Rückkehrer in den Pflegeberuf gesucht

Ein Modellprojekt in Bremen will mit besseren Arbeitsbedingungen Ex-Kollegen zurückholen

Ehemalige Pflegekräfte kehren zurück in ihren Beruf: Das könnte ein Teil der Lösung der aktuellen Personalkrise in dem Bereich sein. Die Idee davon zirkuliert schon länger. Jenseits von politischen Sonntagsreden und Anstrengungen einzelner Personalabteilungen versuchten bereits vor drei Jahren Wissenschaftler und zwei bundesweit einzigartige Arbeitnehmerkammern (aus dem Saarland und Bremen) der Frage auf den Grund zu gehen. »Ich pflege wieder, wenn…« war ihre Studie übertitelt. Nach deren Ergebnissen wären bundesweit 300 000 zusätzliche Vollzeit-Pflegekräfte zurückzugewinnen, wenn sich die Arbeitsbedingungen grundsätzlich verbessern würden. Allein in Bremen wären es 1500 ausgebildete Pflegekräfte mit Berufserfahrung.

Die Arbeitnehmerkammer Bremen hat jetzt ein dazugehöriges Modellprojekt mit dem »Ich pflege wieder, weil...« gestartet, das in der letzten Woche in der Freien Hansestadt vorgestellt wurde. Das Krankenhaus St. Joseph-Stift hat sich dafür mit seinen beiden geburtshilflichen Stationen gegen mehrere Bewerber durchgesetzt. Ziel ist es, mit einer Verbesserung der Arbeitsbedingungen zusätzliche Pflegekräfte und Hebammen zu gewinnen – nicht nur Berufsaussteiger. Zu überzeugen wären auch Menschen, die ihre jetzige Arbeitszeit vielleicht aufstocken würden.

Was kann diesen Fachkräften nun im Rahmen des Projekts geboten werden? Nach einer Analyse der Situation im Kreißsaal und auf der Wöchnerinnenstation werden dort die jetzigen Beschäftigten befragt – »zu aktuellen Problemen in der Arbeit und nach Vorschlägen dafür, wie Abhilfe geschaffen werden könnte«, erklärt Elke Heyduck, Geschäftsführerin der Arbeitnehmerkammer gegenüber »nd.DerTag«. Betriebsvereinbarungen zur Personalbemessung und zum Ausfallmanagement sollen dann entsprechend angepasst werden.

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Bundespolitisch ist eine neue Pflegepersonalregelung –kurz: PPR 2.0 – zwar schon auf dem Weg, wird aber nur langsam und schrittweise eingeführt. Damit sollen die bisherigen Personaluntergrenzen abgelöst werden. In diesem Jahr müssen die Krankenhäuser ihren Personalbedarf hier nach neuen Vorgaben erfassen, ab 2025 soll die Anwendung der PPR 2.0 verpflichtend sein. Das St. Joseph-Stift muss sich dieser Aufgabe also ohnehin stellen, kann aber vermutlich im Rahmen des Projekts mehr daraus machen. Im Bund nicht vorgesehen ist eine Personalbemessung für Hebammen, die es im Projekt aber geben wird.

Neben flexiblen Dienstplänen, Fortbildungskonzepten, Schulungen für Führungskräfte und Supervisionen zur Gesunderhaltung wird es für Rückkehrer und Auszubildende sogenannte Onboardingprogramme geben. Diese dienen einer guten Einarbeitung. Heyduck zufolge haben ehemalige Beschäftigte fast schon Angst, erneut in der Pflege anzufangen. »In wenigen Jahren ändert sich dort viel. Manche Rückkehrer haben in der Praxis den Eindruck, dass jede Frage eine zu viel ist«, so die Frau von der Arbeitnehmerkammer. »Es gibt einen regelrechten Praxisschock, auch bei Azubis.«

Im weiteren Verlauf des Projekts, das auf vier Jahre angelegt ist, werden ehemalige Beschäftigte des St. Joseph-Stifts dazu befragt, unter welchen Bedingungen sie zurückkehren würden. Die Arbeitnehmerkammer kontaktierte auch schon die Agentur für Arbeit, um weitere Kandidatinnen und Kandidaten zu finden.

Limitiert ist das Projekt vor allem dadurch, dass keine zusätzlichen Vergütungen angeboten werden können. Zwar ist das eine der Bedingungen für viele zuvor in der Studie befragten Pflegekräfte, andererseits wäre eine andere starke Motivation zur Rückkehr, wieder so zu arbeiten, wie sie es einmal gelernt haben. Auch wenn es sich bei dem Projektort um einen kirchlichen Träger handelt, wäre der Kampf um bessere Vergütung dadurch nicht prinzipiell ausgeschlossen.

Auch ohne diesen Faktor hoffen die Beteiligten und Förderer des Projekts auf seine Wirkung im städtischen Umfeld: »Ich setze darauf, dass die Erkenntnisse aus diesem Modellprojekt zu Verbesserungen an allen Kliniken und Pflegeeinrichtungen im Land Bremen führen werden«, sagte Claudia Bernhard, Senatorin für Gesundheit, Frauen und Verbraucherschutz im Stadtstaat.

Voraussetzung für das Projekt war indes nicht nur die vorhergegangene Studie, sondern auch, dass Landesmittel und Mittel des Europäischen Sozialfonds Plus in Höhe von 1,2 Millionen Euro zur Verfügung gestellt werden. Die Arbeitnehmerkammer Bremen finanziert die wissenschaftliche Begleitung und führt eine jährliche Evaluation durch.

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