriegen.
Bedeutet Recycling immer Wertverlust?
Das ist die Frage mit dem sogenannten Upcycling. Recycling mit Wertgewinn ist nicht so mühelos zu erreichen. Allerdings muss es nicht zwangsläufig einen großen Wertverlust geben. Bei den meisten Metallen, wenn sie denn einigermaßen gut sortierbar sind, ist der vergleichsweise gering. Du hast eben nur den Verlust an Wert, der dem Metall einst durch die Verarbeitung zugesetzt ist. Der geht natürlich in die Binsen. Aber um noch mal auf deinen Kühlschrank zurückzukommen: Da gibt es eigentlich eine Regelung, die gar nicht mal so dumm ist. Ich wundere mich, dass du davon nicht Gebrauch gemacht hast: Beim Kauf eines neuen wird der alte Kühlschrank mitgenommen.
Aber nicht, wenn ich privat einen gebrauchten kaufe.
Dann nicht. Das heißt, du hast von einer gebrauchten Anlage, die sich nicht mehr so gut brauchen ließ, zu einer noch brauchbaren gebrauchten gewechselt. Das ist natürlich umweltmäßig nicht schlecht, aber ja, dann hast du das Problem des Abtransports an der Backe.
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