Bundesweite Gedenk-Demonstrationen: Hanau ist heute überall

In Hanau erinnerten 5000 Menschen an den Anschlag. Die Aufarbeitung ist mangelhaft, Angehörige der Opfer beklagen das rassistische Klima

Von A wie Aachen bis W wie Würzburg sind für Montagabend im ganzen Land Kundgebung im Gedenken an die Opfer des rassistischen Anschlags vor vier Jahren geplant. Ihr Motto: Hanau ist überall. Am Abend des 19. Februar 2020 erschoss Tobias R. an zwei Orten in Hanau neun Menschen mit Migrationshintergrund. Anschließend fuhr er nach Hause, tötete seine Mutter und anschließend sich selbst. Schnell wurde klar, dass der Täter aus rassistischen Motiven gehandelt hatte. Sein Weltbild war geprägt von Verschwörungserzählungen. Er glaubte an die Überlegenheit des deutschen Volkes und war eindeutig islamfeindlich und antisemitisch eingestellt. Er fantasierte von der Halbierung der Bevölkerung in Deutschland.

Für viele, die wegen des Attentats auf die Straße gehen, hat Tobias R. nur auf die brutalstmögliche Art ausgeführt, was bis in die Mitte der Gesellschaft gedacht wird. Extrem rechte Massendeportationspläne, rassistische Gesetze und ein Mangel an Aufklärung und auch an Verständnis.

Said Etris Hashemi hat den Anschlag überlebt, aber dabei seinen Bruder verloren. Armin Kurtovics Sohn Hamza ist bei dem Anschlag gestorben. Zusammen mit dem Filmemacher Marcin Wierzchowski haben sie in dem Sammelband »Staatsgewalt« einen Beitrag über den Umgang der hessischen Landesregierung mit dem Attentat geschrieben. Darin wird geschildert, wie Hashemi den ehemaligen Ministerpräsidenten Volker Bouffier (CDU) mit der Tatsache konfrontierte, dass 13 von 19 Beamten des SEK, das in Hanau im Einsatz war, in einer Chatgruppe waren, in der rassistische und den Holocaust verharmlosende Inhalte geteilt wurden. Said Etris Hashemi fragte Bouffier: »Können Sie sich in uns hineinversetzen, Herr Bouffier? Ihr Bruder und Ihre Freunde werden durch einen Rassisten ermordet, Sie rufen die Polizei, und es kommen weitere Rassisten, um Ihnen zu helfen.« Die Antwort des CDU-Politikers ist kurz. Auch mit so einer Gesinnung könnten die Beamt*innen ihren Job ja »gut« machen. Ein Schlag ins Gesicht für die Angehörigen.

Auch die parlamentarische Aufarbeitung des Anschlags wird von Angehörigen oder Gruppen wie der Initiative 19. Februar Hanau, die die Demonstration am Samstag veranstaltet hat, an der sich in Hanau rund 5000 Menschen beteiligt haben, kritisch gesehen. Zum Abschlussbericht des parlamentarischen Untersuchungsausschusses schrieb die Initiative im vergangenen November, dieser habe »die Chance einer ernsthaften Aufarbeitung« nicht wahrgenommen und sich in einem »parteipolitischen Theater« verstrickt, das mit einem »nichtssagenden Bericht« zu Ende gegangen sei. Besonders beklagt die Gruppe, dass es keine Konsequenzen für leitende Polizeibeamte und den damaligen hessischen Innenminister Peter Beuth gegeben habe.

Für einige der Opferangehörigen hat der Horror nach dem Anschlag kein Ende genommen. Das liegt am Vater des Attentäters. Hans-Gert R. teilt das Weltbild seines Sohnes und belästigt bis heute Angehörige. Jüngst erhielt Serpil-Temiz Unvar, deren Sohn ermordet wurde, ein »Mahnschreiben« von R. Ein bizarrer Brief, dem zahlreiche Vorfälle vorausgingen, bei denen die Angehörigen auch rassistisch beleidigt wurden. Bald soll gegen Hans-Gert R. ein Strafprozess geführt werden.

Angehörige wie Serpil-Temiz Unvar oder Armin Kurtovic haben Konsequenzen aus dem Anschlag gezogen. Unvar hat eine nach ihrem Sohn benannte Bildungsinitiative ins Leben gerufen. Diese veranstaltet in Hanau regelmäßig Workshops und schafft Räume, in denen sich Jugendliche über ihre Erfahrungen mit Rassismus austauschen können. Nach Hamza Kurtovic wurde ein Preis benannt. Menschen und Initiativen, die sich besonders gegen Rassismus engagieren, sollen gewürdigt werden.

Auf Polizei und Politik wollen sich in Hanau viele nicht mehr verlassen. Das wurde auch bei der Demonstration am Samstag deutlich. Said Etris Hashemi sprach davon, dass es nicht reiche, wenn Politiker*innen mit »Lippenbekenntnissen« an der Seite der Opfer stünden. Es brauche »konsequentes Handeln«. Ob die Politik konsequent gegen rechts und Rassismus vorgehen wird? Viele Rednerinnen äußerten Zweifel. Ebenso viele betonten aber auch, was sie stark macht: das gemeinsame Gedenken und die Solidarität untereinander.

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