- Kultur
- René Pollesch und Fabian Hinrichs
Bis keiner mehr den andern leiden kann!
An der Volksbühne vertreten Fabian Hinrichs und René Pollesch die These »Ja nichts ist ok«
Vor fünf Jahren begab sich Fabian Hinrichs an die Schwelle des Todes. Im Berliner Friedrichstadtpalast ging er, im Anschluss an Albert Camus’ »Mythos des Sisyphos«, der Frage nach, warum man sich nicht sofort umbringt angesichts der Sinnlosigkeit der eigenen Existenz. Meter über der Bühne hängend, wie im freien Fall angehalten, lieferte er keine Antwort, sondern wich ihr aufs Schönste aus: »Wenn man sich nicht umbringt, dann klingelt man bei jemandem.« Folgerichtig sei die größte Frage der Philosophie, »warum man bei jemandem klingelt«.
Nicht nur in dieser Inszenierung (»Glauben an die Möglichkeit der völligen Erneuerung der Welt«), auch in weiteren Kooperationen mit Hinrichs ist das Soziale eine deutlich weniger verkopfte Kategorie als in anderen Arbeitszusammenhängen von Regisseur René Pollesch. Hinrichs gibt den Arbeiten des Intendanten der Volksbühne etwas Missionarisches bei, aus seinem Mund klingen auch banale Sätze wie Weisheiten. Wenn er hager und mit nackter Brust von der Bühne lächelt, ist eine religiöse Konnotation nicht zu übersehen. Sein Spiel hat etwas Prophetisches; er verheißt einen Weg aus dem Unglück, predigt die einfachsten Mittel des Menschseins, auf dass Gemeinschaft und Leichtigkeit einkehren, wo gerade noch Ausbeutung, Konkurrenz und Depression geherrscht hatten.
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Doch die Zeiten haben sich geändert. Fünf Jahre nach der Arbeit im Friedrichstadtpalast liegen als Verweis auf den Sisyphos-Mythos auf der Bühne einige Felsbrocken neben dem Bungalow, in dem die WG-Bewohner Paul und Stefan miteinander streiten. Hinrichs spielt sie beide, wechselt ständig die Plätze. »Ich glaube, Margaret Thatcher hatte recht. So etwas wie Gemeinschaft gibt es nicht!«, brüllt er Paul über eine Wand aus Paketen an. Und kurz darauf: »Fick dich! Fick dich! Fick dich!« Die heilsame Begegnung gestaltet sich in dieser WG ganz offensichtlich schwierig, von der pathetischen Beschwörung menschlicher Nähe ist nichts mehr zu erkennen. Dabei waren die Mitbewohner gerade noch ein gutes Team, plauderten im gemeinsamen Wohnzimmer.
Was ist geschehen? Die große Politik geriet hinein in diese Idylle, genauer: ein Krieg, und dann noch einer. In einer Szene laufen Fernsehbilder aus Gaza im Hintergrund: zerstörte Wohngebiete, Soldaten in Tunneln. »Die Menschen sprachen darüber, sie waren sich nicht einig«, erklärt Hinrichs als Erzähler, nunmehr in einen langen schwarzen Mantel gehüllt. »Etwas hatte sich verschoben.«
Es geht in Hinrichs’ Solo »Ja nichts ist ok«, das vergangenen Sonntag an der Volksbühne Premiere feierte, über weite Strecken um den Nahost-Krieg – oder genauer: um dessen Auswirkungen auf unser Zusammenleben. Auf der Bühne grassiert Bekenntniszwang. In der Doppelrolle eines Folterknechts und seines Opfers stürzt sich Hinrichs zu Beginn selbst in einen Swimmingpool, taucht sich den Kopf unter Wasser, brüllt sich an, er solle »es« endlich sagen!
Die Forderung, Stellung zu beziehen, vergiftet das Klima, da alle nur noch als Thesenträger auftreten und nicht mehr als Menschen. Diese Botschaft kann man dem Abend entnehmen und durchaus auch vorwerfen. Denn ist es wirklich das, was man über den Krieg in Gaza sagen möchte? Dass er den Leuten in Europa ihre Beziehungen kaputtmacht?
Die politische Debatte, also das, was als Nachhall der Gewalt bei uns ankommt, erscheint an diesem Abend geradezu als eine Verhinderung des Gesprächs, die Diskursgrenzen als eine Mauer, die das Kampfgebiet absteckt. Auch der Einzelne ist ihr Opfer, er verzweifelt an seiner Kleinheit und Vergeblichkeit. »Wenn man alle liebt, warum hat das keine Konsequenzen? Wenn man alle liebt, warum wird die Welt nicht besser?« Der Fluchtweg hinaus aus dieser Entfremdung führt konsequenterweise ins Vorpolitische, genauer gesagt ins Proterozoikum.
Zeichnungen von Gliederfüßern werden auf eine Wand des Hauses projiziert, Hinrichs doziert dazu, dass das Leben auf der Erde vor 560 Millionen Jahren noch gewaltfrei gewesen sei. »Wie kann dieser Friedensprozess wiederbelebt werden?« Versteht man ihn recht, gibt es in einer politischen Wirklichkeit, die auf Gewalt gründet, keine Hoffnung, kann es keine geben. Das heißt, man müsste aussteigen.
Wie aber kommt man aus dem Politischen heraus, ohne die Menschheit in Gliederfüßer zu verwandeln? Die Antwort: Kunst. Pollesch und Hinrichs bieten ihre Inszenierung als situativen Ausweg aus den Debatten, aus der Gewalt und dem Reden über dieselbe. Und sie haben Erfolg damit. So fragwürdig einem manche intellektuelle Grundlage dieser Arbeit erscheint, so gerne sieht und hört man Hinrichs zu, so gerne lässt man sich von seinem Spiel treffen. Ein Verführer ist hier am Werk. Fein stimmt er Witz und Melancholie ab, spielt geschickt mit Intensitäten.
Und dann kommt noch das Ende, das hier nicht verraten werden soll. Nur so viel: Es kommt überraschend, ist komisch, traurig, pathetisch. Für ein paar Momente kann man sich tatsächlich gesehen und erhört fühlen, wie man so dasitzt und nicht zu viel versteht, sich aber verstanden fühlt.
Nächste Vorstellungen von »Ja nichts ist okay« an der Volksbühne: 15.2., 25.2., 9.3., 23.3.
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