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Ja, Panik: »Wir glauben an den ersten Moment«
Innen interessiert nur, wenn das Außen interessiert: »Don’t play with the rich kids« heißt die neue Ja, Panik. Ein Gespräch mit Sänger Andreas Spechtl
Das neue Album von Ja, Panik sei die »Rückkehr als Indie-Rock-Band«, heißt es in der Pressemitteilung. Ich hatte den Eindruck, dass Sie mit dem Konzept Rock- bzw. Gitarrenmusik schon lange abgeschlossen hätten.
Man bewegt sich über die Jahre immer in verschiedenen Phasen. Unsere letzte Platte »Die Gruppe« von 2021 war ein total durchproduziertes Album, das wir auch erst anderthalb Jahre nach der Fertigstellung live spielen konnten. Das war schon ein besonderer Moment, nach so langer Pause das erste Mal wieder zusammen auf der Bühne zu stehen. Aus der Freude, uns wieder als Band zu haben, und der daraus resultierenden Energie ist dann innerhalb kurzer Zeit diese neue Platte entstanden. Auch wenn das neue Album sehr gitarrenlastig ist: Was mich an Gitarrenmusik schon seit langer Zeit nicht mehr interessiert, ist diese Behauptung, dass alles wahnsinnig authentisch ist. Und diesen Gedanken haben wir auf der neuen Platte versucht zu unterwandern.
Inwiefern?
Indem wir viel mit Künstlichkeit gespielt haben. Das Stück »Dream 12059« etwa hat ein wildes Gitarrensolo, das wir aber etliche Male durch verschiedene Verstärker geschickt und mit lauter Effekten belegt haben, sodass am Ende nur noch noisiger Wall of Sound bleibt. Diesen Ansatz gibt es auf dem Album häufig.
Was nervt Sie denn an den sogenannten authentischen Rockbands?
Ich glaube, dass diese Erzählung, dass alles handgemacht ist, einfach nicht stimmt. Aber die stimmt bei vielen Leuten nicht. Mich interessiert ein anderer Zugang zu Kunst: wenn sie in die Irre führt, Abzweigungen nimmt oder Dinge verfremdet.
Ich finde, die neue Platte klingt im Gegensatz zu den früheren Alben milder – und auch offener.
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Zumindest Letzteres haben wir uns im Vorfeld auch vorgenommen. Es hat uns vor unserer langen Pause irgendwie total blockiert, dass alles immer so lange dauert. Man geht uns Studio, es wird alles durchdacht, und im nächsten Moment wird alles wieder infrage gestellt. Und dieses Mal haben wir uns eben vorgenommen: Wir gehen raus, schießen das Ding einfach so hin und lassen uns von den Leerstellen und den vielfältigen Interpretationsmöglichkeiten selbst überraschen. Wir glauben an den ersten Moment, und davon zeugt diese Platte. In der Vergangenheit haben wir Stücke oft so lange geändert, bis von der ursprünglichen Idee am Ende nichts mehr übrig blieb, was dann darin resultierte, dass sich Songs zum Zeitpunkt des Erscheinens emotional total weit weg angefühlt haben.
Ich glaube, dass sich der Blick der Band nun wieder mehr nach innen richtet, wodurch das neue Album zumindest von den Texten her intimer wirkt.
Das könnte man zum Beispiel auch über unser Album »DMD KIU LIDT« von 2011 sagen. Es gibt verschiedene Ja, Panik-Phasen. Was mich am meisten interessiert: über eine behauptete Figur etwas über den Zustand der Welt zu erfahren. Manchmal ist die Figur wichtiger und manchmal die Welt. Insofern stimmt das mit dem Blick nach innen. Aber der Blick nach innen interessiert mich eben nur, insofern ich dadurch auch etwas über das Außen erfahren kann.
Im Stück »Kung Fu Fighter« heißt es ja auch: »Immer wieder glaube ich/ I found myself/ Und dann bin ichs wieder nicht.« Insofern spielen Sie ja auch mit dem Gedanken, den Blick nach innen zu richten, um im nächsten Moment das imaginierte Selbst wieder über den Haufen zu werfen. Und das kann ja auch reizvoll sein.
Ja, es kann reizvoll sein, und in einem größeren Zusammenhang lässt es sich natürlich auch in den systemischen Selbstfindungsdrang einordnen, dem zufolge man schon als junger Mensch wissen muss, wer oder was man ist und sein will.
Erst hat die Band in Wien und später in Berlin gelebt – da war in den Texten immer eine starke Antipathie gegenüber den beiden Städten zu vernehmen. Mittlerweile wohnen Sie in Cordoba. Werden Sie es dort länger aushalten?
Ich bin hier eigentlich nur gelandet, weil meine Partnerin hier an der Universität arbeitet. Das Angenehme ist, dass es ein Ablaufdatum gibt, da das Ganze auf vier Jahre begrenzt ist. Insofern ist es schon eine andere Beziehung zur Stadt als damals in Wien und Berlin. Die Zeit ist zu lang, um nicht anzukommen, und zu kurz, um sich überhaupt Gedanken darüber zu machen, ob ich unbedingt wieder wegwill.
Generell sind Städte ein zentrales Thema in Ihrem Schaffen. Nach Wien, Berlin und Antananarivo, der Hauptstadt Madagaskars, besingen Sie nun im Abschlusssong des neuen Albums das argentinische Ushuaia, das auch als »Stadt am Ende der Welt« bekannt ist. Was muss ein Ort mitbringen, damit er als Thema für Ja, Panik interessant ist?
Was mich zunehmend interessiert, wenn ich unterwegs bin, sind Geschichten, die nur halb stimmen. Was speziell Ushuaia für mich so besonders macht, ist die Tatsache, dass es der ultimative Grenzort für mich ist. Vielleicht liebe ich solche Orte auch, weil ich selbst in einem 300-Einwohner-Dorf in Österreich aufgewachsen bin, von wo aus man fußläufig sowohl die Slowakei als auch Ungarn erreichen kann. In den 80er Jahren war also der Eiserne Vorhang praktisch direkt vor unserer Haustür. Was diese Orte so interessant macht, ist, dass Kategorien wie Sprache, Landschaft oder Kultur gar keinen Sinn mehr ergeben, da sie sich teils auflösen und Mischverhältnisse eingehen. Bei Ushuaia ist es ähnlich: In der Literatur gilt es als Feuerland, als Ende der Welt, dahinter gibt es nur noch die Antarktis, das ewige Eis. Aber ich war eben noch nie dort, genauso wenig wie in Antananarivo.
Ich habe den Eindruck, dass Sie über Orte, an denen Sie noch nie waren, viel versöhnlicher schreiben als über die Orte, die Sie gut kennen.
Absolut, und da sind wir auch wieder ein bisschen am Anfang unseres Gespräches. Denn wenn man einen großen Teil Fiktion und Lüge mit einbaut, dann verwischen ja auch wieder die Grenzen, sodass man nicht am Ende vor einem Bild steht und glaubt, wahnsinnig viel über die schreibende Person zu erfahren. Davor habe und hatte ich immer große Angst.
Ab 2015 waren Ja, Panik über fünf Jahre inaktiv. In der Zeit haben Sie drei Soloalben veröffentlicht. Was bedeutet Ihnen die kollektive Arbeit mit der Band heute?
Ich glaube, die Pause war für uns alle total wichtig. Wir haben ja bereits in Wien in einer WG gelebt. Den Großteil der Band kenne ich, seit ich ein Teenager war. Später sind wir dann in einem Ford Transit nach Berlin gezogen, wo wir eigentlich alle Platten vor der Pause in unserer WG aufgenommen haben. Ich bin rückblickend schon ein wenig stolz, dass wir es dann geschafft haben, dieses vorläufige Ende einzuleiten, ohne dass es zu riesigen Zerwürfnissen in der Band kam. Die Pause haben wir alle auf unsere Weise für verschiedene Projekte gut genutzt. Ja, Panik gab es aber immer, als Freundeskreis und Familie. Wir haben nun ein Konstrukt gefunden, mit dem es einige Jahre weitergehen kann. Vielleicht wird man irgendwann wieder an einem Punkt sein, an dem man bestimmte Vorzeichen ändern muss. Es ist ja irgendwie auch gut, sich immer mal wieder den Boden unter den Füßen wegzuziehen und sich dadurch selbst ein bisschen zu verunsichern. Man sollte sich nie allzu sicher sein in dem, was man macht.
Mittlerweile sind mit Laura Landergott und Rabea Erradi zwei Frauen Teil von Ja, Panik. Würde die Band – oder die Gang, wie sie sich früher bezeichnet hat – heute im Kontext einer zum Glück deutlich gewachsenen, gesamtgesellschaftlichen Gender-Sensibilisierung überhaupt noch funktionieren als reine »Männerband«?
Also eine Gang sind wir so oder so – das würde ich nicht an die Geschlechtlichkeit koppeln. Aber klar, ich bin sehr froh, dass wir heute in einer Zeit leben, in der es zunehmend weibliche oder nichtmännliche Role Models gibt. Wir sind in einer Zeit auf dem österreichischen Land groß geworden, in der das leider noch nicht so war. Als irgendwann zwei unserer Mitglieder ausgestiegen sind, war aber klar für uns, dass männliche Musiker nicht unsere ersten Ansprechpartner sind. Ich bin ein Verfechter von Quoten.
Ja, Panik: »Don’t play with the rich kids« (Bureau B)
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