Gänzlich ohne Trigger-Warnung

»Erzählung zur Sache« – Ein Roman von Stephanie Bart über die Rote-Armee-Fraktion

  • Peter Nowak
  • Lesedauer: 3 Min.

Eigentlich hat die Rote-Armee-Fraktion (RAF) in der letzten Zeit fast nur noch Historiker*innen interessiert. Doch jetzt zieht die Geschichte der Stadtguerilla, die sich 1998 auflöste, viele Menschen zu Lesungen in Buchläden oder Kunsteinrichtungen. Dafür sorgt der Roman »Erzählung zur Sache« von Stephanie Bart. Die 1965 in Esslingen am Neckar geborene und heute in Berlin lebende Schriftstellerin hatte mit ihrem zweiten Roman, 2016 unter dem Titel »Deutscher Meister« erschienen, auf sich aufmerksam gemacht. Sie schrieb damals über den Boxer Johann Rukelie Trollmann, dem die Nazis erst seine Titel und dann seine Freiheit nahmen, weil er als Sinto nicht in ihre Rassenideologie passte. Eine Pionierarbeit in literarischer Geschichtsaufklärung – was man auch von ihrem neuen Buch sagen kann.

In diesem nutzt sie Erklärungen und Schriften der RAF sowie Einlassungen ihrer Protagonist*innen bei Gerichtsverhandlungen als Grundlage der Reflexion. Die studierte Politologin beweist tiefgründige Kenntnis der seinerzeitigen antiimperialistischen Szene. Sie hat in Hamburg studiert, einer Hochburg der radikalen Linken damals und noch heute. Die Autorin kennt die Debatten, die Kritik an den Inhalten von RAF-Erklärungen wie auch an deren komplizierter, schwer verständlicher Sprache in linken Kreisen. Im Roman liest man: »Natürlich hätte die Rote Armee Fraktion, anstatt jedes Gespräch mit Gleich- und Ähnlichgesinnten im Keim zu ersticken, sprechen lernen, zusammenarbeiten und auch mal Erklärungen schreiben können, die man gerne las.«

Ein Kapitel beginnt mit dem Tod des RAF-Gefangenen Holger Meins infolge seines Hungerstreiks 1974. Stephanie Bart setzt sich hier mit Vorwürfen auseinander, der Gefangene habe seinen Tod selber verschuldet: Er hätte ja essen können. »Natürlich hätte er essen können. Natürlich hätten sie die Isolation aufheben können.«

Der Roman gleicht einem faktenreichen Geschichtsbuch. Akribisch, bis fast ins kleinste Detail werden einige Anschläge der RAF, die Verhaftungen mehrerer ihrer Mitglieder, die kontroversen, teils heftigen Diskussionen unter den Gefangenen und die mühsame Prozessführung im Bunker des Hochsicherheitsgefängnisses in Stuttgart geschildert. Besonders für jüngere Leser*innen dürfte das Buch sehr aufschlussreich sein, ihnen helfen, einen eigenen Zugang zu diesem dramatischen Kapitel deutscher Nachkriegszeit zu finden. Aber auch für ältere Leser*innen, die sich vielleicht noch an die Jahre erinnerten, als in sämtlichen Bahnhöfen die Steckbriefe mit den Konterfeis der gesuchten RAF-Mitglieder hingen, werden den Roman durchaus mit Erkenntnisgewinn lesen. Eine Geschichtsstunde im literarischen Gewand.

Zu erfahren ist unter anderem auch, wie die Gefangenen um die minimalsten Rechte vor Gericht kämpfen mussten, wie ihre Anwälte*innen kriminalisiert und nicht selten selbst verhaftet wurden. Da bekommt man einen etwas anderen Blick auf den Rechtsstaat Bundesrepublik, der heute oft auch von manchen Linken verklärt wird. Den Behauptungen von Politiker*innen, es habe nie Isolationshaft gegeben, stellt Stephanie Bart Zitate aus Gutachten und Untersuchungen von Menschenrechts- und Ärztevereinigungen gegenüber. Darin sind sachlich die gesundheitlichen Schäden geschildert, die jene extremen Haftbedingungen verursachten.

Nein, der Roman verteidigt Gewalt nicht, weder von der einen noch der anderen Seite. Statt einer Trigger-Warnung stellt die Autorin zu Beginn ihres Buches klar: »Alle in diesem Roman enthaltenen strafrechtlich relevanten Beleidigungen und Verunglimpfungen von Personen der Zeitgeschichte, lebenden oder toten, sowie Aufforderungen zu strafbaren Handlungen, und was sonst nach Strafgesetzbuch strafbar ist, sind entweder, dem literarischen Verfahren entsprechend, nicht gekennzeichnete wörtliche oder bearbeitete Zitate der RAF oder repräsentieren deren Position.«     

Stephanie Bart: Erzählung zur Sache. Roman. Verlag Secession, 678 S., geb., 28 €.

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