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Demos gegen rechts: Die Mutbürger
Sheila Mysorekar über Medien, die den Rechtsruck in Deutschland zu lange verharmlost haben
Schon lustig, wie all diese Leute, die jahrelang der AfD hinterher gehechelt sind, aktuell in Erklärungsnot kommen. Jahrelang repräsentierten für die meisten Medien rechtskonservative Kleinbürger »das Volk«. Egal, welche rechtsradikalen und rassistischen Meinungen sie vertraten – in Funk und Fernsehen wurden sie permanent interviewt. Man müsse die Menschen abholen, so hieß es, die Sorgen und Nöte der Wutbürger anhören, und vor allem ganz viel Verständnis dafür haben, wenn sie Faschisten wählen. Sie fühlten sich ja frustriert und »überfremdet« und von der Politik ignoriert. Dann werde man halt zum Rechtsextremen, das sei eine ganz natürliche Entwicklung. Den »hart arbeitenden Menschen der Mitte« wurde zugestanden, sich zu radikalisieren, solange es Richtung Rechtsaußen ging.
Auf einmal sieht »das Volk«, also »die Mitte«, ganz anders aus. Tag für Tag gehen hunderttausende Menschen in ganz Deutschland auf die Straße und protestierten gegen die AfD, gegen ihre Deportationspläne, gegen eine Neuauflage des Faschismus. Familien mit Kindern, Senioren, Menschen mit und ohne Migrationsgeschichte und ganz viele junge Leute. Über zwei Millionen Menschen innerhalb anderthalb Wochen.
Jetzt geraten einige Medienhäuser in Erklärungsnot. Ihr übliches Portrait der Mitte der Gesellschaft erweist sich gerade als simples Vorurteil. Also berichten sie nur über manche Aspekte der Proteste. Diese selektive Wahrnehmung wird deutlich, wenn man die Titelblätter von Zeitungen miteinander vergleicht. Zum Beispiel vom vorletzten Sonntag, also von dem Wochenende im Januar, als die Massendemonstrationen gegen rechts landesweit begannen.
Sheila Mysorekar ist Vorsitzende der Neuen Deutschen Organisationen, einem Netzwerk postmigrantischer Organisationen. Für »nd« schreibt sie die monatliche Kolumne »Schwarz auf Weiß«. Darin übt sie Medienkritik zu aktuellen Debatten in einer Einwanderungsgesellschaft.
Der »Kölner Stadtanzeiger« titelte »Protestwelle gegen Rechtsextreme«, soweit klar. Die »Frankfurter Allgemeine Zeitung« übersprang die Massendemonstrationen und fragte auf der Titelseite direkt: »Könnte man die AfD überhaupt verbieten?« Der »Kölner Express« titelte »Demos gegen Rechts – Wüst sagt Danke«. Eigentlich marschierten die Leute ja nicht dem NRW-Ministerpräsidenten zuliebe, aber immerhin gab es ein Foto einer unübersehbaren Masse von Menschen. Ein ähnliches Foto sah man auch auf der Titelseite der »Wochen-Taz« mit der Schlagzeile »Da geht noch mehr«. An demselben Wochenende hatte die »Rheinische Post« zwei große Themen auf dem Titelblatt – Beckenbauer und die Grundsteuer. Und der Aufmacher der Bild-Zeitung? »Karl Lauterbach: Neue Liebe!«
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Letzteres ist das mediale Äquivalent von Kindern, die sich die Ohren zuhalten und laut singen »Lalala, ich höre nichts!« Wie lange wollen Medienhäuser die antifaschistischen Massenproteste ignorieren, wenn die Leute nur aus dem Fenster schauen brauchen, um Tausende ihrer Mitmenschen auf der Straße zu sehen?
Die Berichterstattung zeigt auch andere Schwächen auf, die nicht neu sind. Medien sollten beispielsweise diejenigen Wähler*innen zu Wort kommen lassen, die trotz einer persönlich schwierigen wirtschaftlichen Lage der AfD keine Proteststimme geben, sondern stabil die Demokratie unterstützen. Warum hören wir so wenig von ihnen?
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Wie man ethnische und religiöse Minderheiten schützen kann, die von den Rechtsextremen ernsthaft bedroht sind, ist ebenfalls kaum ein Thema. Fast ein Drittel der Bevölkerung in Deutschland hat eine internationale Familie. Dass Millionen von Menschen verunsichert sind, dass sie Angst vor einem Wahlsieg der AfD haben, sich möglicherweise schon überlegen, das Land zu verlassen, muss auch gehört werden. Auch wir sind Bürger*innen dieses Staates, auch wir müssen geschützt werden. Wir sind die erste Zielscheibe der Rechtsextremen.
Immerhin, die schweigende Mehrheit spricht sich nun in aller Deutlichkeit gegen die Faschisten aus. Respekt vor den echten Mutbürgern, die in kleinen, von Nazis beherrschten Orten trotzdem auf die Straße gehen. Bei der letzten großen Anti-AfD-Demo in Köln trug jemand ein Schild mit der Aufschrift: »Egal wie Volk ihr seid – wir sind Völker!« In diesem Sinne: Mit unserem Volk gegen die Völkischen.
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