Angela Davis: Achtzig Rosen für eine Ikone

Zum 80. Geburtag der US-amerikanischen Bürgerrechtlerin Angela Davis

  • Volkmar Schöneburg
  • Lesedauer: 6 Min.
Angela Davis in einer Diskussionsrunde an der Brandeis University, Massachusetts
Angela Davis in einer Diskussionsrunde an der Brandeis University, Massachusetts

Ich war zwölf Jahre alt, da schickte ich wie Tausende andere eine Postkarte in die USA. Adressiert war sie an die Afroamerikanerin Angela Davis, inhaftiert in einem Frauengefängnis. Die mit einer roten Rose verzierte Postkarte war Bestandteil einer im Januar 1971 anlässlich ihres Geburtstages initiierten Solidaritätsaktion unter dem Motto »Eine Million Rosen für Angela Davis«.

Angela Davis wurde am 26. Januar 1944 in Birmingham, Alabama, geboren – eine Apartheid-Stadt, in der die afroamerikanische Bevölkerung einer rigiden Rassendiskriminierung und Segregation unterworfen war, Gewalt und Lynchjustiz alltäglich waren. Das Viertel, in dem ihre Familie lebte, erhielt wegen der vielen Bombenanschläge des Ku-Klux-Klan auf die Häuser der Armen, Schwarzen, den Beinamen »Dynamite Hill«. Begleitet waren die rassistischen Ausschreitungen von einem regional spezifischen Antikommunismus.

Diese Erfahrungen wie auch der politische Aktivismus der Eltern prägten die Heranwachsende. Mit 15 zog sie nach New York, wo sie auf Beschluss ihrer Familie ihren Highschool-Abschluss machen sollte. In diese Zeit fällt auch ihre erste Lektüre des »Kommunistischen Manifests«. Aus der marxistischen Klassenkampflehre erschloss sich für die junge Frau ein theoretischer Bezug zur selbst erlebten Unterdrückung. 1961 begann sie Französisch zu lernen, zwei Jahre darauf ging sie für ein Auslandsjahr an die Pariser Sorbonne.

Zurück in den USA besuchte sie Vorlesungen von Herbert Marcuse, der den Marxismus als kritische Theorie sah. Er avancierte zu ihrem intellektuellen Mentor. Seinem Einfluss ist es zu verdanken, dass Angela Davis, um Kant, Hegel und Marx besser zu verstehen, 1965 ein Philosophiestudium am Institut für Sozialforschung in Frankfurt am Main aufnahm. In jener Zeit besuchte sie auch mehrfach die DDR, unter anderem um sich die Marx-Engels-Werkausgabe zu kaufen. Die westdeutsche studentische Protestbewegung diente ihr als Inspirationsquelle bei der Formulierung einer praxisorientierten internationalistischen Kritik am kapitalistischen System und am US-Imperialismus.

Wieder in den USA schloss sich Angela Davis der Black-Power-Bewegung an, in der es reichlich ideologische Differenzen und politische Konflikte gab. 1968 wurde sie Mitglied der KP der USA und trat für ein Bündnis mit neuen radikalen linken Gruppen ein. In Form klassischer Graswurzelaktivitäten kam es zur Zusammenarbeit mit der Black Panther Party.

1969 übernahm Angela Davis als eine der ersten Afroamerikanerinnen eine Professur an der University of California, Los Angeles. Wegen ihrer politischen Aktivitäten wurde sie medial scharf angegriffen. Sogar der Gouverneur Kaliforniens, Ronald Reagan, später Präsident der USA, sagte ihr den Kampf an. Angela Davis verkörperte gleich mehrere Feindbilder des konservativen Amerikas: Kommunistin, Black-Power-Aktivistin, schwarze Feministin und Gegnerin des Vietnamkriegs! Damit war sie geradezu prädestiniert für die Rolle der Hassfigur der herrschenden weißen Eliten.

1970 engagierte sie sich im Fall der Soledad Brothers, drei afroamerikanische Gefangene im kalifornischen Gefängnis Soledad, die wegen eines angeblichen Mordes an einem Wärter angeklagt worden waren. Unter ihnen befand sich mit George Jackson eine Leitfigur des Widerstands der Black Panthers. Während einer Gerichtsverhandlung kam es zu einer missglückten Befreiungsaktion. Da dabei mitgeführte Waffen auf den Namen von Angela Davis registriert waren, wurde sie im August 1970 auf die FBI-Liste der zehn meistgesuchten Verbrecher der USA gesetzt. Am 13. Oktober 1970 folgte ihre Verhaftung. Vor laufender Kamera beglückwünschte Präsident Richard Nixon FBI-Chef Edgar Hoover zu ihrer Festnahme.

Es folgte, noch bevor die Anklage erhoben wurde, eine beispiellose öffentliche Vorverurteilung. Zugleich entflammte ein eindrucksvoller nationaler und internationaler Protest gegen das Vorgehen des Staates gegen die Black-Power-Aktivistin. Aretha Franklin, die Soul-Königin, bot sich an, die Kaution für eine Entlassung aus der U-Haft zu übernehmen. Franz Josef Degenhardt, John Lennon, die Rolling Stones und die DDR-Rockband Panta Rhei widmeten Angela Davis jeweils einen Song. Doch ein Großteil der US-Medien stilisierte sie zum Inbegriff des gewaltsamen Staatsfeinds. Die Anklage warf ihr Mord, Geiselnahme und »Verschwörung« vor, weshalb ihr bei einer Verurteilung in Kalifornien die Todesstrafe, vollstreckt in einer Gaskammer, drohte.

Der Prozess begann im März 1972. Auf der Geschworenenbank saß kein einziger Schwarzer. Das Gerichtsverfahren endete trotz des institutionellen Rassismus in der US-Justiz im Juni des Jahres mit einem Freispruch. Dazu beigetragen hat die einzigartige weltweite Solidaritätsbewegung, zu der auch die Postkartenaktion in der DDR gehörte. Angela Davis sieht noch heute darin ein Symbol, dass »die Macht der vielen« erreichen kann, was als unmöglich galt und gelten mag.

Wieder auf freiem Fuß stellte Angela Davis Fragen der rassistischen und politischen Unterdrückung im Kontext des Gefängnissystems der USA in das Zentrum ihrer Arbeit. Sie entwickelte sich zu einer bedeutenden Theoretikerin des Gefängnis-Abolitionismus, einer Bewegung, die die Abschaffung der Gefängnisse fordert. Nach ihrer Auffassung verfehlt die Käfighaltung von Menschen ihr vermeintliches Ziel der Resozialisierung oder Besserung der Inhaftierten. Die in den 80er Jahren in den USA beginnenden »Masseneinkerkerungen« haben sich so gut wie gar nicht auf die Kriminalitätsrate ausgewirkt. Weshalb Angela Davis immer wieder die wirtschaftliche, politische und ideologische Rolle von Gefängnissen hinterfragt. Sie sieht die neue »Lust am Strafen« im Kontext der globalen Entwicklung des Kapitalismus, der Deindustrialisierung der US-Wirtschaft und der Ausprägung des Neoliberalismus. Klassenzugehörigkeit und Rassismus bestimmen in erster Linie, wer in den Knast kommt. Rund 70 Prozent der etwa 2,5 Millionen Gefangenen in den USA sind People of Color.

Die Institution Gefängnis dient laut Angela Davis als Lagerstätte für Menschen, verwalte den Auswurf der kapitalistischen Gesellschaft. Zudem sind die zunehmend privtisierten Gefängnisse samt dem Outsourcen von dort nötigen Dienstleistungen an Privatkonzerne ein gewaltiges Profitgeschäft. Je größer die Gefangenenpopulation, desto größer die Profitrate.

Insofern spricht Angela Davis auch von einem »Gefängnisindustriellen Komplex«, um die Verflechtung von Einsperrung und Kapitalismus hervorzuheben. Der Ruf nach mehr Freiheitsstrafen blende tiefer liegende Probleme aus: Rassismus, Verarmung, Arbeitslosigkeit, Bildungsmangel, fehlende Gesundheitsfürsorge. Das entlaste wiederum die Politik, strukturelle Lösungen für sozioökonomische Probleme zu finden, die sich vielmehr darauf konzentriere, mit Law-and-Order-Versprechen Wahlkämpfe zu gewinnen.

Von dieser grundsätzlichen Position aus kritisiert Angela Davis den meist von weißen Frauen aus der Mittelschicht praktizierten »Strafrechtsfeminismus«, nach dem Strafverfolgung und Inhaftierung die Lösung beim Kampf gegen sexualisierte Gewalt sein sollen. Der »Strafrechtsfeminismus« verkennt zweierlei. Erstens: Gefängnisse sind ihrer Struktur nach totale Institutionen; der Vollzug einer Freiheitsstrafe bedeutet isolierte Existenz, autoritäre Regeln, Gewalt, Rechtlosigkeit, Verletzung der Menschenrechte. Gefängnisse reproduzieren Gewalt. Zweitens: Der »Strafrechtsfeminismus« trage allgemein zur Legitimation staatlicher Strafen bei. Angela Davis hält eine Gesellschaft ohne Gefängnisse für realistisch – »allerdings in einer neu gestalteten Gesellschaft, in der nicht Profite, sondern menschliche Bedürfnisse die Triebfeder sind«. Um diese Vision Wirklichkeit werden zu lassen, ist sie weiterhin in vielfältigen Initiativen aktiv, die die Machtstrukturen von unten aufbrechen sollen. Für sie sind das Bewegungen in Richtung Sozialismus.

Es dürfte nicht verwundern, dass Angela Davis auch aktiv in der Black-Lives-Matter-Bewegung unterwegs ist. Die tödliche Polizeigewalt gegen George Floyd und viele andere Schwarze ist für sie Ausdruck eines strukturellen Rassismus. Charakteristisch für sie ist das Zusammendenken unterschiedlicher Dimensionen von Unterdrückung – speziell von Race, Class und Gender. Ihr Ansatz heißt Intersektionalität. Eine Gegenüberstellung von Klassen- und »Identitätspolitik«, die hierzulande gerade eine linke Partei zerlegt, ist mit Angela Davis nicht zu machen. Symbolisch seien ihr zu ihrem heutigen Geburtstag 80 Rosen über den Atlantik geschickt.

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