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Caspar David Friedich: Bestürzende Stille

Willkommen im Caspar-David-Friedrich-Jahr: Florian Illies reist mit dem Maler durch die Zeiten

  • Peter Arlt
  • Lesedauer: 5 Min.

Mit der Sendung eigener Bilder nach Weimar sei es Caspar David Friedrich gelungen, bei Goethe »jeden Kredit zu verspielen«, urteilt Florian Illies. Man könnte auch umgekehrt feststellen, der Maler habe dem Dichterfürsten die Gelegenheit gegeben, seiner Kunst an Originalwerken näherzukommen, wobei Goethe diesen Kredit dann verspielt hat. »Eine Chance will Goethe dem seltsamen Caspar David Friedrich dann doch noch geben«, schreibt Illies. Goethe bittet Friedrich, dessen Fähigkeit zur Naturwiedergabe er schätzt, Wolkenstudien nach Luke Howard für seinen eigenen Aufsatz anzufertigen, um zu versuchen, ihn so zum unmittelbaren Realismus zu bekehren. Doch diese Naturforschung war nichts für Friedrich. »Ich muß mich dem hingeben, was mich umgibt, mich vereinigen mit meinen Wolken und Felsen, um das zu sein, was ich bin«, schrieb er dem russischen Dichter Wassili Andrejewitsch Shukowski.

In seinem Buch »Zauber der Stille« bringt Illies fast Vergessenes aus dem Leben und Werk von Friedrich in die Öffentlichkeit, dessen 250. Geburtstag sich im September jährt. Zwar liegt er bei einer Wohnungsadresse schief, teilt aber mit, dass Friedrich ein Feuerleitsystem entwickelt hat, oder wie Walter Gropius, als er 1922 in Weimar ein »Denkmal für die Märzgefallenen« im Kampf gegen den Kapp-Putsch 1920 entwirft, sich an Friedrichs Bild »Gescheiterte Hoffnung« von 1823/24 mit den aufragenden Eisschollen in der arktischen Landschaft orientiert. Manche Erkundungen von Illies erschüttern, so die Verteidigung Friedrichs durch Heinrich von Kleist, oder die von Zerstörung und Rettung von Bildern oder vom spektakulären Gemäldediebstahl.

Bei all den spannenden Besitz- und Ortswechseln von Bildern fand Ellies für das Kapitel »Auf dem Segler« nicht heraus, dass der Großfürst Nikolaj Pawlowitsch und spätere Zar Nikolaus I. zusammen mit diesem Bild auch das Pendant »Schwestern auf dem Söller am Hafen« gekauft hatte, auf denen Motive von Halle, dem zentralen Ort pietistischer Bewegung, und von Friedrichs Geburtsort Greifswald kompilatorisch zusammengefasst sind und den Realismus der romantischen Bilder kennzeichnen. Beide Gegenstücke wurden zuerst im Englischen Cottage im Peterhof bei St. Petersburg gegenüberstehend gezeigt und nun sind sie in der Petersburger Neuen Eremitage nebeneinander zu sehen.

Eine famose Idee war, das Buch nach den Elementen Feuer, Wasser, Erde, Licht einzuteilen, womit ein Ordnungsprinzip für Illies’ mosaikartigen Stil gefunden wurde, der in kurzen Texten zu vielen Zeiten und unterschiedlichen Themen führen kann, aber Vertiefung schwer zulässt. Wie wollte Friedrich die Menschen durch eine neue, subjektivere Interpretation der Natur zu einer kosmisch-weiten und sittlichen Weltsicht führen? Über die individuelle Künstlerpersönlichkeit, den »Tempel der Eigentümlichkeit«, wie Friedrich betont, kann er zur Erkenntnis des Unendlichen und wohl auch zum »Zauber der Stille« hinführen. Die fernen Himmelskörper und kosmischen Naturerscheinungen gelten Friedrich als Zeugen des Ewigen und Göttlichen. Im Bild »Zwei Männer in Betrachtung des Mondes« (1819/20), wirken diese beiden »ergriffen und andächtig«. Doch ihnen erscheint der Mond nicht nur als Sichel, sondern in vollständiger Scheibe. Friedrich sah wohl auch das Astronomische: Die Erde wird von Sonnenstrahlen seitlich vorn angeleuchtet und als Erdschein auf den Mond reflektiert.

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Die Empathie des russischen Dichters Shukowski, für den Friedrich »der beste und würdigste Mensch« war, findet bei Illies keine Beachtung. Shukowski konnte als Staatsrat und Freund der Zarenfamilie deren Interesse an Friedrich wachhalten und dessen finanzielle Unterstützung erreichen. Und ebenso fehlt eine Würdigung der Malerin Caroline Bardua, die lebenslang guten Kontakt zu Friedrich pflegte. Ihr erstes Porträt vom kritisch-aufmerksam blickenden Friedrich (1810) fand nicht nur Anerkennung, sondern man glaubte 1906 zur Berliner »Jahrhundert-Ausstellung« sogar, es sei ein Selbstbildnis von Friedrich. 1839, ein Jahr vor seinem Tod, besuchte Bardua den vom Schlaganfall gelähmten, alten Freund und fand ihn ganz gebrochen und krank; jeden Morgen ging sie zu ihm, um zu helfen und ihn zu malen.

Durch Illies Buch zieht sich eine gewisse Heiterkeit, so mit der Idee einer Gedenktafel für die Rückenfiguren, die Friedrich gemalt hat, wenn er Menschen von hinten zeigt, die auf Landschaften blicken. Allerdings landet Illies auch in den Niederungen der heute herrschenden Ideologie: Friedrich habe sich »im Wesentlichen im Gebiet der späteren DDR« aufgehalten, wofür »es dann auch 1974 als Belohnung eine Sonderbriefmarke der DDR« gegeben habe, merkt er an. Friedrich habe auf »Ausreiseanträge verzichtet (…), von Italien hat er noch nicht mal zu träumen gewagt«. Die freundliche Einladung, nach Rom zu kommen, die Friedrich tatsächlich erhielt, nahm er nicht an.

Wie wurde Friedrich nach Illies in der DDR eingeordnet? »Als Vorläufer des marxistischen Menschenbildes (…), ja des sozialistischen Realismus«, meint Illies. Anscheinend hat er »Caspar David Friedrich«, das 1964 erschienene Buch der Dresdener Kunsthistorikerin Irma Emmrich nicht zur Kenntnis genommen, wenn er konstatiert: »Von Religion als Schlüssel zum Verständnis von Friedrich natürlich kein Wort in dem Land, das selbst die Engel zu ›Jahresendflügelpuppen‹ gemacht hat«.

Illies Buch ist populärwissenschaftlich verdienstvoll, doch es fehlt an fachwissenschaftlicher Tiefe, auch wenn er sich am Ende des Buchs bei vielen Experten bedankt. Da sie sich in manchem widersprechen, schwankt auch Illies wie Burians Esel zwischen Morgendämmerung und Abenddämmerung beim Bild »Frau vor aufgehender Sonne«. Dabei führte eine realistische Position von der Fülle der Motive, die Illies für Friedrich oft einnimmt, zum plausiblen Ergebnis: Die junge Frau steht nicht unvermittelt am Ende des Weges, sondern wird weiter gehen können in Richtung des böhmischen Hohen Schneebergs (Decinský Snežnik), der kein Vanitas-Motiv ist. Weil sich so die Sicht in östliche Richtung offenbart, kommt nur der Sonnenaufgang in Frage. »Erweck uns Herz und Mut/ bei erstandner Morgenröte,/ Daß wir, eh wir vergehn,/ recht aufstehn«, wie es im evangelischen Kirchenlied lautet.

Florian Illies: Zauber der Stille. Caspar David Friedrichs Reise durch die Zeiten. Fischer-Verlag, 253 S., geb., 25 €.

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