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Auf dem Boden der Tatsachen: Bürgerrat trifft Abgeordnete
Der Bürgerrat Ernährung übergibt sein Gutachten an Mitglieder des Bundestags. Mit deren Reaktionen sind nicht alle Teilnehmenden zufrieden
Man habe sich viele Gedanken gemacht und würde sich freuen, »wenn einige ernsthaft diskutiert werden und nicht in der Schublade verschwinden«, so die Erwartung eines Teilnehmers des Bürgerrats Ernährung an den Bundestag. Gemeinsam mit vier weiteren Mitgliedern übergibt er am Dienstagabend das Bürgergutachten mit den Empfehlungen des Rates an Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD). Rund 100 weitere Teilnehmer*innen sitzen im vollen Anhörungssaal des Marie-Elisabeth-Lüders-Hauses im Berliner Regierungsviertel und auf der Empore verteilt, einem Dutzend Bundestagsabgeordneten gegenüber, die die Empfehlungen an diesem Abend erstmals diskutieren.
Auch Wissenschaftler*innen, die den ersten, vom Bundestag eingesetzten Bürgerrat im vergangenen halben Jahr begleitet, beraten und den Prozess evaluiert haben, sind dabei. Die Empfehlungen, die dabei herausgekommen sind, »spiegeln einen wissenschaftlichen Konsens wieder«, sagt die Sozioökonomin Melanie Speck. Es gebe viele Studien, die sich zum Beispiel für Lenkungssteuern aussprächen. »Es ist nun an Ihnen, diese Empfehlungen weiterzudenken und die Bürger*innen ernst zu nehmen«, formuliert sie die Forderung der Mitglieder an die Abgeordneten noch einmal deutlicher.
Von allen Bundestagsfraktionen ernten die Teilnehmer*innen großes Lob für ihr Engagement – wobei Philipp Amthor (CDU) und Götz Frömming (AfD) gleichzeitig deutlich machen, dass sie die Ergänzung der parlamentarischen Demokratie durch Bürgerräte grundsätzlich ablehnen. Zu den konkreten Empfehlungen gibt es jedoch kontroverse Ansichten. So ist CSU-Politiker Artur Auernhammer gegen eine Verbrauchsabgabe zur Förderung des Tierwohls, da »unsere Bauernfamilien« ihr Einkommen bräuchten – obwohl die empfohlene Abgabe laut Gutachten landwirtschaftlichen Betrieben zugute kommen soll, wenn sie ihre Tierhaltung verbessern.
Eine verpflichtende staatliche Lebensmittelkennzeichnung zu schaffen, die sowohl Tierwohl als auch Klima und Gesundheit berücksichtigt, hält Renate Künast (Grüne) für eine »schwierige Aufgabe«, die in dieser Legislatur nicht mehr zu schaffen sei. Positiv äußert sie sich zu der Empfehlung, die innerhalb des Bürgerrats die größte Zustimmung bekam: ein kostenfreies Mittagessen für alle Kinder in Kitas und Schulen. »Das gehört zum Bildungsauftrag«, so Künast. So sieht das auch Anke Henning (SPD), die bis zu ihrer Wahl in den Bundestag als Kindertagespflegerin gearbeitet und erlebt habe, wie Kinder beim Mittagessen diskriminiert worden seien. »Meine Stimme haben Sie«, verspricht sie.
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Anderer Meinung sind die FDP-Abgeordneten Martin Grassner-Herz und Ingo Bodtke. Ersterer möchte das Mittagessen nur Kindern aus einkommensschwachen Familien finanzieren und kein »Geld mit der Schrotflinte verschleudern« – obwohl das Gutachten vorschlägt, die Mittel für eine geplante Kindergelderhöhrung dafür umzuwidmen. Letzterer befürchtet, dass mit einem kostenfreien Mittagessen auch die Lebensmittelverschwendung steige, da das Angebot womöglich nicht von allen Kindern wahrgenommen werde.
Einige Bürgerratsmitglieder protestieren gegen diese Einschätzung: Es gehe bei der Maßnahme gar nicht nur um einkommensschwache Familien, sondern auch um gesunde Ernährung, die wohlhabende Eltern nicht automatisch sicherstellten. Außerdem um den sozialen Aspekt, das gemeinsame Einnehmen des Essens. »Sonst könnte man ja an jeder Tankstelle die Preise für Wohlhabende erhöhen«, kommentiert ein Teilnehmer. Auch Melanie Speck schaltet sich an dieser Stelle noch einmal ein: All diese Kritikpunkte seien »sechs Monate lang rauf und runter diskutiert« worden und im Gutachten fänden sich Lösungen dafür. Den Abgeordneten empfiehlt sie, dieses auch zu lesen. »Das meinte ich mit: Nehmen Sie es ernst«, betont sie.
Beim anschließenden Sektempfang zeigen sich einige Bürger*innen enttäuscht von der Diskussion mit den Abgeordneten. »Wir wurden auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt«, sagt Ernst Schumacher zu »nd«. Auch Eltje Fuchs glaubt, der Appell des Bürgerrats sei nicht angekommen. Bezüglich des kostenfreien Mittagessens verweist sie auf die immense Herausforderung, die es für zwei arbeitende Eltern darstelle, den Kindern täglich gesundes Essen zu bieten – unabhängig vom Einkommen. Was die Umsetzung der Empfehlungen durch die Politik betrifft, sei sie »absolut skeptisch«.
Schumacher berichtet, dass er am Bürgerrat teilgenommen habe, weil er in sehr armen Verhältnissen groß geworden sei und als Kind oft nicht genug zu essen gehabt habe. Diese Erfahrung präge ihn als 65-Jährigen heute noch. Gleichzeitig wisse er von Bekannten im Pflegeheim, dass man dort nicht satt werde. »Das tut mir weh«, sagt Schumacher. Nun findet sich auch gesunde Verpflegung in Pflegeinrichtungen unter den Empfehlungen des Bürgerrats. Von dem Gremium an sich sind beide überzeugt. »Das braucht die Politik«, sagt Fuchs.
Ihre Meinungen spiegeln sich in einer Befragung der Universität Wuppertal, die an diesem Abend ebenfalls vorgestellt wurde. Demnach glaubt nur eine Minderheit der Bürgerratsmitglieder, dass sie die Politik tatsächlich beeinflussen können (35 Prozent bei der ersten, 40 bei der zweiten Befragung). Gleichzeitig bewertet die überwiegende Mehrheit den Rat als positive persönliche Erfahrung (89 und 84 Prozent) und etwa zwei Drittel sind zufrieden mit den Empfehlungen (62 und 69 Prozent).
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