Berlin geht nicht gegen Mietwucher vor

Das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg hat eine neue Stelle im Kampf gegen Mietwucher

  • Yannic Walther
  • Lesedauer: 3 Min.

Drei Zimmer, Küche, Bad, normale Ausstattung: Nach dem Mietspiegel dürfte die Wohnung in Frankfurt am Main nur 900 Euro kosten. Vermietet wurde sie allerdings für 1690 Euro. Eine Überhöhung um 80 Prozent, wie Katharina Wagner, Leiterin des Frankfurter Amts für Wohnungswesen vorrechnet. Solche Fälle finden sich auch in Berlin. Im Gegensatz zu Berlin wird in der Mainmetropole allerdings mithilfe des Wirtschaftsstrafgesetzes dagegen vorgegangen. »Frankfurt am Main ist eine der wenigen Kommunen, die ihn anwendet«, sagt Wagner bei einer Expertenanhörung am Montag im Bundestag.

Es geht um Paragraf 5 des Wirtschaftsstrafgesetzes, laut dem ein Vermieter ordnungswidrig handelt, wenn er über 20 Prozent über dem Mietspiegelwert liegt. Auch in Berlin wurde damit noch in den 1990er Jahren gegen einzelne Vermieter, die besonders viel verdienen wollten, vorgegangen. »Als ich vor 30 Jahren in Berlin angefangen habe Mietrecht zu machen, gab es Paragraf 5 Wirtschaftsstrafgesetz noch in der ursprünglichen Auslegung«, erinnert sich Mietrechtsanwalt Benjamin Raabe. Entweder haben die Mieter selbst nach einer Frist geklagt oder konnten Anzeige beim Wohnungsamt erstatten.

Doch seit einem Urteil des Bundesgerichtshofs 2004 kommt der Paragraf kaum noch zur Anwendung. Eine Voraussetzung für die Anwendung ist, dass der Vermieter die Mangellage auf dem Wohnungsmarkt ausnutzt. Doch seit dem Urteil muss ein klagender Mieter dazu nachweisen, dass er aufgrund fehlender Alternativen auf dieses eine Wohnungsangebot angewiesen war. Außerdem muss der Vermieter diese Zwangslage gekannt haben. Praktisch ist das kaum zu beweisen. Deshalb drängt eine Bundesratsinitiative auch auf eine Gesetzesänderung, wonach bereits ein geringes Angebot an vergleichbaren Wohnungen, wie es in angespannten Wohnungsmärkten der Fall ist, ausreicht.

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Doch trotz der ungünstigen Rechtsprechung wendet Frankfurt als Kommune den Paragrafen dennoch an. »Was gut funktioniert, ist unter Androhung von Bußgeld zum Senken der Miete aufzufordern«, sagt die Leiterin des Amts für Wohnungswesen Katharina Wagner. Erst wenn der Fall vor Gericht landet, stehe die Behörde vor einem Problem. Dann müsse mit den Mietern eine circa 50 Fragen umfassende Zeugenbefragung zu den Lebensumständen und der Wohnungssuche durchgeführt werden. Doch in Frankfurt zahlt sich der Fleiß aus. Zahlreiche erfolgreiche Verfahren hat das Amt dort in den vergangenen Jahren geführt und gegen überhöhte Mieten Bußgelder verhängt.

Und in Berlin? Zumindest auf Landesebene gibt es keine Ambitionen. Mieterschutz-Staatssekretär Stephan Machulik (SPD) verwies vergangenes Jahr an die Wohnungsämter der Bezirke. Doch von diesen wurde in den zurückliegenden Jahren lediglich in einem Fall ein Bußgeld verhängt. Ohnehin ist die Personalausstattung in den Bezirken zu gering für das aufwendige Prozedere wie in Frankfurt. Ein Landeswohnungsamt, wie es unter anderem der Berliner Mieterverein fordert, wird unter Schwarz-Rot nicht geschaffen werden.

Zumindest im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg wurde mit Beginn des Jahres eine Extrastelle geschaffen und besetzt. Diese soll mögliche Verstöße gegen Paragraf 5 des Wirtschaftsstrafgesetzes prüfen und gegebenenfalls auch den Bezirk vor Gericht vertreten. Wie viel dabei herauskommt, wird sich zeigen müssen. 2022 hat das Wohnungsamt zwei Verfahren wegen des Verdachts eines Verstoßes gegen den Paragrafen geführt. 2023 war es ein Verfahren. In keinem der Fälle hatte sich dieser bestätigt. Falls der Paragraf und damit die Voraussetzung der ausgenutzten Zwangslage auf Bundesebene doch geändert wird, dürfte sich das mit Sicherheit ändern.

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