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Medien über Streiks: Fußhupe des Kapitals
Olivier David über die Streikberichterstattung deutscher Medien
Ein Sonntagnachmittag, Anfang Februar. Mein Schwiegervater in spe sitzt am Küchentisch. Es geht um Formulierungen, die er nicht mehr hören kann. Thema: die aktuellen Streiks und die Berichterstattung der Medien. »Druck machen«, grummelt er vor sich hin, die »Süddeutsche Zeitung« oder die »Rheinische Post« vor der Brust. Oder beide zusammen. »Journalisten, die diese Formulierung benutzen, machen sich mit den Gewerkschaften gemein.« Ich erwidere lachend, dass ich mir einen derartigen Journalismus wünsche, der sich mit den Interessen der Gewerkschaften gemein macht. So sehr er in diesem Fall recht haben mag, so sehr ist in der bürgerlichen Presse vor allem ein ganz anderes Phänomen auszumachen.
Ein Test: Stammt folgende Aussage aus der Politik oder aus der Feder eines Journalisten? »Claus Weselsky missbraucht seine Macht.« Auflösung: Der Kommentar stammt von einer Journalistin des RND. Nächster Versuch: »Die GDL überzieht mit dem Sechs-Tage-Streik.« Diesmal ist es der Kommentar von einem Journalisten des NDR. Zum Vergleich: Der CDU-Generalssekretär Carsten Lindemann bezeichnete den Bahn-Streik Ende Januar als »nicht verhältnismäßig«. Und FDP-Verkehrsminister Volker Wissing nannte das »Verhalten der GDL unakzeptabel«.
Mit solchen Beispielen könnte ich noch drei oder auch fünf Absätze weitermachen, die Stoßrichtung aber dürfte klar sein: Nicht nur ist der Journalismus der Mitte gegen die Interessen weiter Teile der Bevölkerung gerichtet, es ist oft auch kein Unterschied zu machen, zwischen dem, was die führenden Politiker*innen sagen, und dem, was der bürgerliche Journalismus schreibt.
Olivier David ist Autor und Journalist. 2022 erschien sein erstes Buch »Keine Aufstiegsgeschichte«, in dem er autobiografisch den Zusammenhang von Armut und psychischen Erkrankungen reflektiert. Bevor er mit 30 den Quereinstieg in den Journalismus schaffte, arbeitete er im Supermarkt und Lager, als Kellner und Schauspieler. David studiert in Hildesheim literarisches Schreiben. Für »nd« schreibt er in der 14-täglichen Kolumne »Klassentreffen« über die untere Klasse und ihre Gegner*innen. Alle Texte auf dasnd.de/klassentreffen.
Da, wo ich herkomme – gemeint ist hier weder ein Teil Deutschlands, noch ein anderes Land, sondern vielmehr eine soziale Position in unserer Gesellschaft, die von weit unten auf das schaut, was »die da oben« machen – nennt man eine derartige Berichterstattung Kampagnenjournalismus. Sollnse doch allesamt direkt Pressesprecher der Regierungsparteien werden, möchte man ihnen zurufen. Denn wer die Interessen der Konzerne und ihrer Chefs in den Mittelpunkt seiner Argumentation stellt, dem nimmt man die Erklärung, sich um das Wohl der vielen liegengebliebenen Fahrgäste zu sorgen, nicht länger ab.
Damit der Pöbel-Anteil dieses Textes nicht allzu sehr die Überhand gewinnt, hier der linke Teil des journalistischen Spektrums. Die »taz« titelt: »Gute Konjunktur für Arbeitskämpfe.« Das »nd« schreibt: »Die DB ‚trickst und täuscht‘«. Und die »junge Welt«: »GDL macht Ernst«; eine Zeile weiter unten ist von einem »Scheinangebot« der Konzernspitze die Rede.
Falls nach dieser Einschwörung noch Unklarheiten herrschen, warum die Menschen in diesem Land auf eine linke Presselandschaft angewiesen sind, dann lasst mich sagen: Linke Medien machen eigentlich das, was Aufgabe aller Presse sein sollte. Die Interessen der Menschen in den Vordergrund zu stellen, denen die Möglichkeiten fehlen, sie von alleine durchzusetzen.
Solange der bürgerliche Medienbetrieb oft nichts anderes ist als die Fußhupe des Kapitals, so lange – und das werde ich meinem Schwiegervater in spe bei Gelegenheit sagen – gilt es zu schreiben, dass »Gewerkschaften Druck machen«. Denn sonst macht es ja keiner.
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