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Assange vor Gericht: Beispiellose Strafverfolgung

Vor dem Londoner Obergericht von England und Wales hat die Anhörung im Fall Julian Assange begonnen

  • Sascha Zastiral, London
  • Lesedauer: 4 Min.

Der Andrang vor den »Royal Courts of Justice« im Zentrum von London ist an diesem Dienstagvormittag groß. Hunderte von Demonstranten haben sich vor dem imposanten neugotischen Gerichtsgebäude versammelt. An einem gusseisernen Zaun hängen gelbe Stoffstreifen, auf denen steht: »Free Julian Assange«.

In dem Gerichtsgebäude beginnt an diesem Morgen im vollbesetzten Gerichtssaal Nummer 5 eine zweitägige Anhörung. Die Richter müssen entscheiden, ob sein Anwaltsteam noch einmal vor britischen Gerichten gegen die Auslieferung Assanges an die USA in Berufung gehen kann. Scheitert der Antrag, könnte sie nur noch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg stoppen. Falls es dann nicht bereits zu spät ist, weil der 52-jährige Australier, der 2006 die Enthüllungsplattform Wikileaks gegründet hat, in ein Flugzeug in Richtung USA gesetzt wurde. Dort drohen ihm bis zu 175 Jahre Haft.

2010 veröffentlichte Wikileaks Hunderttausende interne Papiere des US-Militärs. Die Dokumente enthielten Hinweise darauf, dass es sowohl in Afghanistan als auch im Irak mehr zivile Todesopfer durch die USA und Koalitionstruppen gab, als Washington öffentlich zugab. Die brisanten Papiere deuteten zudem darauf hin, dass die USA wussten, dass irakische Sicherheitskräfte Kriegsgefangene folterten. Die Enthüllungen sorgten für einen weltweiten Aufschrei und brachten Washington in Erklärungsnot.

Für Assange ging es nach dem anfänglichen Star-Rummel schnell bergab. In Schweden warfen ihm zwei Frauen sexuelle Übergriffe während eines Stockholm-Besuchs im August 2010 vor. Schweden erließ einen internationalen Haftbefehl. Assange stellte sich der britischen Polizei und wurde gegen Kaution freigelassen.

Als der Oberste Gerichtshof in London im Mai 2012 eine Auslieferung Assanges an Schweden für zulässig befand, floh der Wikileaks-Gründer in die ecuadorianische Botschaft in London. Im April 2019 gab die Regierung Ecuadors grünes Licht für Assanges Festnahme in der Botschaft. Ein Gericht in London verurteilte Assange zu 50 Wochen Haft, weil er gegen Kautionsauflagen verstoßen hatte. Der Wikileaks-Gründer landete im Belmarsh-Hochsicherheitsgefängnis im Osten Londons. Ende 2019 ließ Schweden die Vorwürfe gegen ihn fallen.

Nach seiner Festnahme enthüllten die USA eine Anklage aus dem Jahr 2018. Der Vorwurf: Verschwörung zum Eindringen in Computersysteme. Am 23. Mai 2019 fügte eine US-Geschworenenjury 17 Spionageanklagen hinzu. Im Sommer 2022 genehmigte die damalige Innenministerin Priti Patel Assanges Auslieferung an die USA. Seine Anwälte versuchen seitdem, diese vor britischen Gerichten zu stoppen.

Gleich zu Beginn der Anhörung erklärten Assanges Anwälte, dass ihr erkrankter Mandat nicht persönlich anwesend sein könne. Das Gericht hatte Assange die Teilnahme gestattet. In einer schriftlichen Eingabe haben Assanges Anwälte zuvor erklärt: »Diese rechtlich beispiellose Strafverfolgung zielt darauf ab, die Anwendung üblicher journalistischer Praktiken zur Beschaffung und Veröffentlichung wahrer geheimer Informationen von offensichtlichem und wichtigem öffentlichen Interesse zu kriminalisieren.« Assange und Wikileaks hätten »Kriminalität seitens der US-Regierung in einem beispiellosen Ausmaß« offengelegt.

Assanges Frau Stella wendet sich während der Pause an die Demonstranten vor dem Gericht. Sie sagt: »Julian braucht seine Freiheit, und wir alle brauchen die Wahrheit.« Assange sei ein politischer Gefangener, und sein Leben sei in Gefahr, fügt sie hinzu. »Was Nawalny passiert ist, kann Julian passieren.«

Bis der High Court seine Entscheidung bekannt gibt, könnte es Tage oder sogar Wochen dauern. Assanges Unterstützer befürchten, dass es mit der Auslieferung ganz schnell geht, sollten die Richter keine weitere Berufung zulassen. Anwälte der US-Regierung haben zwar angedeutet, dass Assange im Fall einer Verurteilung in den USA vermutlich nur zu einer Haftstrafe von wenigen Jahren verurteilt würde. Doch erst kürzlich hat ein Gericht in den USA den ehemaligen CIA-Mitarbeiter Joshua Schulte zu einer 40-jährigen Haftstrafe verurteilt. Sein Vergehen: Schulte hatte geheime Unterlagen weitergegeben – und zwar an Wikileaks.

Alice Jill Edwards, Sonderberichterstatterin für Folter der Vereinten Nationen, warnte vor wenigen Tagen davor, dass Assange in den USA in Einzelhaft gesteckt werden könnte, und das, obwohl bekannt sei, dass er an Depressionen leide. Zahlreiche Menschenrechtsgruppen und Journalistenverbände haben sich ebenfalls gegen eine Auslieferung Assanges an die USA ausgesprochen. Unter ihnen sind die National Union of Journalists in Großbritannien, Reporter ohne Grenzen, Amnesty International und Human Rights Watch. Das australische Parlament stimmte kürzlich dafür, Assange freizulassen und ihn nach Australien reisen zu lassen.

Eine deutsche Demonstrantin vor dem High Court erklärt, dass sie mit einer Gruppe eigens aus Deutschland nach London gekommen sei, um für Julian Assanges Freilassung zu protestieren. »Er hat sich für die Wahrheit und für die freie Meinungsäußerung stark gemacht. Das ist ein wichtiges Gut, das wir erhalten sollten.«

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