Sozialpolitik: Wer wird ärmer?

Die Ampel-Koalition will die Schuldenbremse einhalten und mehr Geld für Rüstung ausgeben. Das Soziale wird zunehmend zum Problem erklärt

  • Eva Roth
  • Lesedauer: 5 Min.
Ampel – Sozialpolitik: Wer wird ärmer?

Nach ihrem Amtsantritt hat die Ampel-Koalition einige Verbesserungen für Menschen mit geringen Einkünften beschlossen und beispielsweise den Mindestlohn auf zwölf Euro erhöht. Dadurch hatten Beschäftigte 2023 Anspruch auf rund 15 Prozent mehr Gehalt als im Vorjahr. Auch das Bürgergeld hat die Regierung zuletzt zweistellig erhöht und die bürokratischen Vorschriften zugunsten der Menschen etwas gelockert. Doch nun hat die Ampel wieder Kürzungen beschlossen und weitere Einschnitte gefordert. Die Spardebatte ist wieder in vollem Gange. Wozu das führen kann, zeigt ein Blick in die Vergangenheit.

»Der 24. Februar 2022 markiert eine Zeitenwende in der Geschichte unseres Kontinents«, sagte Kanzler Olaf Scholz vor zwei Jahren mit Blick auf den russischen Angriff auf die Ukraine. Er begründete damit den 100-Milliarden-Fonds für die Bundeswehr und seinen Plan, die Militärausgaben dauerhaft zu erhöhen auf »mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts«.

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Im Spätsommer 2023 rief dann Finanzminister Christian Lindner eine »finanzpolitische Zeitenwende« aus. Dazu gehört für ihn insbesondere, die Schuldenbremse einzuhalten und die Staatsverschuldung zurückzufahren. Ausgaben, auch für Investitionen, sollen in der Regel durch Einnahmen gedeckt sein. Um die »Standortbedingungen für Unternehmen« zu verbessern, sollen sie weniger Steuern zahlen müssen. All das schränkt den finanziellen Spielraum der Politik ein, weshalb laut Lindner eine »Priorisierung« umso wichtiger ist. Vorrang beim staatlichen Mitteleinsatz sollen »Zukunftsausgaben« haben, zu denen der FDP-Politiker ein schnelles Internet und den Ausbau des Straßen- und Schienennetzes zählt.

Und wenn das Bundeswehr-Sondervermögen aufgebraucht ist?

Höhere Sozialausgaben, insbesondere aufgrund der Bevölkerungsalterung, nennt er hingegen eine »Belastung«. Sie schränkten die Möglichkeit ein, Geld für die »Zukunftsfähigkeit Deutschlands« auszugeben. Daher sei es geboten, »die Steigerung der Sozialausgaben unter Kontrolle zu bringen«. Konkret fordert er zum Beispiel, das Bürgergeld im kommenden Jahr nicht zu erhöhen, was real eine Kürzung bedeuten würde. Gesetzt ist für Lindner hingegen, dass die Militärausgaben steigen müssen.

Die Verhandlungen über den Bundeshaushalt 2024 vermitteln einen ersten Eindruck, was aus all dem folgt. Beschlossen sind nunmehr beispielsweise Kürzungen bei den Steuerzuschüssen für die Renten- und Pflegeversicherung sowie beim Bürgergeld. Dabei ist für Lindner dieser Haushalt nur ein »Auftakt für weitere Anstrengungen«.

Anders formuliert: Die Verteilungskämpfe werden härter, wenn die Ampel bei ihrem Kurs bleibt. So erwartet die Bundesregierung, dass das 100-Milliarden-Sondervermögen für die Bundeswehr 2027 aufgebraucht ist. Danach will Lindner die höheren Rüstungsausgaben offenbar aus dem regulären Haushalt finanzieren. Irgendwo muss dann gespart werden.

Um eine Vorstellung von der Größenordnung zu bekommen: Im laufenden Jahr sind rund 20 Milliarden Euro aus dem Bundeswehr-Sondervermögen eingeplant. Wenn ein Betrag in dieser Größenordnung künftig aus dem Bundeshaushalt fließen soll, ist das ein enormer Zusatzposten. 20 Milliarden Euro – das entspricht 75 Prozent der gesamten aktuellen Ausgaben des Bundes für Bürgergeld-Regelsätze. Auch im Vergleich zu den Gesundheitsausgaben ist das viel Geld: Die Summe ist deutlich höher als die gesamten Bundeszuschüsse an die gesetzliche Krankenversicherung.

Streit um die Rente

Und so werden Forderungen nach sozialen Einschränkungen lauter. Neben dem Bürgergeld wird insbesondere die Finanzierbarkeit der Rente infrage gestellt. So plädiert die Mehrheit des Wirtschafts-Sachverständigenrats wie andere Ökonomen für eine Erhöhung des Renteneintrittsalters. Das lehnt Arbeitsminister Hubertus Heil derzeit ab, er will zudem das Rentenniveau bis Ende der 2030er Jahre bei 48 Prozent des Durchschnittsentgelts halten. Noch im Februar will er dazu Vorschläge machen – und wird vom »Spiegel« zum Buhmann erklärt: »Seit Jahren kümmert sich Hubertus Heil mehr um soziale Wohltaten als um Arbeitsplätze. Das wird nicht mehr lange gut gehen«, orakelt der »Spiegel« und bemängelt, dass Heil auf ein »Zeitenwende-Moratorium für die Sozialpolitik« poche.

Besonders im Visier der Sparfraktion ist auch die abschlagsfreie Rente für Beschäftigte, die mindestens 45 Beitragsjahre nachweisen können und älter als 64 Jahre sind, also die sogenannte Rente mit 63. Ökonomen verlangen ebenso wie Kommentatoren und Politiker von CDU und FDP ihre Abschaffung.

Die Argumente für soziale Einschränkungen sind oft ähnlich: Erstens »belasteten« Sozialleistungen die öffentlichen Haushalte und via Beiträge auch Beschäftigte und Unternehmen. Zweitens hielten sie Menschen davon ab, mehr oder länger erwerbstätig zu sein. Das wiederum schade dem Wirtschaftswachstum. Dass viele Beschäftigte kürzer arbeiten möchten, ist in dieser Sichtweise ökonomisch unbotmäßig.

Erinnerung an die Agenda-2010-Debatte

»Wir sind wieder in einer Situation angekommen, in der das Soziale verantwortlich gemacht wird für wirtschaftliche Wachstumsschwäche«, sagt der Sozialforscher Gerhard Bäcker von der Uni Duisburg-Essen. Ihn erinnert das an die Debatte nach der Jahrtausendwende, die zur Agenda 2010 führte. Damals kam zur schwächelnden Wirtschaft eine hohe Arbeitslosigkeit hinzu, mit der die Hartz-Reformen begründet wurden. Heute sind die Zusatz-Gründe die Schuldenbremse und die Militärausgaben.

»Wir werden ärmer, weil wir kein Wachstum haben«, sagte Lindner diese Woche. Doch im wirklichen Leben wird der Wohlstand nicht schön gleichmäßig verteilt. So ist die Wirtschaft nach dem Start der Agenda 2010 zwischen 2004 und 2008 kräftig gewachsen – und die Reallöhne der Beschäftigten sind beständig gesunken. Umgekehrt ist im vorigen Jahr ist das Bruttoinlandsprodukt leicht geschrumpft – gleichzeitig ist der Mindestlohn auch real gestiegen und die Zahl der Niedriglohnjobs ist bis April 2023 um 1,1 Millionen gesunken.

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