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Von Fluchten und Verleumdungen
Dieter Schwartze hat eine Hommage auf den Arzt und Antifaschisten Rudolf Zuckermann verfasst
Es war eine kluge Wahl Dieter Schwartzes und des Verlages, die Biografie des Arztes und Wissenschaftlers Rudolf Zuckermann »Der blockierte Mensch« zu titeln. Blockaden und Hindernisse bestimmten sein Leben im 20. Jahrhundert, das auch er als Antifaschist und Jude als »Jahrhundert der Katastrophen« erleben musste. Die Notwendigkeit, aus existenziellen Gründen zu flüchten, bestimmte einen großen Teil seines Lebens. Als die lebensbedrohliche Gefahr gebannt war, behinderten die eigenen Genossen seine berufliche und wissenschaftliche Entwicklung.
Geboren 1910 im heutigen Wuppertal-Elberfeld, studierte Rudolf Zuckermann ab 1930 Medizin in Bonn und Berlin, musste aber dann als Jude und Antifaschist nach Frankreich flüchten, wo seine Abschlüsse zunächst nicht anerkannt wurden, weshalb er sein Studium in der Schweiz fortsetzte. Nach der Promotion im Januar 1937 entschloss er sich, die bedrohte Spanische Republik und die für sie kämpfenden Internationalen Brigaden in ihrem Abwehrkampf gegen die reaktionären, von den deutschen und italienischen Faschisten unterstützten Putschisten zu unterstützen. Es gab bei den Internationalen wohl keinen Mediziner, der wie er an den verschiedensten Stellen dieses Kampfes zum Einsatz kam.
Eine logische Konsequenz für ihn war, um Aufnahme in die Kommunistische Partei Spaniens zu ersuchen; die Tatsache, dass er aufgenommen wurde, ist auch als Anerkennung seines Engagements zu verstehen. Selbst der überaus strenge ehemalige Abwehr-Offizier Gustav Szinda, der 1940 in Moskau im Auftrag der Komintern Charakteristika ehemaliger Spanienkämpfer schrieb, konnte bei Rudolf Zuckermann nichts Kritikwürdiges finden: »Leutnant des Service Sanite. Kam im April 1937 nach Spanien und war als Arzt im Hospital der 45. Division tätig. War ein durchschnittlicher Arzt, der mit sehr viel Interesse arbeitete, politisch interessiert war und nahm an den Kulturarbeiten im Hospital aktiv teil. 1938 wurde er in die KP Spaniens überführt.«
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Anfang 1939 nahm Rudolf Zuckermann am sogenannten zweiten Einsatz der Internationalen Brigaden teil, die von der Regierung gebeten worden waren, die Evakuierung der katalanischen Bevölkerung gegen die Franquisten zu decken. Die Spanische Republik verlor jedoch den Krieg, Zuckermann musste erneut fliehen. Wieder nach Frankreich, wo er – und das wird ein ewiges Schandmal französischer Geschichte bleiben – und andere Interbrigadisten wie auch republikanische Spanier interniert wurden.
Sein ebenfalls kommunistisch organisierter Bruder Leo konnte ihn aus dem Lager Saint-Cyprien befreien. Zuckermann arbeitete wieder als Arzt. Nach der Besetzung Frankreichs durch die Nazi-Wehrmacht war er, durch einen Zufall der Auslieferung nach Deutschland entgehend, wieder auf der Flucht, die ihn über Marseille nach Casablanca und schließlich Mexiko führte, wo er Ende 1941 ankam.
Damit schien eine Blockade beendet, es folgten fast zehn beruflich und wissenschaftlich erfolgreiche Jahre. So konnte Zuckermann unter anderem am ersten kardiologischen Institut der Welt arbeiten und ein Diplom in Kardiologie erwerben sowie ein Buch in Spanisch über Elektrokardiografie veröffentlichen, wie Dieter Schwartze, selbst Mediziner, kenntnisreich beschreibt. Er war auch in den Emigrantenkreisen politisch aktiv, wenn auch weniger als sein Bruder Leo, der ebenfalls nach Mexiko emigriert war und großen Anteil an der Arbeit der Bewegung »Freies Deutschland« hatte. Der Traum der Gebrüder Zuckermann aber war es, in einem vom Nazismus befreiten Deutschland zu leben und zu wirken.
Leo Zuckermann übersiedelte bereits 1947 in die sowjetische Besatzungszone und brachte es zum Leiter der Kanzlei des Präsidenten der DDR Wilhelm Pieck sowie außenpolitischen Berater des ZK der SED, sah sich jedoch dann, als im Dezember 1952 die von der SED initiierte Kampagne gegen vorgebliche »anglo-amerikanische Spione« unter den Westemigranten ihren Höhepunkt erreichte, genötigt, außer Landes zu fliehen – zurück nach Mexiko. Diese Repressalien – ein ewiges Schandmal des sogenannten real existierenden Sozialismus – standen im Kontext antijüdischer Kampagnen nach Aufdeckung einer angeblichen »Verschwörung jüdischer Ärzte« in Moskau.
Just in dieser Zeit kam Rudolf Zuckermann in die DDR. Den hoch qualifizierten Kardiologen erwartete aber keine Anstellung im klinischen Bereich, sondern Haft in einem Gefängnis der Staatssicherheit. Und wieder war er blockiert. Und schlimmer noch: In der Haft musste er schlimme Torturen über sich ergehen lassen. Ihm wurde unterstellt, in die DDR übergesiedelt zu sein, um das destruktive Werk seines Bruders fortzusetzen und um terroristische Anschläge auf höhere Kader zu verüben. In Konsequenz dessen lehnte es Rudolf Zuckermann später ab, höhere SED-Funktionäre zu behandeln.
Nach der Rehabilitierung arbeitete er in verschiedenen Kliniken sowie wissenschaftlich. Obwohl 1957 zum Professor für Kardiologie mit Lehrauftrag berufen, dauerte es noch zwölf Jahre, bis daraus eine ordentliche Professur wurde. Der Traum, an einem kardiologischen Institut tätig sein zu können, erfüllte sich nicht. Noch über seine Emeritierung hinaus behandelte er in einer Ambulanz »normale Patienten«, so der Biograf.
Rudolf Zuckermann verstarb 1995 in Berlin. Geblieben sind seine Forschungsergebnisse und Zeugnisse seiner besonderen Liebe zur bildenden Kunst. Auch auf sein Leben trifft wohl die Erkenntnis von Jürgen Kuczynski zu: »Mein Helm hat viele Beulen, einige davon sind auch vom Feind.«
Anzumerken ist noch die vorzügliche Ausstattung des Buches durch Birgit Eichler, hier vor allem der Kranz aus all den Fahnen der Länder, in denen sich Rudolf Zuckermann aufgehalten hatte. Der Kranz ist so platziert, dass er auf der Fahne der Zweiten Spanischen Republik zu stehen scheint.
Dieter Schwartze: Der blockierte Mensch. Das Schicksal des Arztes Rudolf Zuckermann. Mironde-Verlag, 84 S., geb., 17,50 €.
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